Thema:
Ergänzung: Eine kleine Nadelkunde flat
Autor: Michael M.
Datum:31.05.14 13:26
Antwort auf:Vinyl - (k)eine Liebeserklärung von Michael M.

Die Frage von DS_Nadine brachte mich darauf, mal ein paar Worte zum Thema Nadel bzw Nadelschliff loszuwerden. Es ist natürlich ziemlich technisch, sollte aber mit ein wenig Vorstellungsvermögen zu verstehen sein.

Das häufigste Problem bei der Schallplattenwiedergabe ist, das hohe Töne unsauber wiedergegeben werden. Häufig verstärkt sich das Problem massiv, je weiter die Nadel zur Plattenmitte ist.

Um das Problem zu verstehen muss man sich zunächst vor Augen halten, wie die Schallplatterille im Studio geschnitten wird. Es wird dort ein  dreickiger Stichel genutzt. Warum dreieckig? Weil die Ecken dann scharfkantig sind und am besten schneiden ;) Wollte man das also nun perfekt abspielen müsste man eine Nadel haben, welche die gleiche Form hat. Das führt aber zu mehreren Problemen. Zum einen wäre die Abstastnadel dann ja auch Scharfkantig und würde die Platte zerstören, zum anderen würde die Nadel auch über den Schallplattenboden schleifen und nervende Nebengeräusche verursachen. Ferner ist es ziemlich zeitaufwändig, einen so kleinen Diamanten perfekt in die richtige Form zu schleifen, daher würden die Abtastnadeln sehr teuer werden.

Darum geht man hin und baut die Nadeln so, dass sie zwar halbwegs korrekt abtasten, aber billig herzustellen sind. Diese Standardnadeln nennt man "Spherisch" und haben schlicht die Form einer Halbkugel. Dummerweise sind diese Kugeln aber zu groß, um den Rillenbewegungen bei hohen Tönen korrekt zu folgen.

Darum ist die nächste Stufe bei der Qualität die elliptische Nadel. Diese kann den Rillenauslenkungen schon deutlich besser folgen. Nachteil ist, dass diese Nadeln penibel genau ausgerichtet werden müssen, schon wenige Grad Schrägeinbau zerstören Klang und Schallplatte. Ferner sind diese Nadeln bedingt durch die Form weniger robust, DJs schwören daher auf Spherische Nadelformen. Bitte versucht niemals mit einer HiFi Nadel zu scratchen...

Da Bilder mehr sagen als Worte hier ein Link wo das ganze mit Zeichnungen veranschaulicht wird:
[http://www.jukebox-world.de/Forum/Archiv/FAQ-Allgemeines/Nadelschliff.htm]

Bevor ich noch etwas mehr zu Nadelschliffen sage ein kurzer Einwurf zum Thema Nadelgewicht. Jetzt mag der ein oder andere denken "Was labert der denn, das Ding ist doch winzig klein und wiegt nix". Das ist zwar richtig, nur wird diese winzige Nadel aber bis zu etlichen Zehntausend mal pro Sekunde in beide Richtungen beschleunigt. Im Hifi-Forum hat mal jemand die Kräfte ausgerechnet die dann wirken, es sind etliche Kilogramm Druck die auf die Nadel wirken. Wie kann man diesen Druck reduzieren? Einfach: indem weniger Masse bewegt werden muss.

Die bewegte Masse besteht zum einen aus der Nadel selbst und aus dem Rohr auf dem sie befestigt ist. Schauen wir uns zunächst die Nadel an sich an. Bei günstigen Nadeln wird ein ganz kleiner Metallkelch hergestellt, in den kommt eine Mischung aus Kleber und Diamantenstaub und vorne wird ein Diamantsplitter reingelegt. Das ganze wird geschliffen und der geschliffene Diamantsplitter liegt später in der Plattenrille auf. Ist billig, funktioniert auch, hat aber zwei Nachteile: das ganze ist bedingt durch den Metallkelch relativ schwer (s.o.) und der Diamant liegt halt "irgendwie" in der Klebemasse. Dummerweise sind Diamantan aber richt in jede Richtung gleich hart, die Wahrscheinlichkeit das er also mit einer weicheren Seite später die Platte abtastet ist sehr hoch. Diesen Nadeltyp nennt man "bonded", oft findet man dann Angaben in Kombination mit dem Schliff, also z.B. "Bonded, Elliptical". Diesen Nadeltyp findet man sehr häufig in den Tonabnehmern, die bei Plattenspielern der 500EUR Preisklasse verbaut werden.

