Thema:
Re:Linke Identitätspolitik bedroht die Meinungsfreiheit flat
Autor: Pjotr (deaktiviert)
Datum:26.07.20 16:08
Antwort auf:Re:Linke Identitätspolitik bedroht die Meinungsfreiheit von Pezking

>IMO gibt Rowling am laufenden Band unqualifizierte Kommentare von sich. Sie spekukiert viel rum und stellt Dinge einfach mal in Frage, was angesichts ihrer Reichweite tatsächlichen Schaden anrichten kann. Gerade an einem fragilen Gebilde wie der langsam wachsenden Akzeptanz von Trans-Menschen.

Disclaimer: Ich benutze, wie in der Literatur üblich, sex als biologisches Geschlecht und gender als soziales Geschlecht.

Wie bereits oben gesagt: Rowling ist keine feministische Philosophin, aber gibt gewisse Positionen im Diskurs relativ klar wieder. Es gibt einfach gewisse Reibungen zwischen der Trans-Bewegung und Teilen des feministischen Spektrums hinsichtlich der fundamentalen Struktur der Geschlechterhierachie. Das hat mit Fragen wie diesen zu tun: Was ist eine Frau? Hat sex mit der Unterdrückung der Frau zu tun? Wenn ja, sollte es (biologischen) Frauen erlaubt sein, sich basierend auf ihrem sex zu organisieren? Inwiefern hängt gender von sex ab und vice versa? Wird Frau geboren (manchmal vielleicht im falschen Körper) oder im Sinne von Simone de Beauvoir gemacht? Ist gender ein essentieller Teil der menschlichen Psychologie oder ein soziales Konstrukt?

Kleines Beispiel: Rowling hat viel Kritik geerntet, als sie sich über gewissen Sprachgebrauch hinsichtlich Menstruation echauffiert hat - people who menstruate anstatt women. Oberflächlich klingt das enorm geltungssüchtig und anti-inklusiv. Aber es geht hier eben darum inwieweit Dinge wie Menstruation fundamental mit weiblicher Unterdrückung zusammenhängen. Menstruation ist in der westlichen Welt immer noch ziemlich Tabu, wurde aber in nahezu allen vor-modernen Gesellschaften als enorm schmutzig und unehrenhaft gesehen und gemieden. Das führte dann dazu, dass "Menstruierende" gezwungen wurden während ihrer Periode in irgendwelchen Hütten ausserhalb des Dorfen auszuharren. Und das liegt eben nicht daran, dass Menstruation an und für sich schmutzig ist - sondern dass Frauen menstruieren und dass Menstruierende Frauen sind.

Gleiches Spiel vis-à-vis Abtreibung. Wenn ich inklusiv sein möchte, muss ich sagen, dass sowohl Frauen als auch (trans-)Männer als auch nonbinäre Personen abtreiben. Was ist das Problem dabei? Das Problem ist schlichtweg, dass Frauenhaß historisch in der Abtreibungsdebatte eine grosse Rolle gespielt hat. Es ging nie wirklich um Abtreibung als abstraktes bioethisches Problem, es ging auch nie wirklich um Abtreibende vs. Nicht-Abtreibende; es ging stattdessen immer um Männer vs. Frauen in einer männerdominierten Gesellschaft. Gloria Steinem sagte einst: "If men could get pregnant, abortion would be a sacrament". Abtreibung ist nicht umstritten, weil Abtreibung an und für sich problematisch ist, sondern weil Frauen abtreiben! Wenn wir in der Abtreibungsdebatte nun inklusive Sprache einsetzen wird diese Einsicht unmöglich gemacht. Natürlich wird dieser fundamentale Aspekt in der Abtreibungsdebatte jedoch immer noch im Hintergrund bestehen - wir können ihn aber nicht mehr klar ansprechen.

>Zudem ist mir nicht klar, was dieser "Kontrollverlust" der "bärtigen linksliberalen Wichser" sein soll. (Emma Watson hat iirc keinen Bart. Daniel Radcliffe meistens auch nicht.) Rowling lehnt sich ungefragt bezüglich eines bekanntermaßen heiklen Themas weeeeeit aus dem Fenster, ohne das mit irgendeiner halbwegs fachlichen Kompetenz überzeugend untermauern zu können. Dann kommt der vorhersehbare und sicher nicht unberechtigte Gegenwind, und jetzt steht die große Autorin in der Öffentlichkeit halt mal dumm da. Und damit kommt sie überhaupt nicht klar.

Bei jeder feministischen Kritik an Aspekten der Trans-Ideologie kommt irgendwann ein bärtiger Typ daher und macht den Frauen klar, wer Frau ist, wie man sich als Frau zu fühlen hat, und dass sie doch bitte inklusiv sein sollen. Dishonorable mention in der derzeitigen J.K. Debatte ist z.B. Vox Korrespondent Zack Beauchamp. Das fängt schon bei Dingen wie cis an. Einige Feministinnen lehnen die Bezeichnung cis ab, ganz einfach weil sie sich nicht mit dem Weiblichen als sozialem Konstrukt identifizieren. Es liege eben in der Essenz des Feminismus, dass man Geschlecht und die Geschlechterhierachie kritisiere und deshalb sei man nicht cis.

>Also folgt nun der nächste rhetorische Trick 17: Sie muss vom Täter zum Opfer werden. Argumentativ kann sie mit ihrem subjektiv zusammengereimten Trans-Weltbild keinen Blumentopf gewinnen. Nachgeben will sie trotzdem nicht, Klappe halten ist offenbar auch keine Option. Deshalb lautet der nächste Versuch: Die Gegenseite noch weiter unter sich selbst ziehen, indem man sie als Mobber, Niederbrüller, Free-Speech-Feinde und Frauenhasser brandmarkt.

Jein. Sachliche Kritik - ob berechtigt oder unberechtigt - ist schön und gut. Aber dass es einen gewissen Sexismus in der Debatte gibt ist nicht von der Hand zu weisen. Mit Frauen wird in diesem Diskurs um einiges härter Verfahren als mit Männern. Sogenannte TERFs sind nicht die einzigen, die Kritik am Trans-Diskurs üben, aber sie kriegen beinahe den gesamten Blowback und Hass ab. Hätte zum Beispiel ein männlicher Schriftsteller wie Stephen King Rowling's Argumente vorgebracht gäbe es zwar Kritik, aber keinesweg eine solch aggressive Behandlung. Ich bitte dich mal in einem der Twitter-Threads zu dem Thema ein bisschen nach unten zu scrollen. Da kommen dann die typischen Anime- und Furry-Avatare daher und beschreiben ihre Gewaltphantasien gegenüber TERFs: Fuck all TERFs, Kill all TERFs etc. Die selbe Rhetorik könnte auch ohne Probleme von 4chan oder aus der Incel-Welt kommen. Ich find es ehrlichgesagt sehr befremdlich, dass eine solch martialische anti-feministische Rhetorik klargeht solange sie sich nur gegen trans-exklusive Feministinnen richtet (oder Feministinnen die anderswo anecken, z.B. hinsichtlich sex work). Und dass sich diese Gewalt auch in die reale Welt fortpflanzt sieht man leider allzuhäufig: Baseballschläger mit Stacheldraht, Kunstblut und "Kill all TERFs", tote Ratten an der Tür nicht-inklusiver Frauenhäuser etc.


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