Thema:
"Schlecht" ist so ein starkes Wort flat
Autor: Felix Deutschland (deaktiviert)
Datum:31.07.14 19:39
Antwort auf:Re:Achso: Hat jemand Links zu guten Reviews der Serie? von magus

Vorweg: Ich will niemandem The Leftovers madig machen oder es schlechtreden. Ich finde die Show nichtmal in ihrer Gesamtheit "schlecht", aber auch nicht wirklich gut. Was aber nicht bedeutet, dass sie durchschnitt wäre, belanglos ist die Show nämlich nicht. Sie macht viele interessante Sachen, die sonst im seriell erzählten Fernsehen niemand machen würde, seien das Plotpoints oder die Art, wie die Hauptfiguren angelegt sind oder der ganze christlich-mythologische Unterbau, der sehr nonchalant durch die Serienprämisse infrage gestellt wird.

Als Darstellung von Amerika, wo einfach jemand den Drehregler des Landes auf "11" hochgedreht hat und wo bestimmte, in unserer Realität lediglich latente Konflikte offenliegen und ausgeführt werden.

Eine Serie über "rapture" kann auch nur aus einem Land kommen, dessen Bevölkerung sich so obsessiv und lebhaft mit dem Weltuntergang beschäftigt wie sonst kein anderes.

Das ist erstmal sehr interessant!

>Vielleicht ist es auch noch viel zu früh The Leftovers verstehen zu wollen nach 5 folgen. Wir wissen ja noch nicht wirklich wo die Reise hingehen soll bei der Serie.

Mein Punkt ist ja, dass es da sooooooooo viel nicht zu verstehen gibt. Ich rate ja den Leuten hier explizit davon ab, die Show als Mysteryserie zu gucken, wenn das bedeutet, dass diese Leute hoffen, dass irgendwelche "Rätsel" hinter der Rapture oder so noch enthüllt werden. Ich glaube, es wird mehr und mehr "seltsame Ereignisse" geben, aber die Serie dreht sich, und imo hat sie auch nie irgendwas anderes angedeutet, "nur" um den Schmerz und die Desillusionierung der Leute, nachdem sowas wie die Rapture passiert ist. Sicherlich gibt es Sachen, die wir noch nicht wissen - woher kommen die Guilty Remnant? Bringt die Regierung systematisch Endzeitkult-Mitglieder um? - aber die sind, bis auf den magischen Schwarzen, allesamt nicht sonderlich übersinnlich mysteriös.

Ich finde das _gut_, dass die Show nicht den Fehler macht, ständig auf den mythischen Hook zurückgehen zu müssen um diesen "aufzuklären", weil das Publikum sich das angeblich wünscht. Ich finde es gut, dass sich die Sendung einzig und allein auf die Leere im Leben der Figuren konzentriert und gar nicht erst die Hoffnung aufkommen lässt, dass hier irgendwelche mysteriösen Elektromagnetismuspumpen und Energiestöpsel und leuchtende Brunnen als dahingehuschte "Erklärung" für den seltsamen Shit herhalten müssen.

Ich hatte nur das Gefühl, dass die meisten hier im Thread bei der Show was zu "rätseln" vermuten. Und da wollte ich nur guterdings empfehlen, die Einstellung fallen zu lassen, weil man sich sonst auf lange Sicht sehr, sehr über die Show ärgern wird.

>Es ist bis jetzt auch kein Highlight und verfolgt die von dir genannten punkte ganz gut. Hier ein sympathischer Taugenix, da ein wenig Mysteryshizzle, am ende noch eine Priese Esoterischen Schwachsinn und voilà haben wir genug Stoff um mich zu begeistern.

Es ist eben kein "esoterischer Schwachsinn", imho. Einer der Grundkonflikte ist, zumal in Amerika, eine krasse Sache: "Klassische" Religion ist egal. Das, was die Guilty Remnant bieten, ist quasi ein Ausklinken aus der Gesellschaft, um selber keinen Schmerz mehr zu fühlen (Ein egoistischer wie feiger Gedankengang), die Westboro-Baptist-Church-Anspielungen sind ja kein Zufall.

Die so schon erkennbaren Bruchstellen der amerikanischen Gesellschaft treten klar hervor, die Brüche sind quasi schon passiert, und jetzt werden, pun intended, die Reste weggefressen. Die Reste dessen, was eine Gesellschaft zusammenhält bzw. wie leicht diese auseinanderbricht auf der einen, und der individuelle Kampf jedes einzelnen um seine geistige Gesundheit auf der anderen Seite.

