Thema:
Re:So. Durch! (Spoiler!) flat
Autor: token
Datum:08.07.20 19:52
Antwort auf:Re:So. Durch! (Spoiler!) von Deadly Engineer

>Ich finde du setzt da den Maßstab falsch an. Unsere Moral an eine Umgebung wie die in TloU anzusetzen und die Figuren daran zu messen funktioniert nicht.
>

Das ist mir klar. Entsprechend konnte ich bei Teil 1 auch solche Gruppierungen wie die lustigen Kannibalen irgendwo verstehen so dass mir kein abschließendes Urteil möglich war. Das ist es ja auch was das Szenario so interessant macht. Es geht nicht um Zombies. Diese Zombies mögen für Höhlenmenschen Bären gewesen sein. Es geht darum, was Mensch eigentlich ist oder sein kann, wenn man diesen von einer zivilisierten Gesellschaft entkoppelt.
Welche Werte haben Bestand?
Was sind die Urformen einer Gruppierung?
Gibt es ethische Prinzipien in einer Welt ohne Richter?
Usw.

Ich messe Ellie nicht an meiner Moral, ich messe Ellie an ihrer eigenen Moral die mir Teil 1 gezeigt, und die Teil 2 grundsätzlich lange aufrecht erhält. Zuweilen auch nach dem Mord. Gerade an Tag 1 ist sie zuweilen irritierend unbeschwert für so einen Fuckup den sie liefert.

Ich hab auch kein Problem mit der Dekonstruktion.
Das ist NDs Geschichte, ihre Charaktere, die können damit machen was sie wollen, ich bin ja nicht Annie aus Mysery die Druckmann mal eine Fußmassage mit dem Vorschlaghammer verpassen möchte weil mir nicht gefällt was er aus Ellie macht. Aber wenn er das aus Ellie macht, dann will ich es verstehen. Und ich verstehe es nicht.

Sich selbst so egal werden, dass man sich in solche Gefahren stürzt? Ja.
Derart betriebsblind zu sein um nicht mehr zu erkennen was das für andere Menschen bedeuten würde wenn diese Ellie verlieren würden, und auch keine Kraft mehr daraus schöpfen zu können dass man für andere Menschen wichtig ist? Ja.
Nicht mehr in der Lage zu sein zu begreifen was man da eigentlich tut, also komplett dazu bereit zu sein Kollateralschäden bei "Fremden" zu erzeugen um seinen Rachedurst zu stillen? Ja. In dieser Welt ist es nicht ungewöhnlich einen Menschen getötet zu haben, wenn man hier überlebt hat, hat man sowas mit hoher Wahrscheinlichkeit halt schon mal machen müssen.

Aber, Freund, Geliebte und quasi Onkel opfern um seinen Rachedurst zu stillen, nicht mal mehr dann zu sich zu kommen und die richtigen Prioritäten zu setzen wenn diese Menschen in Gefahr sind und dich brauchen? Nein.

Es gibt sicher Menschen die so ticken, das sind halt Narzissten. Die sehen nur sich selbst. So ein Mensch ist Ellie aber nicht. Egal wie wütend, egal wie verzweifelt, egal wie verletzt, und egal wie durchgeknallt sie gerade ist, das ist eine Grenzüberschreitung die nochmal ein ganz anderes Kaliber darstellt als die vorherigen, die Bereitschaft die zu opfern die man liebt ist harter Tobak. Vor allem geht es hier nicht mal darum dass man von seinem Motiv abschwören müsste, um seine Liebsten nicht hochgradigen Todesgefahren aussetzen zu müssen, just pause.

Das Spiel führt dieses Motiv drei mal hintereinander an um klar zu machen dass es das mit diesem Motiv auch ernst meint. Und wenn die Dekonstruktion eines etablierten Charakters zu dem sowas nicht passt einen solchen Abgrund erreicht, dann braucht es dafür eine verdammt gute Erklärung. Und wenn es die nicht hat, dann ist dieser Abgrund vielleicht ja doch ein Stück weit zu plakativ geraten, so wie auch die Zebra-Szene, oder die Alptraumszene, nur eben in düster.

>Auch in Teil 1 spieltan mit Joel am Anfang einen kompletten Psycho, der Unterschied zu Abby ist nur dass man ihn vorher kurz als Netzen Kerl gezeigt bekommen hat und mitkriegt warum er so wird, was bei Abby halt erst später im Spiel rauskommt.
>

Und das war ja spannend. Weil da Bewegung drin war. Wir kannten Joel's Trauma. Und als wir Joel spielen, wissen wir auch warum er verschlossen, gebrochen, in sich gekehrt ist. Wir verstehen ihn auch in seiner Abgestumpftheit, wir gehen ja durch die Gasse in denen auf offener Straße Menschen exekutiert werden, und so verstehen wir auch den Mord an dem Tüppes der sie verarschen wollte, wie leicht der von der Hand geht, wie wenig er nachhallt. Als sei das ein nerviges Insekt gewesen.

