Thema:
Re:düster = Auslegungssache flat
Autor: Sven Mittag
Datum:21.04.20 11:01
Antwort auf:Re:düster = Auslegungssache von token


>Sie sind darauf fokussiert, das heißt nicht dass es für diese einen Tunnelblick gibt. Wenn man was diskutieren möchte muss man sich da auch einschränken und kann nicht jeden Aspekt berücksichtigen.
>Und hinsichtlich deiner angeführten Seiteneffekte des Lockdowns hielt ich es einfach für vernachlässigbar, weil die aktuelle Auslegung von Einschränkungen ja Temporärlösung im akuten Krisenmanagement war und nicht Dauerentwurf darstellt.


Gut, dies ist vielleicht einfach eine unterschiedliche Auffassung. IMHO sollte bei elementaren Dingen (Landespolitik) niemals der Fokus nur auf das (Haupt-)Problem liegen, sondern immer soweit menschlich überhaupt möglich auf nahezu alle Faktoren. Gerade bei so Kleinigkeiten wie den Einschränkungen der Grundrechte.

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>Wir erinnern uns, mathematische Modelle hatten vor den Schulschließungen afair rund 10 Tage hochgerechnet bis das Gesundheitssystem nicht mehr hinterherkommt.
>Und auch hier nicht vergessen, die Ausgangslage in Schweden war nicht derart dramatisch wie bei uns, sie hatten noch den Puffer um Top-Down-Korrekturen in den Regulierungen zu fahren, Deutschland hatte hingegen genau eine Kugel im Magazin, ein Schuss der sitzen musste, und der Blick nach Italien hat gezeigt was passiert wenn er nicht sitzt.


Ich glaube, hier gibt es keinen Diskussionsbedarf. Der Lockdown war in Deutschland alternativlos. Sicherlich auch aufgrund der Politik, die viele Schritte zu spät hat gehen wollen (Fasching), aber halt nicht nur (Der Effekt vom Österreich-Tourismus war sicherlich nicht seriös absehbar).

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>Es gehört auch nicht zum Konzept des aktuellen Vorgehens diese Problematiken fortan zu ignorieren, es soll ja gelockert werden. Und jede Lockerung hilft den Betroffenen die du anführst. Es war nie geplant diese Problematiken zu ignorieren. Solche Lockerungen werden aktuell auch umgesetzt. Und wenn es greift, wird es auch ausgebaut.
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Und hier fängt mein Problem mit dem jetzigen System an. Aus Angst einer "zweiten Welle" ist die Politik zu vorsichtig. Zwar kann ich es aus Sicht der Politik verstehen, als Naturwissenschaftler aber nicht. Die Gefahr eines Reflaming in der Gesellschaft besteht bei jedem Schritt und mag er noch so vorsichtig sein. Die Wahrscheinlichkeit bei einer langsamen Öffnung ist nicht zwingend geringer. Das Hauptproblem ist ja nicht, ob Media Markt und Spielplätze offen sind, sondern wie verantwortungsvoll die Bevölkerung mit den Massnahmen umgeht. Perfektes Hygienemanagment und wird bräuchten gar keine Einschränkungen bis auf die der Hygiene selbst. Und ja, mir ist klar, dass hier menschliche Habits und generell der Bildungsstand der Gesamtbevölkerung dieses Szenario zur reinen Utopie verkommen lassen. Es können aber auch schon leichte Lockerungen verheerende Folgen haben, wenn die Bevölkerung dies als Anreiz sieht, die Gefahr wäre komplett gebannt oder aufgrund von Frust den Weg nicht mehr mitgeht.

Und hier sehe ich (und ja Ethikrat, Leopoldina, Kassenärztliche Vertretung) das Problem am deutschen Weg: Die Angst auf Versprechungen führt zu einer momentan sehr perspektivlosen Politik. Wieso (auch ohne Wissen des genauen Verlaufs) zumindest nicht einen groben Fahrplan für die langsame Öffnung und eine Exitstrategie nennen. Wieso immer nur kleine Schritte mit dem Vermerk "Und dann schauen wir mal in 2 Wochen". So etwas ist schlicht zermürbend. bzw. für manche Industriezweige (Gastro, Hotellerie) schier haltlos. Mir ist klar, dass von den Politiker niemand die Schmach des Zurückruderns haben will. Aber da dieses Risiko selbst beim vorsichtigsten Vorgehen immer im Raum steht, wäre es wichtig einen nachvollziehbaren Plan zu bieten.

