Thema:
Re:Welche Welt darf es denn sein? flat
Autor: token
Datum:24.09.19 14:49
Antwort auf:Welche Welt darf es denn sein? von Sockenpapst

>Ernstgemeinte Frage. Du schmeißt hier lustvoll vieles zusammen und schreibst "Kapitalismus" drunter, obwohl ich ehrlich gesagt nicht davon ausgehe, dass Du a) das Privateigentum an Produktionsmitteln und b) eine freie Preisfindung durch Angebot und Nachfrage grundsätzlich aufheben möchtest...
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Das weiß ich nicht, aber das sind meines Erachtens die Fragen die man stellen muss. Prinzipiell wäre es vorstellbar mit einem Schwenk zu mehr Nachhaltigkeit solche Grundprinzipien zu wahren, Verkaufsfrequenzen würden zurückgefahren, analog würden die Produktpreise hoch gehen, um Massenpleiten zu verhindern.
Wir sind aber schon stark abhängig von dieser Struktur, diese wurde ja nicht grundlos in den letzten 50 Jahren vorangetrieben. Diese Struktur generiert mehr Kapital, daran zu rütteln würde also vermutlich Engpässe im Kapitalkreislauf generieren. Die abfangbar wären, wenn man an der Umverteilung von Kapital schraubt, da wird man aber auf Granit beißen wenn man an die dicken Lederbeutel möchte. Denn die dicken Lederbeutel sind längst in einer Diktatfunktion für staatliche Maßnahmen und sitzen auch dann am längeren Hebel wenn man sich davon von Staatsseite emanzipiert. Da hat man dann ad-hoc die Kubarolle.

>>Die Rolle des Staates wäre nun eigentlich diese Schiefstände zu kompensieren, bspw. indem sie das Kapital verschiebt. Das tut der Staat als mittlerweile verlängerter Arm der Industrie aber nur unzureichend, die regulatorische Auflage ist einfacher in der Umsetzung als wirklich massive steuerliche Auflagen.
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>...im Gegenteil, da, wo Du bspw. hinsichtlich der Rolle des Staates endlich mal konkret wirst, klingt das für mich exakt nach dem Konzept einer sozialen Marktwirtschaft, das wir hier bis in die 80´er hatten, und das trotz einer starken ordnungspolitischen Rolle des Staates und einem massiven Ausbau des Sozialstaats zweifelsfrei als weitgehend kapitalistisch durchging. Es fällt mir extrem schwer zu verstehen, warum hier nicht die Rückkehr zu einem starken, ordnenden und steuerendem Staat möglich sein sollte.
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Dazu hab ich bei Pezking geantwortet.
Kurz: Ein marktwirtschaftlicher Deal ist denkbar, die Industrie bekommt weniger Personalkosten, muss dafür aber Steuern zahlen. Nullsumme. Aber, die Kapitalgenerierung der Industrie fußt auf Wachstum, und da ist die Variable Umwelt. Man dreht sich im Kreis.

>>Aber, warum wird sowas denn von der Bevölkerung getragen?
>>Nun, das wird es zum Teil nicht.
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>Und zu einem ganz erheblichen Teil - der klaren Mehrheit - schon. Aber der Teil wurde ja nur gehirngewaschen, schon klar.
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Da verdrehst du was. Die Gehirnwäsche ist nicht auf Politik gemünzt, sondern darauf was wir für uns selbst als wichtig erachten. Und da ist uns aktuell das immer neue Auto, die Kaffeevollautomaten, die neuesten Konsolen, Smartphones, fesche Klamotten etc. etc. sehr wichtig. So wichtig, das wir nicht mal mehr reflektieren wie viel an Kapital wir da versenken, während wir mit einer maroden Altersversorgung konfrontiert sind, wo wir dieses Kapital bräuchten. Als ein Beispiel von vielen.

>>Unsere eigene Propaganda ist überall, du kannst nicht aus dem Haus ohne sie sofort zu sehen. Sie nennt sich Werbung. Von Geburt an pflanzt uns Werbung Trugbilder und Lügen in den Kopf.
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>Die meisten Leute wären auch ohne eine solche Gehirnwäsche für die neuesten Spielzeuge zu begeistern. Weil besser schlicht besser ist. Oder spielen wir allein aus Gehirnwäsche nicht mehr auf dem NES? Come on.
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Ich sehe das so. Ich komme halt aus Burnout, gesundheitlichem Zusammenbrauch, Blick auf Gesundheitssystem als man tatsächlich darauf angewiesen war und Antibiotika nicht reichte, und auch aus paar Schlussfolgerungen wie etwa berufliches Downsizing und Erfahrungswerten hinsichtlich solcher Perspektiven.

Das alles zu umschreiben würde jetzt ausarten, deswegen dampfe ich es auf den Begriff Gehirnwäsche zusammen, wir setzen imo die falschen Prios, haben die falschen Werte, jagen den falschen Träumen nach. Und machen uns in diesem Bedürfnis Lebensglück zu erleben unglücklich ohne das reflektieren zu können, weil wir es gar nicht anders kennen. Und was wir da tun, das sind nicht unsere Ideen. Es sind Ideen und Ideale die uns von Außen eingetrichtert werden und die nicht funktionieren. Und wenn man das merkt, ist es in der Regel schon zu spät.