Wir sind bei allem in character. Die weiteren Abgründe lernen wir sukzessive zu gegebener Zeit kennen. Und zwar elegant. Zwischen den Zeilen. Woher weißt du das Joel? Weil ich auch mal auf der anderen Seite war. Und dann wieder Block und das schamerfüllte Gesicht. Da wird es etabliert, und es ist eben genau dann etabliert als Joel diese Abgründe zum ersten mal zeigt, zeigt wozu er noch in der Lage ist als Ellie verschwindet, und er Infos braucht. Alles ist organisch. Alles ist an seinem Punkt. Alles entfaltet sich. Alles baut aufeinander auf. Und obwohl sich weitere Facetten entfalten, gibt es nicht eine Situation die aus sich selbst heraus unmotiviert oder unverständlich scheint.

Und nachdem Joel diese Grenze überschritten hat, und dann noch weiter aufmacht, mag einen die finale Grenzüberschreitung schocken, überraschen tut sie da nicht. Weil alles etabliert wurde. Alles. Und das einfach so nebenbei.
Ein Puzzlestück greift in das nächste, nichts fällt vom Himmel, keine Asspulls, keine erzählerischen Stilmittel als Selbstzweck wenn sie nicht ins Gesamtbild greifen.
Perfektion.

>Und Ellie ist ja schon vor Joels Tod absolut mit sich (und Joel) im Unreinen und durch Joels Tod driftet sie dann völlig drüber. Jetzt lebt sie wie Abby zuvor nur für ihre Rache, foltert auch Wolves wie es Abby vorhatte um an Joel ranzukommen damit sie an Abby rankommt. Imho eine schöne Symmetrie in der Handlung.

Mir reicht das nicht. Ich will nicht verstehen was mir die Autoren als Motive servieren wollen, ich will die Figur in ihrem Handeln verstehen. Nicht in der Theorie der Erzählung, sondern im Dasein des fiktiven Charakters. Für mich ist es genau das was einen Charakter in meinem Kopf so zum leben Erwachen lässt als ob es ihn wirklich gäbe.

Und da ist es nun mal so wie es ist.
Ich begreife Tommy in einer Grundfunktion als Bruder, nicht jedoch als den Tommy aus Teil 1. Das ist ein anderer Tommy. Nichts im Spiel erklärt mir, wieso der Kerl der einem erwachsenen Mann noch etwas Vernunft eintrichtern wollte, bei einer jungen traumatisierten Frau ihren Wahn unterfüttert.
Ich begreife Ellie nicht mehr, das ist jemand anderes. Wenn es Gefahren gab, dann hat Ellie nicht sich gesehen, sondern die anderen. Sie war bereit Risiken einzugehen um zu vertrauen. Und sie wäre niemals bereit gewesen diesen Preis den Joel gezahlt hat, zu akzeptieren. Und das wusste Joel. Deswegen die Lüge.

Warum liegt dieser neuen Ellie irgendwas an irgendwem wenn sie noch nicht mal in der Lage ist ihre engsten verbliebenen Gefährten zu sehen? Nee, dieser Ellie die auf alles scheißt hätte Joel auch direkt die Wahrheit sagen können und dafür ein High Five bekommen.
Diese Ellie die nicht mal mehr Dina, für die sie eben noch gesungen hat, sieht, die nicht Jesse, der ihr ein kumpelhafter Verbündeter ist mit dem sie schäkert sieht, und die auch nicht die andere erwachsene Bezugsperson neben Joel erkennen kann, und auf all das scheißt weil sie tötentötentöten will und alle drei vollkommen bewusst Lebensgefahren aussetzt und drauf scheißt statt zu helfen, die muss man mir besser verkaufen. Und wenn man das nicht kann, dann ist das alles vielleicht doch ein wenig zu viel des Schlechten gewesen.
Und die Immersion bricht.

Ich verstehe auch Dina nicht, obwohl ich sie kaum kennen gelernt habe, hab ich genug von ihr gesehen um mir darauf keinen Reim mehr machen zu können.

All diese Figuren scheinen mir die Dinge die sie tun nicht deswegen zu tun weil das aus ihnen so heraus kommt, sondern weil sie es tun müssen damit es sich in die Story fügt die erzählt werden will. Wie mit den Spielmechaniken wirkt es hier auf mich, erst war da der rote Faden der Erzählung, und alles was drum herum ist, Mechaniken, Verhalten der Figuren etc. wird mehr schlecht als recht in dieses Korsett gepresst, statt eine Form von Symbiose zu erarbeiten wo sich all diese Dinge solange befruchten und verändern bis sie wirklich miteinander tanzen und eine innere Logik bekommen.

Es gibt aber auch Figuren die ich verstehe.
Ich verstehe Jesse in seinem Tun.
Ich verstehe Owen in seinem Tun.
Und ich verstehe auch Abby in ihrem Tun.
Wobei "verstehen" im Sinne von "begreifen".
Immerhin.


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