Thema:
Re:So. Durch! (Spoiler!) flat
Autor: token
Datum:08.07.20 18:21
Antwort auf:Re:So. Durch! (Spoiler!) von Pezking

>>Das Ding ist, davor gab es auch wenig Grund mit Abby zu sympathisieren.
>>Abby ist vor ihrem Mord an Joel durchgehend verachtenswert. Das Spiel durfte im Grunde davon nicht zu viel zeigen, weil es wohl ziemlich erschwert hätte den Spieler zu blitzdingsen was er eigentlich für einen Charakter übernommen hat.
>>Also gibt es ganz ganz ganz wenig von evil Abby, und als man sie übernimmt rettet sie Zebras und Kinder und reflektiert und vergibt.
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>Naja...das wichtigste ist doch, dass man Abby nach dem Mord an Joel wieder übernimmt. Bis zum Showdowan in Jackson lebte sie jahrelang nur im Tunnelblick gen Rache. Nachdem sie nun Rache nehmen konnte, realisiert sie langsam, dass das erhoffte Gefühl eines Schlussstrichs ausbleibt. Zudem bemerkt sie nun, wie sehr sie sich im Laufe der Zeit von ihren Freunden entfremdet hat. Der Mord an Joel hat für sie nichts gelöst, ihr Rachefeldzug hat ihr Privatleben zerstört. Die Wolves waren für sie eh nur Mittel zum Zweck, Isaac war mit seinem beknackten "Gerechtigkeitssinn" empfänglich für ihr Anliegen. Das ganze Kartenhaus fällt langsam in sich zusammen, nachdem sie Joel den Schädel eingeschlagen hat. Owen lebt gerade in Echtzeit vor, wie man sich von dem ganzen Schlamassel in Seattle lösen kann, und damit wird er zu ihrem neuen Fixpunkt. Was natürlich auch zum Scheitern verurteilt ist, weil er mit einer anderen Frau ein Kind erwartet.
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>Ergo: Jetzt werden Scars-Kinder gerettet! Das muss sie tun. Weil sie nicht weiß, was sie sonst tun soll.
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I know. Wie schon gesagt, ich verstehe den Charakter Abby. ND gibt mir die Eckpunkte mit um Degeneration und Regeneration folgen und glauben zu können.

Mir geht es da eher um das Lob für den Aspekt was ND hier mit der Spielerperspektive machen würde. Nämlich dass auch dieser darüber dass er Abby's Perspektive aufgezwungen bekommt in ein angeblich toll konstruiertes Wechselbad der Gefühle getaucht wird, von Wut und Abscheu über Empathie und Verständnis zu einer Katharsis und Vergebung gelangt. Schreibste ja.

Und für mich persönlich ist diese Konstruktion manipulativer Klumpatsch, weil sie sich bis auf das Opening verweigert den wahren Charakter an ihrem Tiefpunkt ausreichend zu beleuchten, sich im Aufbau der Empathie dafür aber für wirklich keinen Holzhammer aus der Mottenkiste zu Schade ist, es hätte echt nur noch gefehlt dass ein Vogel auf ihrem Finger landet und ein Weihnachtslied singt.

Sprich, ich finde den grundsätzlichen Aufbau von Abby's Figur ziemlich gut. Trauma. Verzweiflung. Die Mission der sie alles unterordnet. Anschluss an die falsche Gruppierung. Und jetzt haben wir genug Jahre dazwischen in der ich die Brücke zwischen dem Traumakind und einer komplett abgestumpften Mörderin auskleiden kann, und grundsätzlich auch nachfühlen kann wie und warum sie wieder zu sich findet. Warum sie sich verliert, zum Monster wird, und wie sie wieder zu sich findet.

Das ganze ist im Grunde auch nur eine Abwandlung von Joel's Weg, und das was dort funktioniert hat, nämlich dieses zu sich finden durch den Aufbau einer menschlichen Bindung welche die Figur dann sukzessive mehr und mehr zulässt, funktioniert natürlich auch hier. Nur bei Joel war das halt alles organisch, Zwischentöne statt Rückblenden, jemanden mehr und mehr kennen lernen als Abfallprodukt einer Reise statt diesen Zeitsprüngen die ständig die Spielstruktur mit Looten und Leveln und Craften untergraben indem man hochfrequent diesen Mantel den ich als Spieler trage und pflege und plane runterreißt.  

Und wenn man den Spieler im Hinblick auf Empathieaufbau mit solch stumpfen Kanonen befeuert, find ich es lame wenn man über ihre dunkle Seite nach 5 Minuten den Mantel des Schweigens hüllt. Weil das für mich mit gezielt konstruierter Verdrängung zu tun hat, wenn es aber darum geht dass ich als Rezipient lernen darf was Vergebung bedeutet, dann kann ich nicht erkennen wie eine solch einseitig manipulative Darstellung mich hier wirklich mit dem wahren Kernschmerz der Vergebung konfrontiert. Dieser Kernschmerz der Vergeben so schwierig macht, wird einfach ausgeblendet.
Die Herausforderung liegt ja nicht darin zu verstehen dass coole Menschen nachvollziehbare Fehler machen, die Herausforderung liegt darin zu verstehen warum man ein fieses Ferkel das unverzeihliches tut und denkt, nicht am nächsten Mast aufknüpfen sollte sondern da genau da die Menschlichkeit in sich bewahren sollte, die beim Gegenüber fehlt. Weil man sonst genau die gleichen Fehler macht. Hätte ND das versucht und erreicht, Applaus, aber für die Nummer eine Antagonistin darüber auf links zu drehen dass man nach Perspektivwechsel noch und nöcher um Mitleid heischt und hochfrequent Regenbogen aus deren Hintern feuert, nuja.

