Thema:
Re:So. Durch! (Spoiler!) flat
Autor: Pezking
Datum:08.07.20 19:29
Antwort auf:Re:So. Durch! (Spoiler!) von token

>Mir geht es da eher um das Lob für den Aspekt was ND hier mit der Spielerperspektive machen würde. Nämlich dass auch dieser darüber dass er Abby's Perspektive aufgezwungen bekommt in ein angeblich toll konstruiertes Wechselbad der Gefühle getaucht wird, von Wut und Abscheu über Empathie und Verständnis zu einer Katharsis und Vergebung gelangt. Schreibste ja.

Nicht Vergebung. Loslassen können, ja. Aber keine Vergebung. Weil Abby ja auch keine Reue zeigt. Jeder ist in dieser desolaten Welt nur auf der Suche nach dem nächsten Fixpunkt, an dem man sich irgendwie aufrichten kann. Ellie und Abby haben am Ende des Spiels zumindest gelernt, dass Rache nicht dieser Fixpunkt sein kann.

>Und für mich persönlich ist diese Konstruktion manipulativer Klumpatsch, weil sie sich bis auf das Opening verweigert den wahren Charakter an ihrem Tiefpunkt ausreichend zu beleuchten, sich im Aufbau der Empathie dafür aber für wirklich keinen Holzhammer aus der Mottenkiste zu Schade ist, es hätte echt nur noch gefehlt dass ein Vogel auf ihrem Finger landet und ein Weihnachtslied singt.

Kann ich nicht nachvollziehen, sorry. Aus diesem Blickwinkel kann ich mich der Geschichte und dem Charakter Abby im Speziellen nicht nähern.

>Sprich, ich finde den grundsätzlichen Aufbau von Abby's Figur ziemlich gut. Trauma. Verzweiflung. Die Mission der sie alles unterordnet. Anschluss an die falsche Gruppierung. Und jetzt haben wir genug Jahre dazwischen in der ich die Brücke zwischen dem Traumakind und einer komplett abgestumpften Mörderin auskleiden kann, und grundsätzlich auch nachfühlen kann wie und warum sie wieder zu sich findet. Warum sie sich verliert, zum Monster wird, und wie sie wieder zu sich findet.

Ich glaube nicht, dass sie zu sich zurückfindet. In ihr reift lediglich die Erkenntnis "Rache + Gewaltspirale = Holzweg". Lev ist ihr neues, konstruktives Projekt. Ihr neuer Fixpunkt. Dem sie einmal mehr alles unterordnen wird.

Wie es jeder in der Welt von TLOU tut.

>Das ganze ist im Grunde auch nur eine Abwandlung von Joel's Weg, und das was dort funktioniert hat, nämlich dieses zu sich finden durch den Aufbau einer menschlichen Bindung welche die Figur dann sukzessive mehr und mehr zulässt, funktioniert natürlich auch hier. Nur bei Joel war das halt alles organisch, Zwischentöne statt Rückblenden, jemanden mehr und mehr kennen lernen als Abfallprodukt einer Reise statt diesen Zeitsprüngen die ständig die Spielstruktur mit Looten und Leveln und Craften untergraben indem man hochfrequent diesen Mantel den ich als Spieler trage und pflege und plane runterreißt.  
>
>Und wenn man den Spieler im Hinblick auf Empathieaufbau mit solch stumpfen Kanonen befeuert, find ich es lame wenn man über ihre dunkle Seite nach 5 Minuten den Mantel des Schweigens hüllt. Weil das für mich mit gezielt konstruierter Verdrängung zu tun hat, wenn es aber darum geht dass ich als Rezipient lernen darf was Vergebung bedeutet, dann kann ich nicht erkennen wie eine solch einseitig manipulative Darstellung mich hier wirklich mit dem wahren Kernschmerz der Vergebung konfrontiert. Dieser Kernschmerz der Vergeben so schwierig macht, wird einfach ausgeblendet.


Ich glaube wirklich, dass Du mit Deinem Fokus auf Vergebung auf der falschen Spur bist. Es geht nicht darum, nachträglich Empathie für Abby zu empfinden. Der Mord an Joel ist unentschuldbar, es war die moralisch komplett falsche Entscheidung und Abby verschwendet nicht einen Gedanken der Reue daran. Was passiert ist, ist passiert, dafür kann und will ihr niemand eine Absolution erteilen. Abby ist und bleibt eine Mörderin, die sich mit ihrem Rachefeldzug selbst ruiniert hat.

