Thema:
Re:Wie war Euer Elternhaus? flat
Autor: Pezking
Datum:16.03.23 14:00
Antwort auf:Wie war Euer Elternhaus? von Bomber

>Ja, wieder mal ein Seelenstriptease-Thread. Aber Aufgrund der Verwunderung, im Thread um Luise, auf die Trennung der Kinder von ihren Eltern, bin ich etwas verwundert, dass sich doch einige sehr darüber wundern, bzw. dies ausschließen würden.

Es geht doch nur um die öffentliche Beurteilung und das Spekulieren aus der Ferne als komplett Außenstehender. Damit ist niemandem geholfen, selbst wenn Du zufällig goldrichtig liegen solltest, was ja auch keiner ausschließen will.

>Ich bin ein Einzel- und Scheidungskind. Meine Eltern haben sich getrennt, da war ich 4,5 Jahre alt. Meinen Vater habe ich ab meinem 10. Geburtstag bis Mitte 30 nicht mehr gesehen (Nur einmal wegen einer Sorgerechtsklage).
>Meine Mutter war also alleinerziehend, kaum anwesend, da sie 2 Jobs hatte. So wurde ich sehr viel von meiner Großmutter erzogen (alle anderen Großelternteile waren schon verstorben), welche selbst alleinerziehend 5 Kinder großgezogen hat. Heißt, Dinge wie Teppichklopfer, Hundeleine, Löffel, Kochlöffel, Flache Hand etc. gehörten für mich zum Alltag. Geld war so gut wie nie vorhanden und der Kuck-Kuck hat uns oft besucht. Alkoholismus ist in unserer Familie sehr verbreitet (aus meiner heutigen Sicht), damals war es normal, dass Oma Nachmittags 2 Bier und einen Chantree oder der Onkel (der war oft da, da meist arbeitslos, oder "auf Kur" im Knast) 4 bis 8 Bier getrunken haben.
>Aus heutiger Sicht würde ich sagen, ich bin in einem gewalttätigen Alkoholikerhaushalt großgeworden. Noch vor 25 Jahren hätte ich das anders gesehen.
>Ach ja, meine Oma war für alle Nachbarn immer die liebe nette alte Dame, die ihren Enkel halt streng erzieht.
>Das heißt, heimlich waren die Schläge nicht, sondern schon im Garten oder auf der Straße. Aber es war eben "normal" bei uns im Viertel, was, nebenbei, als gutbürgerliches Arbeiterviertel galt und heute noch gilt.


Uffz. Das tut mir wirklich leid für Dich. Klingt echt übel. :-(

>Nur bei 2 Dingen hatten sowohl meine Oma, als auch mein Onkel eine absolute Null-Toleranzpolitik:
>1. der Gefährdung von Leben (egal welches). Ich konnte eine Woche nicht sitzen, nachdem ich mit 7 Jahren einen Vogel mit einer Steinschleuder beschossen hatte (und nicht getroffen hatte)
>2. die Duldung von rechtsradikalen Gedanken. Auch hier wurde ich mit einer Schelle "begrüßt", als ich mit 14 meine 3-monatige Nazi-phase hatte
>
>Doch Gewalt im Allgemeinen war Alltag und normal. Wenn ich mich mit einem anderen Kind geprügelt habe, dann war das eben "normales kindliches Rankeln". Wenn mein Onkel mir gezeigt hat, wie man am schnellsten einen Menschen ausknocked, dann war das "Vorbereitung aufs Leben". Wenn ich was angestellt hatte, eine Watschn bekommen habe und daraufhin geweint habe, dann habe ich noch eine bekommen, "damit ich weiß, warum ich weine" (O-Ton). Summa-Summarum war Prügeln in Ordnung, alles was mit Waffen zu tun hat, nicht, da es nicht "ehrenvoll" ist.


Alter! Du liebe Zeit, so eine Kindheit wünscht man echt niemandem. Kudos, dass Du Dich da offenbar erfolgreich herausgearbeitet hast!

>Und wenn ich mich auch heute in meinem Umfeld so umhöre, sind v.a. Menschen in unserem Alter mit "Gewalt ist normal", also Prügelstrafe als legitimes Erziehungsmittel, aufgewachsen.

