Thema:
Vinyl - (k)eine Liebeserklärung flat
Autor: Michael M.
Datum:03.05.14 13:01

Es ist schon irgendwie seltsam. Die Verkäufe von physischen Datenträgern gehen überall massiv zurück. Überall? Nein ein kleines Gallisc...äh...ein recht großer, meist scharzer Runder Tonträger mit einer Technik, die über 100 Jahre alt ist hat grad sein großes Comeback. Wobei "groß" sicherlich übertrieben ist, allerdings steigen die Verkaufszahlen doch deutlich an, selbst die großen Kaufhausketten haben wieder die Vinylplatten im Programm. Der Saturn hier vor Ort hat eine Vinylregalwand, welche länger ist als die Verkaufsregale für Spiele aller Mobilkonsolen addiert. Ich weiß, blöder Vergleich, brauchen Spiele doch deutlich weniger Platz. Dennoch, dort dürfte inzwischen eine vierstellige Zahl an Vinylplatten zur Auswahl stehen. Es gibt auch wieder fast alles auf Vinyl, von der Wiederveröffentlichung der alten Beatles Scheiben über den Hobbit als Hörbuch bis hin zu Helene Fischer wird inzwischen fast alles aktuelle wieder angeboten.

Es eigentlich fast ein Wunder, dass die Vinylplatte die Jahrtausendwende üerstanden hat. Die Majorlabels veröffentlichten Ende der 90er so gut wie nichts mehr auf der schwarzen Scheibe, aber die DJs in den Clubs wollten einfach nichts anderes spielen, die Handhabung war allen anderen Medien weit überlegen. Auch die Hip Hop Szene kaufte gerne Vinyl, weil die großen Scheiben einfach "cool" waren. Auch im Punk/Indiebereich gab es immer noch unbekannte Bands, welche die Miniauflagen in Osteuropa für kleines Geld pressen ließen und damit die Fanszene versorgten. Irgendwann in den 2000ern ging es dann los. Was der Auslöser war? Keine Ahnung aber plötzlich hörte man immer wieder die Aussage, das Vinyl klänge "so schön warm", eine CD "kühl und unnatürlich". Zu dem Zeitpunkt tauchten dann auch wieder Vinylplatten bei den großen Elektronikmärkten auf, zunächst in ganz kleinen Mengen, inzwischen aber stetig steigend. Seit 2011 hat gar Aldi hin und wieder Plattenspieler im Programm, über die Qualität möchte der Geräte möchte ich mich aber mal lieber nicht auslassen.

Genug des Rückblicks, fragen wir uns doch mal warum die Vinylplatte so erfolgreich ist. Fangen wir mit der technischen Seite an. Gut, das ist langweilig weil es um nüchterne Zahlen geht. Dennoch sollte man sich das mal vor Augen halten, denn grad um die Vinylwiedergabe gibt es so viele falsche Behauptungen, dass man manchmal am liebsten in die Tischplatten beißen möchte, wenn man den Stuss ließt der geschrieben wird. Vielleicht nehme ich jetzt etwas den mystischen Zauber hier für einige aus der Platte heraus, den sie umgibt. Dennoch, lest erst mal bis zum Ende bevor ihr aufschreit ;)

Eine Behauptung die man oft hört ist dass die Schallplatte höhere Töne aufzeichnen kann als eine CD. Nun, das scheint im ersten Moment richtig zu sein, die CD macht bei 20000Hz schlagartig "dicht". Manche wenden ein, dass der Mensch eh nur bis maximal 18000Hz hören kann, andere sagen dass höhere Frequenzen, wenn auch nicht direkt gehört, doch irgendwie wahrgenommen werden. Egal welche von den beiden Aussagen richtig ist, sie spielt in der Praxis bei der Schallplattenwiedergabe fast nie eine Rolle. Wer mal ein wenig rechnet wirst feststellen, dass eine Abtastnadel eine Plattenspielers viel zu groß ist, um solche Frequenzen abzutasten. Am Anfang einer Schallplattenseite, der Rillendurchmesser ist dort am größten und daher die ins Plastik geschnittene Welle am längsten, hat ein Ton von 20000Hz eine Halbwelle mit einer länge von 13µm. Eine normale Abtastnadel hat einen Radius von 15µm, sie passt also schlicht gar nicht in die Welle hinein und kann sie daher nicht abtasten. Nun haben die meisten Plattenspieler glücklicherweise keine einfache runde Nadel, von solchen Grausamkeiten wie den 100€ Geräten die es bei Aldi und co. gibt, sondern elliptische Nadeln. Die haben einen Radius von 8µm und sie kann demnach das oben genannte Beispiel abtasten.