Im Hier und Jetzt jedoch können immer Umstände und Veränderungen eintreten, die dafür sorgen, dass ein Mensch sich nicht als hoffnungsloser Fall entpuppt. Oder man rennt, wie Abby im Augenblick des Mordes an Joel, mit Karacho gegen die Wand, schüttelt sich und fängt an, sich erst einmal neu zu orientieren. Das Leben ist seltsam und komplex, man kann Mörder und Retter zugleich sein und sich mit viel Glück sogar irgendwann selbst finden. Oder ein neues Selbst werden.

>Die Herausforderung liegt ja nicht darin zu verstehen dass coole Menschen nachvollziehbare Fehler machen, die Herausforderung liegt darin zu verstehen warum man ein fieses Ferkel das unverzeihliches tut und denkt, nicht am nächsten Mast aufknüpfen sollte sondern da genau da die Menschlichkeit in sich bewahren sollte, die beim Gegenüber fehlt. Weil man sonst genau die gleichen Fehler macht. Hätte ND das versucht und erreicht, Applaus, aber für die Nummer eine Antagonistin darüber auf links zu drehen dass man nach Perspektivwechsel noch und nöcher um Mitleid heischt und hochfrequent Regenbogen aus deren Hintern feuert, nuja.

Ich kann mich nur wiederholen: So habe ich die Darstellung von Abby überhaupt nicht wahrgenommen. Das war kein Betteln um Mitleid und Empathie gegenüber ihrem vergangenen Selbst. Abby hat auch nicht "zu sich zurück" gefunden, denn schon als Kind war Abby (mehr noch als ihr Vater) bereit, Ellies freien Willen zu ignorieren und sie nur für die Chance auf Gewinnung eines Impfstoffes zu töten.

Abby stand nie kurz davor, einen Humanismus á la Papa oder Owen zu entwickeln. Oder auch Ellie. Denn Ellie hat sich direkt selbst dafür gehasst, Nora gefoltert zu haben. Aber letztendlich blieben dann doch beide viel zu lange in ihren destruktiven Einbahnstraßen der Rache. Weil sie keine Wahl hatten. Sie hatten nichts anderes mehr in ihrem Leben.

>>Den Mord an Joel bereut Abby auch nicht, das ist klar. Ihr Wandel geschieht nicht aus edlen Motiven, sondern aus einer neuen Form des Überlebenstriebs heraus. Aber er geschieht.
>>
>In dem Absatz ging es mir nur darum was diese Abby an ihrem Siedepunkt eigentlich darstellt und warum. Sie ist ein Monster. Blinde Wut gepaart mit sadistischer Boshaftigkeit.


Abby war seit Jahren kaputt und erhoffte sich durch diesen Akt die ultimative Katharsis, die eigene Heilung. Alles andere war ihr komplett wurst.

Nur guess what: So funktioniert das nicht.

Abbys Weg vom Krankenhausmassaker bis nach Jackson zeichnet das Spiel dann in Form der Ellie-Kapitel im Spiel nach.

>>IMO befindet sich Abby nach Jackson in einer permanenten Spirale hinaus aus ihrer Entmenschlichung. Das ist ein Prozess.
>>
>Jepp, das seh ich auch so.
>Wie gesagt, ist das Schnittmuster für diesen Prozess recht ähnlich zur Joel-Entwicklung von TLoU, hast du ja auch angemerkt.
>Und natürlich funktioniert das auch hier.
>Das ist einfach stark gemacht, nur hier in deutlich schlechterer Ausführung imo, weil TLoU diese Entwicklung viel subtiler und organischer auf die Strecke bringt, und vor allem so, dass es hierbei den Spieler in seiner Immersion hält und nicht wild durch die Zeitgeschichte hüpfen muss was dazu führt dass deine Waffen da sind und weg sind und du in the game bist und dann im Krankenhaus und dann in the game und dann im Aquarium und dann in the game und dann auf einem Boot gebumst wirst.
>
>Wenn in einem Videospiel nonlinear erzählt wird (und ich kann in dieser Nonlinearität keinen erzählerischen Mehrwert erkennen) dann sollten die Mechaniken des Spiels in den Kapiteln auch autonom sein und nicht nach RPG-Prinzip Kapitel übergreifen. Deswegen stört diese Struktur in Uncharted 4 nicht, weil da ist das so. Hier wird mir als Spieler ständig permanent mit ellenlangen spielbaren Sequenzen das Spiel was ich gerade spiele unterbrochen.


