Thema:
Re:Glaubt das mal nicht, ihr jungen Hüpfer! flat
Autor: Felix Deutschland (deaktiviert)
Datum:31.05.13 23:19
Antwort auf:Glaubt das mal nicht, ihr jungen Hüpfer! von geraldo

>Auch 82' im zarten Alter von 7 Jahren war mir das suspekt in einer ähnlichen düsteren Lokalität für 50 Pfennig ein Eis zu kaufen. Vokuhilas jeglicher Altersklasse mit Jeansjacken um 11:00 Uhr am Biertrinken und Kettenrauchen. Ich glaube nicht, dass das 85' schon besser war.
>Aber ich finde auch, die Doku ist spitze und ich suche immer noch nach einer besseren (Bild)qualität. Das würde ich mir gerne ins Regal stellen. *Stock schwenk*


Absolut, auch wenn einige Szenen schwer inszeniert wirken (Das Abendessen mit dieser xbeliebigen Ollen, die man zuvor und danach nie wieder sieht; dieses "ungezwungene" Gespräch zwischen dem Hamburger Schnörres-Nuscheler und seinem Kumpel, da trau ich Ziegler Film einfach alles zu), am spannendsten fand ich wirklich die Dokumentation von Alkis, die sich quasi nebenher ergab. Ich hab so meine Zweifel an der Authentizität des Protagonisten (Er wirkt, selbst, wenn nichts gespielt ist, trotz allem gekünstelt, und manche Arrangements sind auch klar als solche erkennbar, wie die Anfangsszene oder den "Vortrag", den er vor einer Mint hält), aber ich bin gewillt, das zu kaufen, einfach, weil die gezeichnete Figur so glaubwürdig ist. Ein Drifter, absoluter Narziss, der durch schäbige Gasthäuser mit Etagenklo quer durch die Republik kurvt, quasi als Zwangshandlung (Naja, Spielsucht halt) in einem an sich sehr tristen Ablauf festhängt, schwer ins Objektophile ausstrahlende Beziehungen zu dieser Slotmaschinen-Baureihe pflegt ("Die Mint, die lockt! Mehr noch als ne Frau!"), dieses obsessive, gepaart mit einem Lebensstil, der natürlich zum Scheitern verurteilt ist und eine heftige Bruchlandung in der (LEIDER!) nicht gezeigten Zukunft versichert, das ist schon fasziniert, für sich betrachtet.

Dem ist auch Geld scheißegal, merkt man ja später im Film, wo er erzählt, dass er total viel Geld verliert, wenn er mit ner Frau abends ausgeht für tausend Mark. Da frag ich mich, ob der nicht Nutten meint, weil tausend Mark hat damals Ausgehen für "Normale" Menschen nicht gekostet, in Zeiten, wo ein Bier höchstens ne Mark kostete. Aber schön mit nem dicken Benz rumcruisen und sich die Anzüge maßschneidern lassen (Das Gespräch mit dem Schneider ist so geil awkward, wird nur getoppt von der unfassbaren "Date"-Szene). Warum? Kein Plan! Möglichst alles rausholen, bevor die "Mint-Zeit vorbei ist" und möglichst alle "Gurken leerfegen". Wobei das schon den Eindruck hat, als wär die Zeit vorbei und nur bei den planlosesten Wirten noch in der Bude steht. Oh Mann, Wolfsburg und Braunschweig Anfang der 80er... "Am Wochenende ist hier doch alles zu! Da seh ich die Mint durchs Fenster, aber kann die Gurke nicht leerfegen!"

Einfach ein geiles Thema ab von den heute nur noch tiefproblematisch und mit lauter Spielsuchtexperten und drohendem Unterton erzählten, kunstlosen 45-Minuten-Problemdokus aus dem Dokumaten.

aber diese minutenlangen Einstellungen der Trinkgemeinschaften (Alter, die Rhein-Kreuzfahrt...) sind ein für mich sehr interessanter Einblick in eine BRD, die in der gestreamlineten Guido-Knopp-Sandra-Maischberger-60-Jahre-Schland-hooray-"Zeitgeschichte" nicht mehr stattfindet. Gut, es gibt auf 3sat dieses "Vor 30 Jahren...", aber das ist afaik auch nur ein Mashup aus Berichten aus Politmagazinen zu der Zeit, und keine ganzen Dokfilme, die ich auch heute noch in voller länge gern gucken würde. Aber dann müssten die ja Geld locker machen, da ist es einfacher, die Archive zum drölftausendsten mal zu plündern und der Ziegler stattdessen ordentlich TV-Film-Kohle reinzuschieben. Sowas einfach mal nicht als Montage von Archivmaterial zu sehen, sondern einfach mal länger was zeigen, wie so Situationen eskalieren in der Kneipe oder kurz davor scheinen. Der Altersschnitt der Kneipengänger, alles Leute, die im Krieg schon erwachsen waren. Die Mitläufergeneration, die nach dem Krieg alle Zeit der Welt gehabt zu haben schien, im eigenen Spießertum zu degenerieren und die schlechte Zeit bis zum eigenen Exodus aus der Erinnerung zu saufen, schön mit den in der Volksschule auswändig gelernten Heimatliedern.

Vielen dank für den Link!

Und ja, ich hab solche Kneipen als kleiner Junge auch noch erlebt, wo ich total verstört nach dem In-letzter-Minute-noch-gepisst-zu-haben-Moment auf ner Fahrradtour wieder aus diesen Pinten rauskam, weil ich brüllend von den Stamm-Alkis ausgelacht wurde, aus Gründen, die ich absolut nicht verstanden habe (Ich hatte als Fünfjähriger keine wirkliche Vorstellung von "Besoffen sein").


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