Wie alt bist Du? Ich bin Jahrgang 1977, und in meinem Umfeld war und ist das komplette Gegenteil der Fall.

>Heute habe ich das Gefühl, dass v.a. die psychische Gewalt von Eltern gegen Kindern zunimmt. Und ich denke das kommt daher, dass die Prügelstrafe "verpöhnt" ist. Soll heißen, dass IMO in den wenigsten Haushalten keine Gewalt ausgeübt wird, da die meisten Eltern hier nicht reflektieren und nur andere Methoden verwenden, die sie halt noch aus ihrer Kindheit kennen.

Das kann ich überhaupt nicht einschätzen. Und ehrlich gesagt bezweifle ich das, aber wer weiß...ich bin da jedenfalls optimistischer.

>All meine Erlebnisse lassen für mich also eigentlich nur den Schluss zu, dass i.d.R. wenn Kinder Gewalt ausüben, diese von den Eltern vorgelebt wird (ob physisch oder psychisch spielt erst einmal keine Rolle) und hätte ich eine Gewalttat begangen, so würde ich, aus heutiger Sicht, mich sofort von meine Umfeld trennen.
>
>Also nochmal die Frage, wie war euer Elternhaus? War da alles supi-dupi, dass Euch nicht einmal in den Sinn kommt, dass das Sinnvollste bei Gewaltverbrechen von Kindern, die Trennung von den Eltern ist?


Nochmal: Ich schließe nicht aus, dass eine Trennung sinnvoll sein kann. Ich maße mir lediglich nicht an, das im Einzelfall beurteilen zu können.

Zu meinem Elternhaus: Ich bin 45 Jahre alt, war und bin ein glückliches Einzelkind, wurde komplett gewaltfrei erzogen, habe auch nie körperliche Züchtigung bei Freunden in jedweder Form erlebt oder mitbekommen. Meine Eltern habe ich noch nie beschwipst oder gar betrunken erlebt. Und sie feiern in zwei Jahren ihre Goldene Hochzeit.

Ich trinke auch selbst keinen Alkohol - nicht wegen irgendeiner Überzeugung, sondern aus Desinteresse. Ich mag es nicht, wenn ich keinen klaren Kopf habe. Habe deshalb auch absolut null Erfahrung mit Drogen. Habe noch nicht mal eine Zigarette auch nur für eine Sekunde im Mund gehabt (meine Eltern sind auch Nichtraucher).

Mein Vater hingehen hat eine beschissene Kindheit erlebt. Seine Mutter gab ihn als Baby zu einer Pflegefamilie nach Bayern. Dort war er soweit glücklich und geborgen, doch ein paar Jahre später holte sie ihn nach Frankfurt (ja, wie Heidi...), nachdem seine Halbschwester zur Welt kam und sie ihn plötzlich als Alleinerziehende gut als Babysitter gebrauchen konnte.

Die Beziehung war stets komplett lieblos. Er und seine Schwester haben nie erfahren, wer ihre Väter waren. Das wurde immer mit "Das geht Dich nichts an!" abgebügelt, bis mein Vater genug hatte und jeglichen Kontakt abbrach. Bis zu ihrem Tod blieb sie stur, es kam zu keiner Versöhnung mehr.

Meine Mutter hatte ein intaktes Elternhaus, meine Oma mütterlicherseits war jedoch ein Narzisst deluxe. Livia Soprano auf Speed. Die hat sich zuweilen tot gestellt, um herauszufinden, wie meine Mutter als Kind darauf reagiert. Komplett ballaballa.

Mein Opa war hingegen super. Ein toller Mensch. Wurde aber leider nur 65 Jahre als und starb, als meine Mutter gerade mal 30 war.

Mein Vater und meine Mutter haben sich beide frühzeitig über den Beruf von ihrem Zuhause gelöst und eigenständig ihr Ding gemacht. Mein Vater nach der Haupt-, meine Mutter nach der Realschule. Beide wussten, wie toxisch dass daheim zuweilen ist. Also haben sie es auf eigene Faust besser gemacht, was ich ihnen hoch anrechne.

Aber was Du da alles in jungen Jahren ertragen musstest, ist natürlich nochmal ein ganz anderes Kaliber und überhaupt nicht vergleichbar. :-(


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