Thema:
Re:Ten Years [Netflix], 2015, HK flat
Autor: chifan
Datum:23.10.19 12:06
Antwort auf:Re:Ten Years [Netflix], 2015, HK von Hattori Hanzo

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>>>Der Unterschied wäre dann aber dass das eine von unten kommt und eine Stimmung der Gesellschaft abbildet, das andere direkt und indirekt von oben käme, also staatliche Propaganda.
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>>Mhmm, selbst bei Werken wie bspw. My People, My Country (auch wenn ich den nur von den Erzählungen meiner Frau kenne, die da jetzt nicht so begeistert war) bedeutet es nicht, dass dort alle Regisseure von oben indoktriniert worden sind, ihre Episoden so zu drehen, wie sie sie gedreht haben. Eventuell sind das tatsächlich deren Vorstellungen.
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>Nunja, ich meine jetzt auch nicht nur indoktriniert, sondern die vielen Hürden und Anpassungen die durch Produzenten und National Radio and Television Administration.
>Über die Probleme von chinesischen Filmemachern findet man viel, auch von den eher offeneren Filmemachern selbst. Feng Xiaogang (von dem auch Youth stammt!), Jia Zhangke, Xie Fei, ... haben sich schon öffentlich über den Einfluss beschwert. Eine der relativ klaren Aussagen war "Censorship kills art".
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>Es gibt in China schon talentierte Regisseure, und manche von denen haben sicherlich auch die Freiheiten, innerhalb eines Rahmens so zu drehen, wie sie wollen. Aber gerade durch die vielen Produzenten und speziellen Vermarktungsstrategien werden den Regisseuren dort noch mehr Hürden gelegt als es sonst schon im Filmbusiness übrig ist.


Die Einflussnahme und Beschneidung sehe ich ebenfalls kritisch und stimme den oberen Aussagen auch zu. Aber darum ging es mir nicht. Mich stört das unterschiedliche Maß mit dem gemessen wird. Ein völlig überzogener (man könnte auch sagen antichinesischer) Film wie Ten Years der politisch durchaus eine Agenda verfolgt, wird auf der einen Seite als kritische Auseinandersetzung betrachtet, ein völlig gegensätzliches chinesisches Pendant würde dahingegen im gleichen Atemzug als Propaganda abgestempelt werden. Das passt doch einfach nicht. Und das hätte rein gar nichts mit Zensur zu tun.

>Besonders hart hat es Hong Kong übrigens auch dort getroffen. Die HK Filme die in China laufen wollen (was halt für kommerzielle Werke essentiell ist), müssen bestimmte Vorraussetzungen erfüllen, schon bei der Produktion. Welche Auswirkungen dass auf den Hongkong Film hat, darüber könnte man eine Doktorarbeit schreiben. Ich hab da mal ein 20-seitigen Bericht drüber geschrieben, falls du Interesse hast.
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Aber wie war es denn vor 1997? Die Zensur in China war damals doch deutlich strenger. Unabhängig davon waren die populären HK-Filme reine Unterhaltungsprodukte (Action, Martial Arts) bei denen wenn dann eher Gewalt gekürzt wurde (wie auch in Deutschland, wo Filme geschnitten erschienen). Arthouse Kino oder gesellschaftskritische Filme liefen doch damals, genauso wie heute, schon unter der Wahrnehmungslinie. Hatte bspw. Wong Kar Wai auch nur einen Film der finanziell durchgeschlagen hat? Der hat doch seine Filme auch über irgendwelche Zuschüsse finanziert. Sind für den Niedergang des HK-Kinos nicht viel mehr die Asienkrise in den 90er Jahren sowie die Veränderung des Kinos/Filmgeschmacks an sich als ursächlich zu sehen?  

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>>Auf der anderen Seite hast du bei Ten Years Filmemacher, eher Intellektuelle, dazu vielleicht noch Antichinesisch eingestellt, die ebenfalls einen anderen Blick auf die Gesellschaft haben, als bspw. die Arbeiter in den Sweatshops. Da von einer gesellschaftlich repräsentativen Darstellung zu sprechen, ist mir auf Grund der völligen Einseitigkeit schon zu simpel. Und das ist der Punkt der mich wirklich nervt. So lange das Ganze von der falschen ideologischen Seite kommt, wird sofort die Propagandakarte gezückt, hier ist das Ganze aber natürlich gesellschaftlicher Konsens.
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>Ja, natürlich hast du da ja junge Filmemacher, eher Intellektuelle, die diesen Film bewusst im Zuge der National Curriculum Demonstrationen und der Umbrella Bewegung geschrieben und gefilmt haben. Das ist ein politischer Film. Und Filme dürfen doch politisch sein. Und daher finde ich es auch nicht notwendig, dass er andere Probleme anspricht, das ist ja kein Film über alle Probleme Hongkongs, sondern eine Dystopie über die Zukunft Hongkongs.
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Natürlich darf ein Film politisch sein. Aber vor dem Hintergrund sollte man dann aber auch erwähnen, dass er sehr einseitig und ideologisch geprägt ist. Wie gesagt, ich finde den Film in einigen Aspekten gut, mir missfällt allerdings die Doppelmoral bei der Bewertung.