Also alles gut? Von wegen, betrachten wir mal was passiert wenn die Nadel sich weiter in Richtung Plattenmitte bewegt. Die Geschwindigkeit in der Rille wird durch den kleineren Durchmesser immer geringer, innen liegen wir irgendwo bei 5µm Länge für eine Halbwelle, das schafft dann auch eine elliptische Nadel nicht mehr. Der Vollständigkeit halber sei gesagt, dass es noch weitere spezielle Nadelformen gibt, die noch kleinere Radien haben und die auch tatsächlich hörbar besser sind. Diese speziellen Nadelschliffe heißen z.B. Shibata, Fritz Gyger, Van den Hul, Fineline usw und kosten ein Vermögen. ewbenso muss ich auch erwähnen, dass noch andere Bedingungen die Abtastfähigkeit beeinflussen, wie z.B. die Lautstärke des Tons in der Rille, das Thema ist viel zu komplex um es in ein paar Worten zu beschreiben, es soll lediglich die grundsätzlichen Probleme veranschaulichen. In der Praxis kann man davon ausgehen, das am Anfang einer Plattenseite (bei 33RPM) 20000Hz noch abgetastet werden können, gegen Ende einer Seite ist dann bei etwa 14000Hz Schluss, bei Platten mit 45RPM geht es etwas höher.

Es ist im übrigen auch so, dass beim Herstellen der Masterplatte, von der die Abdrücke gefertigt werden, Töne über 15000Hz von vornherein rausgefiltert werden, da ansonsten die Abnutzung der Schneidstichel massiv ansteigt und die Produktion zu teuer wird. Lediglich für exorbitant teure High-End Pressungen werden teilweise spezielle Techniken genutzt, die höhere Frequenzen ermöglichen (Halfspeedschnitt), für 99% aller Plattenpressungen ist das aber völlig irrelevant.

Achja, und wenn einer wegen der "Stufigkeit" des digitalen Signals meckert, es gibt ja nur etwa 65000 Stufen im Signal einer CD, die Platte hat eine deutlich geringere Auflösung, da die Körnigkeit des Vinyls gar keine feinere Abstufung erlaubt. Sucht mal auf google nach Mikroskopaufnahmen einer Plattenrille, dort kann man das sehr schön sehen.

Also, alles Quatsch? Ist der "bessere" Klang des Vinyls nur eine Einbildung von High End Freaks die auch glauben, dass ein Stromkabel für 1000€ besser klingt? Nun, rein technisch betrachtet ja, das habe ich oben ja auch angedeutet. Es gibt noch viel mehr Faktoren welche die Wiedergabe verfälschen, es wird nur noch langweiliger wenn ich die auch noch Erkläre :)

Dennoch höre ich Musik von Vinyl lieber als von CD. Und in der Praxis klingt manche Platte sogar tatsächlich "besser" als die CD. Wobei besser jetzt nicht gleichbedeutend mit "näher am Original" sein muss. Warum ist das so?

Nun, zum einen müssen wir uns erstmal klar machen wie schlecht das Menschliche Gehör ist. Trotz der vielen Schwächen, welche die mechanische Abtastung einer Vinylplatte hat, klingt es für unser Ohr gut. Richtig gut. Eine tehnisch bessere Wiedergabe ist schlicht nicht erforderlich. Dann sind die Schwächen der Platte der Grund für den oft besseren Klang. Bei CDs wird versucht die Aufnahme so laut es irgendwie geht aufzunahmen ("Loudness War"). In dem Krach gehen feine Details völlig unter. Eine Platte kann das schlicht nicht wiedergeben, also müssen die Hersteller die Aufnahme konservativer Mastern. Dadurch klingt es feiner und lebendiger. Schallplatten fügen bei der Widergabe der Aufnahme Signalverfälsschungen hinzu, welche vom Hörer als angenehm empfunden werden.

Auch psychologische Effekte spielen eine Rolle. Eine große schwere Schallplatte mit schönem Cover vermittelt einfach ein anderes Wertigkeitsgefühl. Dazu kommt, dass die Kompliziertheit des Abspielens einer Schalplatte einen "entscheunigenden" Effekt hat (Ich hasse dieses Modewort aber mir fällt kein besseres ein). Ich stelle bei mir selbst immer wieder fest, dass ich Platten viel intensiver höre, weil ich mir auch entsprechend viel Arbeit machen muss um sie zu hören. Der Datenträger muss vor dem Abspielen gereinigt werden, mann muss ihn vorsichtig behandeln und es gibt keine Fernbedienung um mal eben zum nächsten Lied zu springen.

Das ganze funktioniert natürlich nur, wenn man einen ordentlich konstruierten und eingestellten Plattenspieler mit gutem System und möglichst hochwertiger Abtastnadel hat. Wenn interesse besteht kann ich zu dem Thema auch gern was schreiben.

Ich geh dann mal nach nebenan und lege die London Grammar Vinyl LP auf. Wenn Hannah Reid dann die ersten Töne von "Wasting my young years" ansingt werde ich eine Gändehaut bekommen. Ein Effekt, der bei der CD Aufnahme des Titels nicht passiert. Vielen Dank für das Lesen :)

Michael


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