Mir hat das gefallen. Ich fand aber das Spielerische an TLOU2 eh vergleichsweise vernachlässigbar. ;-)

>>Abby bittet doch gar nicht um Vergebung für Joel. Da ist keine Reue. Es geht nicht um Vergeben oder Vergessen. Es geht um die Anerkennung, dass Menschen sich verändern und weiterentwickeln können. Und vor allem um die allumfassende zerstörerische Natur von Rache. Alle Charaktere in TLOU2, die in irgendeiner Form Rachegedanken in sich trugen, stehen am Ende vor dem Nichts.
>>
>Im Grunde stehen ALLE Charaktere am Ende vor dem Nichts oder in einem kompletten Fuckup oder sind einen erbärmlichen Tod gestorben. Wie du schon sagst, ein Fest der Heiterkeit, dem auch wenig Gegengewichte gesetzt, wenn, dann eher um noch mehr zu deprimieren :D


Wenigstens haben wir den neuen Startscreen. Und Ellie ist mich sich und Joel endlich im Reinen.

>>TLOU2-Ellie ist nicht mehr TLOU-Ellie. Ellie hatte ihre Tochterrolle endgültig aufgegeben, als sie das Geständnis von Joel hörte. Seitdem lebte sie in einer Gemeinschaft - aber nicht in einer Familie. Und seit diesem Zeitpunkt war sie nicht mehr mit sich selbst im Reinen. Weil sie nicht in der Lage war, Joel vergeben zu können. Sie konnte sich keinen richtigen Reim mehr auf ihre Existenz machen.
>>
>I call bullshit.
>Dina, die ich übrigens auch nicht ganz verstehe was genau sie umtreibt nachdem sie erst als unheimlich selbstbewusster und selbstständiger und recht schmerzfreier Charakter im Umgang mit Gefühlen anderer etabliert wird, sich hier nach nem Fick in so einem früh ersichtlich komplett bekloppten Kreuzzug verliert. Ich verstehe diese unbedingte Loyalität und das Teilen der Ziele Null. Aber egal. Darum geht es nicht. Sondern Ellie.


Ja, Dina ist mir halbwegs wurst. Vielleicht wollte sie angesichts ihrer Schwangerschaft einfach nur ASAP raus aus Dodge City. Und dann mal gucken, was der Tag so bringt.

>Dina hat Babbie im Ofen, ist komplett am Arsch, hohes Fieber und so. Das ist kein Husten, das ist dramatisch. Die muss zum Arzt nach Jackson. Und Ellie sagt nicht nur dass Dina sich in der aktuellen Situation nicht von ihr trennen wird um sich von Jesse heimbringen zu lassen (warum auch immer). Nehmen wir das hin sieht man hier folgendes. Ellie scheißt auf Dina. Es gibt Handlungsoptionen die nicht mal einfordern dass sie von ihrer Rache ablässt. In dieser Situation stellt sich die Frage. Ist es okay meinen love interest und ihr ungeborenes Baby notfalls sterben zu lassen um Abby zu töten. Und Ellie kommt zum Schluss. Yo. Ist es. Das ist nicht Ellie. Nichts im Spiel ist in der Lage mir einen DERARTIGEN Abgrund zu erklären und eine derartige Transformation meiner Ellie zu Monsterellie in nur 48 Stunden zu erklären.

Darf ich vorstellen: Revenge Ellie! Ja, außer der Rache geht ihr letztendlich alles sonstwo vorbei. Der Gedanke an Rache konsumiert alles - und lenkt von ihrer Unfähigkeit ab, Joel zu vergeben.

Niemand muss Abby vergeben. Aber Ellies eigenes Seelenheil hängt davon ab, dass sie mit Joel gedanklich wieder Frieden schließen kann.

>Und genau dieses Motiv wird ein weiteres mal bekräftigt. Sie ist mit Jesse am Boot, Jesse sagt, Tommy ist in Lebensgefahr. Again. Es stellt sich die Frage, ist es wichtiger Abby zu töten, auch wenn das heißt dass Tommy sterben könnte? Tommy ist in Lebensgefahr!11 Und wieder, fuck this, ich will Abby. Ich verstehe da auch nichts falsch, denn jetzt konfrontiert sie Jesse mit ihrem Irrsinn.
>Reaktion? Fuck you Jesse, geh halt, ein zweites Mal rette ich dich nicht.
>
>Und nochmal, die Handlungsoptionen Freund, Geliebte und eine Art Familienmitglied zu schützen ist hierbei nicht mal gleichbedeutend mit einer Aufgabe des Rachemotivs. Fuck it. Fuck everything. Hauptsache Rache. Egal zu welchem Preis. Komplett egal.
>
>Das. Ist. Absolut. Hardcore. Wie. Diese. Ellie. Tickt.