"The Leftovers" wäre bspw. eine sehr, sehr andere (nicht schlechtere, eher sogar interessantere) Show, wenn bspw. die Hauptfiguren schwarz wären. Aber wahrscheinlich wäre es eher GAR KEINE Show, weil das Verhältnis von Afroamerikanern zu Religion ein klar anderes ist als das von White Anglo-Saxon Protestants. Dafür muss man sich bloß mal die Gottesdienste beider "communities" angucken.

Aber, wir haben Theroux. Und er ist kein "sympathischer" Taugenichts, er ist einfach nur ein Taugenichts, punkt. Wir können uns oft nichtmal sicher sein, ob das, was wir (durch ihn) sehen, echt ist. Das ist nicht gut, aber auch nicht schlecht. Es ist ungewöhnlich und interessant. Die Inkompetenz in seinem Job wird ja auch nicht behauptet, sondern relativ geschickt und sorgfältig gebaut. Wo sich in den meisten Mysteryserien Figuren einfach aufführen wie im wahrsten Wortsinn "unvorstellbare" Idioten (The Dome S02 anyone?), kann man hier schon klares "by design" attestieren, wenn es um die Figur Kevin geht. Und sein äußerer Konflikt - Guilty Remnant beschützen = Seine (Ex)Frau beschützen vs. Verhindern, dass sich in seinem Kaff alle gegenseitig umbringen - ist ebenfalls stark und interessant.

Ich fänds aber auch wissenswert, für wie viele Seasons die Serie ausgelegt ist, denn so wie es jetzt läuft, ist das alles derart deprimierend und trostlos, dass man nach spätestens drei staffeln sich selbst auf nem kippeligen stuhl mit der Wäscheleine um den Hals wiederfinden wird.

Auch diese Hingabe zum schlechte-laune-TV ist interessant. Interessanter zumal als bei The Walking Dead, wo das "Alles ist scheiße und wir werden alle verrecken" eine gar nicht groß verhandelte Tatsache ist.

>
>Mit deinem Restessen posting schaffst du es aber wieder mal einem die Serie madig zu machen. Wobei ich mich auch schon an Flash Forward erinnert gefühlt habe, welche ich damals zum Ende hin aber gar nicht so schlecht fand.


Das war nicht meine Absicht, und mein Flash-Forward-"Vergleich" war sowohl gemein als auch ausschließlich auf Justin Theroux bezogen.

Wie gesagt, interessante Type. Der Darsteller ist vom ganzen Auftritt und Erscheinungsbild natürlich sehr charismatisch, aber man darf sich davon nicht täuschen lassen, dass er es als Mensch ganz und gar nicht ist (Die Figur, die er spielt - nach allem was ich weiß, ist Justin Theroux selbst ein piekfeiner Zeitgenosse). Schon ein geschicktes Stück Casting.

>Nach folge 3 lief noch ein preview auf den Rest der Staffel (Hat wohl jemand vergessen für den DL raus zu schneiden) wird es wohl wirklich darauf hinaus laufen das .

Ja gut, alles andere hätte mich auch stark überrascht.

>Das sind so Geschichten die ich für Blöd halte aber wahrscheinlich kommt da noch ein dicker Twist ins Spiel.

Ich verspreche dir, dass du mehr Spaß an der Show haben wirst, wenn du dich nicht auf "Twists" im Sinne von LOST freust.

>Ich will viel mehr über die Motive der Guilty Rennamts erfahren. Auch ihre Anführerin scheint die Sache sehr locker anzugehen. Die quatscht ja auch wie sie lustig ist.

Ja, auf jeden Fall. Das wäre schon interessant. Ich vermute aber nicht, dass die Antworten darauf allzu große Bedeutung für die Geschichte an sich haben (Wird Mapleton "ethnisch" gesäubert?).

Andererseits kann Theroux' Klapsmühlenvadder jederzeit enthüllt werden als göttliches Medium, und seinem Sohn erzählen, dass der Herr ihm einen Engel an die Seite gestellt hat oder whatevs. Wobei die Show das ja quasi schon gemacht hat und es nur eine weitere Ambivalenz im kleinen Hirnfick-Spiel mit den Zuschauern darstellt "Ist Sherriff Kevin Dings verrückt?"

Und, ja, er macht auf mich schwer den Eindruck, als würd er peu a peu Tassen aus seinem Schrank verlieren.

