Thema:
Re:Was ist ‚Im Namen des Volkes‘? flat
Autor: Telemesse
Datum:25.07.20 07:18
Antwort auf:Was ist ‚Im Namen des Volkes‘? von Yann

>Peppis Bericht von seiner Schöffentätigkeit hat mir eine Frage wieder ins Gedächtnis gebracht, mit der ich mich vor einiger Zeit beschäftigt habe. Ich hatte sie auch mal an Spiegel-Online geschickt, mit der Bitte sie an Professor Dr. Thomas Fischer weiterzuleiten, dessen Kolumnen absolute Glanzlichter auf spiegel.de sind. Leider ist bis jetzt niemand dort auf das Thema eingegangen.
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>Es geht um Folgends: Wenn ‚im Namen des Volkes‘ geurteilt wird, müsste dann nicht eine repräsentative Umfrage durchgeführt werden, um den Willen des ‚Volkes‘ und dessen Einschätzung über einen angemessenen Strafrahmen zu berücksichtigen? Oder befindet der Gesetzgeber ausschließlich in Expertenrunden über den jeweiligen Strafenkatalog? Und ist dies von der Verfassung so gewollt?
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>Oder anders formuliert: Welche verfassungsrechtliche Grundlage gibt es, dass die Strafzumessung durch Gerichte vom Gerechtigkeitsgefühl der Bevölkerung signifikant abweicht? Und gibt es eine systematisierten Abgleich zwischen Strafmaß und dessen Wahrnehmung, um diesem diffusen Gerechtigkeitsgefühl der Bevölkerung Rechnung zu tragen? Ist es überhaupt in irgendeiner Form definiert?
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>Weil ich eine Nachteule bin, läuft hier immer Medical Detectives, wenn ich aufräume oder irgendetwas anderes mache, was TV-Beschallung zulässt. Das Strafmaß bei Urteilen in den ÚSA liegt bei (natürlich nur einigermaßen) vergleichbaren Fällen oftmals signifikant höher als bei uns. Das muss ja nicht besser sein, aber ich stelle auch bei mir, der den resozialisierenden Ansatz unseres Rechtssystems voll unterstützt, fest, dass ich oft näher an den US-Strafzumessungen bin als an denen von aktuellen Fällen hier bei uns in Deutschland.
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>Es geht mir auch nicht um allgemeines Richterinnen-Bashing. Die gefundenen Strafen sind sicherlich in den allermeisten Fällen berechtigt und gesetzeskonform. Nur eben die Frage: Warum sind sie ausgerechnet so gewählt wie sie sind?


Zwei Aspekte aus meiner Sicht:
Punkt 1: Als Aussenstehender, lediglich über die Boulevardpresse informierter Beobachter, ist es schlichtweg unmöglich sich ein wirklich umfassendes Bild zu machen. Gerade in Strafrechtsprozessen füllen nicht selten mehrere hundert Seiten an Protokollen, Gutachten und Stellungnahmen etliche Aktenordner. Die Beweisaufnahmen und Zeugenvernehmungen ziehen sich häufig über längere Zeiträume in denen immer wieder neue Aspekte und Erkenntnisse auftauchen die berücksichtigt werden müssen. Einen wirklichen Eindruck einer Person bekommst du auch nicht alleine aus der Papierlektüre sondern eben erst wenn jemand in den Zeugenstand gerufen wird und Rede und Antwort stehen muss. Wie verhält der sich, wie ist Mimik und Körpersprache, redet er frei oder versucht er irgendwas nachzuerzählen was sein Anwalt ihm aufs Strategiepapier geschrieben hat, wird er beeinflusst oder unter Druck gesetzt u.s.w.
Das ganze wird dann in der medialen Berichterstattung meist auf eine Clickbaitheadline und maximal eine DinA4 Seite Text reduziert. Das man dadurch keine wirkliche Grundlage erhält eine Urteilsfindung objektiv nach zu vollziehen liegt da eigentlich auf der Hand.

Punkt 2: Die Gerichte sind vollkommen überlastet. Es kommt daher nicht selten vor das versucht wird Verfahren so schnell wie möglich zu beenden. Gerade bei Bagatelldelikten oder auch bei zivilrechtlichen „Prinzipienstreitereien“, bei denen lange und zeitaufwendige Verfahren eigentlich in keiner Relation zur Bedeutung des zu erwartenden Urteils stehen ist die „Beschleunigungsprämisse“ nicht unüblich. Da wird dann eben mal schnell die Klage der Nachbarstreiterei wegen ansich für den Fall irrelevanten formalen Fehlern in der Antragstellung abgewiesen oder das Verfahren gegen jemanden wegen des Besitzes von 10 Gramm Cannabis eingestellt um sich eben mit wichtigeren Verfahren beschäftigen zu können.


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