Die nächste Qualitätsstufe ist dann der echte Diamant, der geschliffen und auf das Trägerröhrchen geklebt wird. In den Datenbättern wird das idR als "Nude" angegeben. Nicht nur dass diese Diamanten deutlich leichter sind, sie werden auch so ausgerichtet, dass die härteste Seite in der Plattenrille anliegt. Üblicherweise haben solche Nadeln eine um 50% höhere Lebensdauer als die bonded Nadeln, abgesehen von der Verbesserten Abtastung der hohen Töne. Ich hab mal von den drei Nadeln die ich selber besitze ein Bild gemacht, da kann man die Unterschiede gut erkennen (und auch den Dreck, vorne an der einen Nadel):
[https://www.dropbox.com/s/5zmzldmg5wxpvnt/needle.jpg]

Bei sehr teuren Systemen wird dann noch der Nadelträger (das Röhrchen) statt aus Aluminium aus Bor hergestellt. Bor ist vier mal härter als Aluminium und zudem etwas leichter, so kann das Rohr also deutlich dünner und leichter hergestellt werden um ausreichend stabil zu sein. Leider bricht es auch deutlich schneller ab. Solche Systeme sollte man nur mit äußerster Vorsicht bedienen. Da sowas im vierstelligen Preisbereich liegt wird das aber hier vermutlich eh keine einsetzen (wollen).

Zurück zu dem Nadelschliffen. Qualitativ oberhalb der elliptischen Schliffe sind dann die Nadelformen, welche versuchen das Schneiddreieck möglichst perfekt nachzubilden, dabei aber abgerundete Kanten haben um die Schallplatte nicht zu beschädigen. Solche Schliffe findet man unter Namen wie "Fine Line", "Gyger" oder "Shibata". Solche winzigen Nadeln mit supergenauen Schliffen sind natürlich nur mit hohem Aufwand herzustellen und daher sehr teuer. ferner ist die Ausrichtung noch wichtiger als bei den Elliptischen Nadeln. Diese Nadeln haben aber einen weiteren Vorteil: Auch im Höhenprofil werden die so geschliffen, dass die Auflageflächer größer wird. Dadurch wird zum einen die Platte weniger abgenutzt, zum anderen werden Platten die von normalen Nadeln abgenutzt wurden immer noch sauber wiedergegeben, da die Nadel die Ausfräsungen einfach überbrückt. Um sich den Schliff vorstellen zu können bitte dieses Bild ansehen:
[http://img4.fotos-hochladen.net/uploads/schliffformen6yldaj4sm7.jpg]

Bedingt durch die größere Auflagefläche haben diese Nadeln nochmals eine geringere Abnutzung als die elliptischen Nadeln, das relativiert den hohen Preis etwas - zumindest wenn man die Nadel nicht durch ungeschickte Handhabung abbricht ;)

Sollte jemand von euch einen Plattenspieler mit den weit verbreiteten Ortofon OM10/OMB10 Systemen haben, ist es möglich  dort einfach eine bessere Nadel aufzustecken. OM10 ist eine bonded elliptische Nadel, OM20 nackt elliptisch, OM30 fine line und OM40 ein extrem aufwändiger Gyger Schliff. Die Preisunterschiede zwischen diesen Nadeln sind allerdings enorm.

Ich hoffe das ganze war jetzt nicht zu technisch und zumindest für den ein oder anderen interessant.

Michasel


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