Ich rechne hier auch nicht damit dass sowas angenommen wird, dein Lebensentwurf ist bullshit den man dir in den Kopf gepflanzt hat, ist halt schon eine steile Aussage.
Ich denke jedoch so dass das wirklich so ist.
Gerade dein Beispiel NES ist da für mich eher argumentativer Unterbau, es zeigt die Diskrepanz der Essenz die wir für unser Hobby lieben, und wenn man dann den Fuhrpark gegen stellt und den Mangel an Zeit diese Flexibilitäten überhaupt konsumieren zu können, den Irrsinn dahinter wie wir es leben.


>>Aber Konsumschleife und Mangel an Nachhaltigkeit ist Ursache des Problems, Kaufen ist das Problem. That's obvious.
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>Wie willst Du diesem offensichtlichen Problem konkret begegnen?
>

Ich weiß es nicht. Es ist enorm kompliziert wie alles miteinander zusammenhängt und aufeinander aufbaut. Als Beispiel, etwa der Ansatz, umgrooven auf Nachhaltigkeit und Frequenz runter. Aber dann eben die Sorge, geht damit nicht auch massiver Kapitalrückgang einher? Und kriegt man das hin?

Ich behaupte nicht die Lösung zu kennen, ich sage nur, wenn es eine Lösung gibt, dann außerhalb des Systems das wir praktizieren. Denn in diesem System ist die Problematik Umweltsünde so integral verwoben mit den Prinzipien die das System überhaupt am Laufen halten, dass es das Problem nicht lösen kann, nicht lösen wird, und wenn man hinschaut was gerade passiert, auch gar nicht lösen will.

>>Kapitalismus zeigt uns mächtige Triebfedern auf mit Egoismus und Gier, dies kann man nutzen, man muss diese Gier aber auf echtes Glück und nicht falsches und nicht aufgehendes Glück kanalisieren.
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>Du tust so, als schließen sich Konsum und immatrielles Glück kategorisch aus. Dem ist nicht so.
>

Nein, das habe ich so nicht gesagt, und wenn es sich so lesen sollte, ich denke das sich das ausschließt nicht. Ich denke aber schon dass diese Vereinigung für den Großteil der Gesellschaft nicht funktioniert, und dass es nicht funktioniert verdrängt wird.

>>Demokratie ist gut, Freiheit ist Menschen wichtig und ein wertvolles Gut, aber ein Staat muss in erster Linie seinen Bürgern und nicht der Industrie unterstellt sein und sich letztlich seine Autonomie wahren.
>
>Bei diesem Satz schüttelt es mich. Ernsthaft.


Why. Du stellst viele Fragen. Mal eine Frage zurück.
Glaubst du wirklich dass die Industrie staatliche Regulation nicht über die Zeit zunehmend unterwandert hat? Und wenn nicht, woran machst du das fest?
Oder versteh ich falsch was dich da schüttelt?

>>Wir müssen uns einfach die Dinge, die wir unterbewusst eh schon wissen auch mal eingestehen, auch wenn die Erkenntnis einem Angst macht. Und die richtigen Fragen stellen, statt Symptome zu bandagieren. Solange wir das nicht tun bleibt eine erstrebenswerte Welt ein Utopia und die Menschheit auf einer road to nowhere.
>
>Der Road to Nowhere hat für einen unglaublichen Anstieg der Lebenserwartung, Gesundheit und der Überlebenschancen von Milliarden von Menschen gesorgt. Ich finde es komplett schräg, mit welcher Selbstverständlichkeit Du und andere hier "billiges produzieren" auf Basis endlicher Rohstoffe gleichsetzen mit "Kapitalismus".
>

Kapitalismus setzt integral auf Wachstum. Ein Abbruch von Wachstum erschüttert das System. Ich rede die Errungenschaften nicht klein, ich sage nur, diese Errungenschaften haben einen derart hohen Preis, dass diese Errungenschaften alsbald auch wieder auf links gedreht werden. Allerdings mit irreversiblen Schäden an den Dingen die unsere Grundbedürfnisse decken.

>>Eine schöne Welt ist möglich, Menschen die Berufen nachgehen die einen Zweck erfüllen, ein sicherer Altersabend, Kinder die eine Zukunft haben, Menschen die Zeit haben für die Dinge die sie erfüllen, nämlich ihre Familie und Freunde, all das ginge.
>>Aber nicht in diesem System.
>
>Also - was soll es denn werden?


Diese Frage kann ich nicht beantworten, ich denke nur, dass hier ist es nicht. Und wenn wir jetzt nicht langsam diese unbequemen Fragen stellen, die Widersprüche entlarven und die Erkenntnisse der Widersprüche weiter hinnehmen als sei da nichts zu machen, dann berauben wir uns der Chance zu gestalten, dann passen wir uns weiter an. Und das wird nicht gut werden und mit dem Vorspiel einer epochalen Menschheitskatastrophe einhergehen.


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