>(Ihre Seite im Netz lässt mich nicht schlauer werden [http://guiltyremnant.com/])
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>Ich hoffe wir bekommen stattdessen noch einige Episoden wie Nr. 3 mit dem Priester. Die fand ich großartig und weiß auch ehrlich gesagt nicht warum. Vielleicht hat sie mich auch einfach nur an die seeligen LOST Zeiten erinnert,


Joa. Die Folge war gut, weil sie halt aufrichtig und schnörkellos traurig war. Sie hatte eine klare Spannungskurve und war rein von der Fabula her sehr klassisch (Gottesmann wird in seinem Glauben geprüft). Das war schon sehr gut. Nur engt es den Fokus der Serie so stark ein, dass so richtig was im Hauptplot nicht passierte. Und da ist dann die Gretchenfrage: Worum geht's überhaupt? Wohin geht die Reise? Klar, ich hab ja selber nach bestem Wissen und Gewissen versucht herauszuklamüsern worum es _geht_, aber dass ist eben nicht dasselbe als "und was für eine Geschichte wird mir jetzt in diesem Setting erzählt?".

Trauer und Verlust mit einer guten Kelle protestantischem Christentum hattest du auch in Six Feet Under, und da gab es "Mystery" eigentlich nur als körperliche Manifestation seelischer Wunden (Oder Gehirnblutungen) und Comic Relief. Um Geschichten über geprüften Glauben und eine an den Nähten auseinandergehende Gesellschaft zu erzählen, brauchst du keine Akopalütze.

Ich bin jedenfalls mal gespannt, wie sich diese Staffel noch ausspielen wird. Vielleicht erzähle ich ja totalen Durchfall und Sherriff Theroux findet in seinem Garten eine Luke. Vielleicht ist Deacon aus King of Queens in Wirklichkeit Gott, und die heiße Freundin von Theroux' Tochter mega schlau.

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>Ich frag mich auch immer ob das Absicht von dir ist, also uns unseren Seriengeschmack schlecht zu reden. Nur damit du nicht alleine über die scheiße abkotzen musst. Oder ob du uns einfach vor der scheiße bewahren willst, damit wir nicht unsere Lebenszeit damit vergeuden. ;)


Nein, in dem Fall will ich nur eine so gut wie möglich begründete Hilfe anbieten, die Serie besser gucken zu können. Ich glaube ehrlich nicht, dass die Show was für Freunde klassischer Mysteryserien ist bzw. nicht die "Belohnungsmechanismen" bedienen wird, die für das Genre wichtig sind. Ich bin der Überzeugung, dass die Show eine klassische Dramaserie ist, mit einem übersinnlichen "Hook", mit dem sich aber als solche nicht beschäftigt wird.

Ja, die Show ist Lost sehr ähnlich. Es ist wie Lost ohne die Insel. Die Figuren sind DEFINITIV "lost". Aber es ist wirklich so: Nur die Flashbacks. Keine Insel. Keine Dharmavideos, keine Hatches, kein Smoke Monster. Nur Menschen, die durch ein unerklärliches Ereignis direkt oder mittelbar getroffen wurden und damit (über)leben müssen. Und HIER wird es interessant: Trägt das für sich? Interessiert das genug Zuschauer? Wird das Publikum bei den ganz ganz großen Fragen, die die Show stellt, mitgehen? Wird die Show diese ganz ganz großen Fragen überhaupt handlen können, oder fliegt der Sendung die eigene Hochwichtigkeit um die Ohren?

Kein Plan! Wird man sehen. Ich kenn den Roman nicht. Ich finds einfach interessant. Auch interessiert es mich, obs anderen Leuten auch so geht.

Ich bin ja auch bis heute fasziniert von John From Cincinatti, DEM Goldstandard für völlig inkohärentes Eso-Geschwurbel. HBO hat ohnehin eine recht interessante Beziehung mit religiösen Themen, siehe Enlightened oder Big Love. Auch beides Serien mit Problemen, beides Shows mit spirituellen Weltbildern, die schwer ins Wanken gerieten. Beides aber auch Shows, mit denen ich ehrlich gesagt nicht allzu viel anfangen konnte.

John From Cincinatti hingegen war völlig absurd. Also, unter anderem absurd schlecht, aber größtenteils einfach nur absurd. Al Bundy, der mit Kanarienvögeln redet. Luis Guzman als Teil eines griechischen Chors, der ein runtergekommenes Motel betreut. Leute, die einfach anfingen zu schweben. What the fuck. Der Goldstandard was "unanguckbarkeit" angeht (Und dafür nur umso interessanter anzusehen). Aber beste Intromusik aller Zeiten!

>Dann frag ich mich auch wer dich davor bewahrt so viel Zeit mit so vielen schlechten Serien zu vergeuden. :D

Nochmal: "Schlecht" ist so ein starkes Wort.


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