Und auch hier kommt gleich der nächste Kritikpunkt: Wieso machen Sie alles so langsam? Wenn ich ein Konzept habe, kann ich dieses halt auch konsequent vorbereiten. Wieso wurde die Leopoldina so spät eingeschaltet. Wieso überhaupt nur die Leopoldina? Wieso bei so elementaren Umwürfen in der Gesellschaft nicht Fachgruppen für jeden betroffenen Teilaspekt? Wieso sollen die Kultusminister erst Wochen nach Lockdown sich Gedanken über das Vorgehen von Schulöffnungen machen. Dies sind Dinge, die eigentlich schon ab Tag 1 der Kontaktbeschränkungen in Angriff genommen gehört hätten. Und wo jetzt schon ohne weiteres seriöse Pläne stehen könnten.

>Und nun drehen wir das Ganze mal um. Welche Perspektiven siehst du denn im Schwedenmodell für die Risikogruppen. Welche Maßnahmen könnte man bei lascher Regelung im Verbund mit hoher Durchseuchung treffen? Mir fehlt da die Fantasie, es scheint mir ein Problem ohne Lösung zu sein. Heißt, das Schwedenmodell müsste deutlich effizienter bei der Eindämmung des Virus werden wenn es diese Gruppen schützen möchte. Das will es aber gar nicht. Also, was ist der Plan? Was ist die Perspektive? Ein Herdenschutz der mathematisch nicht zu Stande kommen kann? Wegsperren bis zum Impfstoff, ohne Konzept für die Betreuung. Was ist die Idee dieser Strategie um dieser Problematik zu begegnen?

Naja, du hast selbst mal sehr treffend gesagt: In einer Krise muss man schauen, was realistisch machbar ist, nicht was wünschenswert ist. Der Risikogruppe bleibt bei jedem Modell nur der konsequenten Selbstschutz durch entsprechende Hygienemassnahmen. Deine Aussage im vorigen Thread trifft zwar zu, dass beim Schwedenmodell das Risiko für die Risikogruppe grundsätzlich höher ist, da statistisch bei Fehlverhalten die Wahrscheinlichkeit auf Infektion zunimmt bei höherem Grundrauschen. Aber dies halt auch nur über eine gewisse Grunddauer und stetig abnehmend je höher der Durchseuchungsgrad ist. Das schwedische Modell (und dies kommunizieren sie ja auch) nimmt dies sehr bewusst in Kauf. Ebenso eine höhere Sterberate innerhalb der Bevölkerung. Eben mit dem Argument, dass sie annehmen, dass diese am Ende nicht so viel höher liegen wird (reiner educated guess der Entscheidungsträger) und die gesellschaftlichen Schäden dies aufwiegen (reiner educated guess der Entscheidungsträger). Dennoch fahren Sie momentan nach den harten Fakten (Sterberate auf Gesamtbevölkerung) gar nicht mal SO schlecht und deutlich besser als die deutsche Presse und manche User hier immer rausposaunen. Erstes erschließt sich mir sowieso nicht, da es schon sehr vermessen ist, wenn ein ARD-Korrespondent täglich die gleiche Frage stellt, nur um täglich die gleiche Antwort zu erhalten. Diese mag zwar nicht seiner Meinung entsprechend, aber ist ja nicht total GAGA. Da ist das Verhalten schon wahnsinnig vermessen. Wird aber hier abgefeiert…

Um zum Schluss zu kommen: Die Idee hinter der Strategie ist einfach. Während einer Pandemie werden immer Menschen sterben. Nur ein Lockdown kann dies verhindern, aber halt auch nur so lange der Lockdown besteht. Jede Öffnung wird uns die Schweden aufholen lassen. Je näher wird dem schwedischen Modell kommen, desto mehr werden sich die Todeszahlen angleichen. Und hier heißt es halt am Ende abwägen, wie viele andersweitige Probleme ein offensichtlich gerettetes Menschenleben einem wert ist. Dies ist kein angenehmer Gedanke, entspricht aber halt die Abwägung, die man gerne mal in der Medizin oder Politik treffen muss. Am Ende wird die deutsche Politik aber auch bei uns bis zu einem gewissen Grad wieder Normalität schaffen müssen, da wir eben nicht von Zeitspannen über Wochen oder ein paar Monate reden. Sondern realistisch von mindestens 18 Monaten und spätestens in ein paar Monaten wird die Bevölkerung nicht mehr so positiv der Sache gegenüberstehen.

Gleiches gilt aber halt auch umgekehrt für Schweden (und jede vernunftbegabte Regierung). Sollte deren Infektionskurve sich nicht weiter (wie sich ja gerade abzeichnet) langsam sinken, werden die im Notfall sicherlich auch einen Lockdown anstreben müssen. Dies haben Sie ja selbst kommuniziert und nun auch vorab die rechtlichen Grundlagen dafür geschaffen.


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