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>>>Die Sache ist ja, dass der Film ja der Zeit stattgehalten hat, gerade wenn man sich HK jetzt anschaut.
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>>Ich finde den Film in einigen Aspekten auch gut. Mir fehlt hier nur ein Eingehen auf breitere gesamtgesellschaftliche Problemstellungen. Hier sehe ich nur das Schüren von Ängsten und nur ein einziges vorhandenes Problem - China. Kein Eingehen auf die jetzt schon mehr als beschissenen Lebens- und Wohnungssituationen vieler Menschen, deren Arbeiten zu Hungerlöhnen und einer extremen Schere zwischen Arm und Reich.
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>Siehe oben, ich finde das muss ein 100 minütiger Film nicht.


Nein natürlich nicht, aber der Vergleich mit den anderen Ten Years Filmen wurde ja von dir angeführt. Und in diesen scheint man sich der Thematik deutlich vielfältiger angenommen zu haben.

>Und das China Problem wird nunmal in der Bevölkerung als das elementare Problem gesehen, weil es oft auch Grund für andere gesellschaftliche Probleme ist bzw. so gesehen wird. Die Probleme der Wohnsituation ist ein Problem was es schon sehr sehr lange gibt, und die Verschlechterung wird ja auch, nicht nur, den Chinesischen Investoren zugeschoben. Die Schere zwischen Arm und Reich steigt, ja, trotz Mindestlohns, es sind diverse politisch lösbare und (leider) stark in HK verankerte Probleme.

Aber das sind doch alles Probleme die entstanden sind, lange bevor die Rückgabe an China erfolgte. Die Käfigwohnungen gibt es doch seit den 50er Jahren. Die Menschen wurden unter britischer Kolonialmacht ausgbeutet und diskriminiert. Hat irgendwie nur kein Schwein interessiert.

>Das ist etwas was HKer beschäftigt, aber nicht als "Zukunftsangst" beschrieben wird. Und darum geht es ja in 10 Years. Um Zukunftsangst, um eine Angst die man schlecht politisch lösen kann, zumindest nicht unter dem jetzigen politischen System, was allerdings auch nicht das ist, was den HKern vor 1997 unter dem Basic Law versprochen wurde.
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>>>Ich komme gerade aus Hong Kong zurück, habe ein paar Demonstranten begleitet und mit ihnen geredet, war auch mitten in der Demo von Montag. Der Film spiegelt sehr schön die Ängste wieder.
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>>Naja, was solltest du von denen auch anderes hören :). Hast du auch mit denen gesprochen, die da nicht mitdemonstrieren :)?
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>Das krasse ist ja, das man das Gefühl hat, bei der Bildung einer Nation dabei zu sein. Es gibt einmal die extrem vielen, die mitdemonstrieren. Und dann extrem viele, die nur am Straßenrand stehen und zuschauen. Gegenstimmen gibt es äusserst selten. Beispiel: Ich sitze in der Star Ferry von Kowloon nach HK Island, ein Mann holt seine Mundharmonika raus und spielt "Glory to Hongkong", die quasi Nationalhymne Hongkongs. Einige singen mit, am Ende klatschen 90% der Leute an Bord. Es mag unterschiedliche Meinungen zur Art der Proteste geben, zur Vorgehensweise, aber bei der Generation unter 50, also für diejenigen die 2047 noch bewusst miterleben, ist die Unterstützung enorm.
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Ich finde die ganze Situation ziemlich skurril. Unabhängig davon, dass da mitunter Leute die nach 1997 geboren sind, sich die Britten oder Unabhängigkeit zurückwünschen (was mich an die nach 1990 geborenen in Ostdeutschland erinnert, die "Ihren" Osten zurückhaben wollen *lol*), hat man ganze 156 Jahre unter britischer Fuchtel gestanden, war besetzt von einer Nation die da nichts, aber auch gar nichts verloren hatte, hatte kein Wahlrecht, wurde ausgebeutet und als Mensch zweiter Klasse betrachtet, aber aufgestanden, von ein paar Unruhen in den 60ern abgesehen, ist da niemand. Muss man das verstehen?


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