Thema:
Re:Mal ne andere Frage zur Einwanderung .. flat
Autor: king_erni
Datum:08.06.19 15:10
Antwort auf:Re:Mal ne andere Frage zur Einwanderung .. von Telemesse

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>>>Zumindest für den Handwerksbereich kann ich das hier nicht bestätigen. Da sind die Löhne in den letzten Jahren kräftig gestiegen und auch Ausbildungsvergütungen von ca. 1.200 Euro im ersten Lehrjahr (z.b. Dachdecker) mittlerweile eher die Regel als die Ausnahme. Der Unterschied ist hier aber, daß das Handwerk aktuell gute Erträge abwirft die auch ordentliche Löhne zulassen, in der Gastro und in der Pflege dürfte die Ertragssituation im allgemeinen weniger rosig sein, weswegen sich da natürlich die Frage stellt wie höhere Löhne da bezahlt werden können.
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>>Als ich meine Ausbildung zum Maler gemacht habe gabs ~350€ im ersten Lehrjahr und das war vor ca. 12 Jahren. Der Geselle bei uns hatte so um die 1300 bis 1400 netto und musste im Winter immer 1 bis 2 Monate stempeln gehen. Klar wird das heute alles ein bisschen mehr sein aber von attraktiv kann man da nun wirklich nicht sprechen zumal das oft körperlich wirklich anstrengende Arbeit ist.
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>Was ist denn deiner Meinung nach attraktiv? Also um mal hier beim Beispiel Dachdecker zu bleiben. Bei den hiesigen Betrieben sind da die Löhne in etwa wie folgt: 1. Lehrjahr 1.200, 2. Lehrjahr 1.350 und 3 Lehrjahr 1.500. Anfangsgehalt nach der Ausbildung liegt bei ca. 3.000 Euro. Gesellen mit mehrjähriger Berufserfahrung kommen leicht auf etwa 3.500 bis 4.000 Euro. Erscheint mir jetzt nicht sooo schlecht.
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Dachdecker ist ein irre gefährlicher Beruf, den man nicht zwangsweise bis ins hohe Alter ausüben kann/möchte/sollte. Und deine Angaben sind absolut nicht representativ, die Ausbildungsvergütung hier in HH und Niedersachsen liegt eher bei 600 Euro, 750 Euro und 1000 Euro. Das sind halt Gehälter von denen du hier in HH im 1. Lehrjahr nichtmal ein WG-Zimmer ordentlich bezahlen kannst wenn du nebenbei auch noch etwas Essen und Trinken möchtest. Es ist allgemein so, dass die Ausbildungsgehälter gerade im städtischen Bereich viel zu gering sind um attraktiv zu sein. Und zu deinen 3.000 Euro Einstiegsgehalt nach der Lehre: das ist die Untergrenze der IG BAU, welche aktuell bei 17,64 Euro brutto pro Stunde liegt, und das erreicht man, wenn man 40 Stunden die Woche auf Maloche ist. Davon bleiben für einen Single keine 2000 Euro netto. Das ist mit 25 Jahren als Gehalt sicherlich ordentlich, bei Berücksichtigung des Arbeits-Risikos aber dann doch etwas zu wenig, da:

1.) Dachdecker bleibst du nicht bis 67, du musst also damit rechnen für deine Früh-Rente einen Puffer zu bilden.
2.) Die Aufstiegschancen sind eher mau, selbst Dachdecker-Meister verdienen nicht signifikant mehr (da ist bei maximal 5000 Euro brutto Schluss). Die Selbstständigkeit ist zudem für viele keine Option, da die Zahlungsmoral der Kunden fragwürdig bis schwierig ist, die Ausbilung keine/kaum betriebswirtschaftliche Aspekte hat und nicht jeder Mensch zur Selstständigkeit taugt.
3.) Die Lage auf dem Bau mag jetzt rosig sein, aber gerade wenn die Auftragslage schlecht aussieht, ist das Risiko arbeitslos zu werden deutlich höher als in anderen Gewerken (Insolvenzen der Betriebe sind im Baugewerbe deutlich öfter der Fall als in anderen Branchen).
4.) Dachdecken ein Saison-Geschäft ist, d.h. viele Betriebe im Winter auf Teilzeit umstellen oder viel mit Zeitarbeit oder günstigen Sub-Kräften aus dem osteuropäischen Ausland arbeiten. Das und Punkt 3 in Kombination ist ein Garant für eine eher geringere Beschäftigungsstabilität.
5.) Das gesellschaftliche Ansehen eines Handwerkers, gerade derjenigen auf dem Bau, ist in vielen Regionen Deutschlands nicht besonders hoch. Du wirst also von vielen Mitmenschen eher belächelt, oder als "dumm" abgestempelt. Einen Aspekt, den man auch nicht vernachlässigen sollte.

Und das Gehalt, die Zukunftsaussichten, das Arbeitsrisiko sowie die Beschäftigungssicherheit sind ja nur eine der Aspekte, die jetzt nicht unbedingt für den Beruf sprechen. Es ist schlicht und ergreifend auch ein Berufszweig der nicht als "modern", "cool" und "zukunftssicher" gilt. Viele Jugendliche finden es heute halt erstrebenswerter "Coder", "Grafiker" oder dergleichen zu werden. Das Handwerk hat halt ein krasses Image-Problem, dabei gibt es durchaus viele Aspekte die dafür sprechen, zwei der Wichtigsten für mich wäre folgende:

1.) Man ist weniger "entfremdet" von der eigenen Arbeitsleistung, sprich: man sieht, was man geschafft hat. Dabei ist man oft auch als aktiver Problemlöser unterwegs, der kreativ Dinge ermöglicht.
2.) In keiner Branche wird die Erfahrung so sehr wertgeschätzt wie im Handwerk. Wo in anderen Berufen "Alte" oft aufs Abstellgleis gestellt werden, gelten sie im Handwerk als wertvolle Experten.


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