Yep! Das zeigt aber auch, dass sie für keine der genannten Personen so tiefe Gefühle empfindet wie für Joel. :-(

Ellie definiert sich selbst maßgeblich über Joel. Und Abby in ähnlicher Form über Owen - IMO verfolgt sie auch deshalb nach Seattle Day 3 dessen Träume und Ziele weiter. Und schreibt ihm sogar Briefe. Abby ist mit sich und Owen auf dem Weg nach Santa Barbara im Reinen.

>Halte ich es für ausgeschlossen dass meine Ellie zu so einer merkbefreiten Drecksau mutiert? Ja. Alles ist vorstellbar. Sehe ich irgendwas im Spiel was mir diese totale Transmutation erklärlich oder auch nur ansatzweise nachvollziehbar erscheinen lässt? Nein. Ich sehe nichts. Und das was mir SPÄTER als Erklärung aufgetischt wird (brillant einen Charakter zu spielen in den man sich einfühlen soll und dabei Motive zum Handlungszeitpunkt zu verheimlichen, so deep!) reicht mir vorne und hinten nicht.

Mir schon. Locker! ¯\_(ツ)_/¯

Ich kann mir aber auch tatsächlich vorstellen, in absurden Extremsituationen á la TLOU ähnlich zu handeln wie Joel in TLOU und Ellie in Teil 2. Ich finde diese Entwicklungen total schlüssig und natürlich.

>Und jetzt der Treppenwitz. Im übertragenen Sinne ist Ellie bereit all diese Menschen zu opfern um ihren shot zu kriegen. Und nun sind wir im Theater. Und das was vorher noch der Stand der Dinge war wird in der Situation veranschaulicht.
>"Leg deine Waffe weg! Leg deine Waffe weg oder ich knall hier deine Lück ab!"
>
>Haha Abby, nice try, du hast verloren, die bitch ist doch komplett durch, die würde gerade durch diese Leute noch durchschießen wenn du sie als menschliches Schild benu... Oh, Ellie legt die Waffe weg.
>
>Erzählerisches Meisterwerk!


Ellie war nie bereit, konkret und eigenhändig einen ihrer Freunde zu opfern. Sie hat sich nur wie ein Süchtiger jede Situation schöngeredet und so passend gemacht, dass sie irgendwie wieder ruhigen Gewissens ihren Rachefeldzug fortsetzen kann.

Das klappt natürlich nicht, wenn jemand gerade 'ne Wumme an die Schläfe Deines Liebchens hält.

Zudem sieht Ellie hier womöglich die Chance, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Dina zu retten (Tommy hielt sie in dem Moment sicher schon für tot) und ihrem eigenen Leben einen Sinn zu geben, indem sie sich verspätet für die Wissenschaft opfert.

Nur guckt da das Töchterchen von Doktor Kinderkiller leider nur wie ein Auto. An diese Möglichkeit hatte sie nie auch nur einen Gedanken verschwendet.

>Whatever, dieses Spiel hat mich zwei mal zum Heulen gebracht.
>So mit echten Tränen, Junge. Ellie spielt Take on me.


Da habe ich mich leider die ganze Zeit gefragt, ob es so klug ist, ausgerechnet hier einen norwegischen 80er-Jahre-Popsong zu spielen. Ich fürchtete, dass da nichtssagende Billo-Lyrics auf dem Niveau der Booyah-Family der Szene ihren Impact rauben könnten.

Man stelle sich vor: Ellie packt die Klampfe aus und spielt eine langsame Acoustic-Version vom Nana-Superhit "Darkman".

"Can't concentrate I steady loose control
The pain in my brain make me wanna explode
Like the fugees day and night searchin' for the score
To bring the vibes I'll be the key to your door
It all started off with a glass of wine
But now I need nine to feel fine before I sign"


Der a-ha-Text war dann aber zum Glück nicht weiter tragisch.

>Und trotz der Kritik muss trotzdem generell schon extrem viel stimmen damit ich mir merke wie Charaktere heißen, über sie nachdenke, und Posts über eine Story schreibe.

Yep!


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