>Den Mord an Joel bereut Abby auch nicht, das ist klar. Ihr Wandel geschieht nicht aus edlen Motiven, sondern aus einer neuen Form des Überlebenstriebs heraus. Aber er geschieht.
>

In dem Absatz ging es mir nur darum was diese Abby an ihrem Siedepunkt eigentlich darstellt und warum. Sie ist ein Monster. Blinde Wut gepaart mit sadistischer Boshaftigkeit.

>IMO befindet sich Abby nach Jackson in einer permanenten Spirale hinaus aus ihrer Entmenschlichung. Das ist ein Prozess.
>

Jepp, das seh ich auch so.
Wie gesagt, ist das Schnittmuster für diesen Prozess recht ähnlich zur Joel-Entwicklung von TLoU, hast du ja auch angemerkt.
Und natürlich funktioniert das auch hier.
Das ist einfach stark gemacht, nur hier in deutlich schlechterer Ausführung imo, weil TLoU diese Entwicklung viel subtiler und organischer auf die Strecke bringt, und vor allem so, dass es hierbei den Spieler in seiner Immersion hält und nicht wild durch die Zeitgeschichte hüpfen muss was dazu führt dass deine Waffen da sind und weg sind und du in the game bist und dann im Krankenhaus und dann in the game und dann im Aquarium und dann in the game und dann auf einem Boot gebumst wirst.

Wenn in einem Videospiel nonlinear erzählt wird (und ich kann in dieser Nonlinearität keinen erzählerischen Mehrwert erkennen) dann sollten die Mechaniken des Spiels in den Kapiteln auch autonom sein und nicht nach RPG-Prinzip Kapitel übergreifen. Deswegen stört diese Struktur in Uncharted 4 nicht, weil da ist das so. Hier wird mir als Spieler ständig permanent mit ellenlangen spielbaren Sequenzen das Spiel was ich gerade spiele unterbrochen.

>Abby bittet doch gar nicht um Vergebung für Joel. Da ist keine Reue. Es geht nicht um Vergeben oder Vergessen. Es geht um die Anerkennung, dass Menschen sich verändern und weiterentwickeln können. Und vor allem um die allumfassende zerstörerische Natur von Rache. Alle Charaktere in TLOU2, die in irgendeiner Form Rachegedanken in sich trugen, stehen am Ende vor dem Nichts.
>

Im Grunde stehen ALLE Charaktere am Ende vor dem Nichts oder in einem kompletten Fuckup oder sind einen erbärmlichen Tod gestorben. Wie du schon sagst, ein Fest der Heiterkeit, dem auch wenig Gegengewichte gesetzt, wenn, dann eher um noch mehr zu deprimieren :D

>TLOU2-Ellie ist nicht mehr TLOU-Ellie. Ellie hatte ihre Tochterrolle endgültig aufgegeben, als sie das Geständnis von Joel hörte. Seitdem lebte sie in einer Gemeinschaft - aber nicht in einer Familie. Und seit diesem Zeitpunkt war sie nicht mehr mit sich selbst im Reinen. Weil sie nicht in der Lage war, Joel vergeben zu können. Sie konnte sich keinen richtigen Reim mehr auf ihre Existenz machen.
>

I call bullshit.
Dina, die ich übrigens auch nicht ganz verstehe was genau sie umtreibt nachdem sie erst als unheimlich selbstbewusster und selbstständiger und recht schmerzfreier Charakter im Umgang mit Gefühlen anderer etabliert wird, sich hier nach nem Fick in so einem früh ersichtlich komplett bekloppten Kreuzzug verliert. Ich verstehe diese unbedingte Loyalität und das Teilen der Ziele Null. Aber egal. Darum geht es nicht. Sondern Ellie.

Dina hat Babbie im Ofen, ist komplett am Arsch, hohes Fieber und so. Das ist kein Husten, das ist dramatisch. Die muss zum Arzt nach Jackson. Und Ellie sagt nicht nur dass Dina sich in der aktuellen Situation nicht von ihr trennen wird um sich von Jesse heimbringen zu lassen (warum auch immer). Nehmen wir das hin sieht man hier folgendes. Ellie scheißt auf Dina. Es gibt Handlungsoptionen die nicht mal einfordern dass sie von ihrer Rache ablässt. In dieser Situation stellt sich die Frage. Ist es okay meinen love interest und ihr ungeborenes Baby notfalls sterben zu lassen um Abby zu töten. Und Ellie kommt zum Schluss. Yo. Ist es. Das ist nicht Ellie. Nichts im Spiel ist in der Lage mir einen DERARTIGEN Abgrund zu erklären und eine derartige Transformation meiner Ellie zu Monsterellie in nur 48 Stunden zu erklären.

Und genau dieses Motiv wird ein weiteres mal bekräftigt. Sie ist mit Jesse am Boot, Jesse sagt, Tommy ist in Lebensgefahr. Again. Es stellt sich die Frage, ist es wichtiger Abby zu töten, auch wenn das heißt dass Tommy sterben könnte? Tommy ist in Lebensgefahr!11 Und wieder, fuck this, ich will Abby. Ich verstehe da auch nichts falsch, denn jetzt konfrontiert sie Jesse mit ihrem Irrsinn.
Reaktion? Fuck you Jesse, geh halt, ein zweites Mal rette ich dich nicht.

Und nochmal, die Handlungsoptionen Freund, Geliebte und eine Art Familienmitglied zu schützen ist hierbei nicht mal gleichbedeutend mit einer Aufgabe des Rachemotivs. Fuck it. Fuck everything. Hauptsache Rache. Egal zu welchem Preis. Komplett egal.

Das. Ist. Absolut. Hardcore. Wie. Diese. Ellie. Tickt.

Halte ich es für ausgeschlossen dass meine Ellie zu so einer merkbefreiten Drecksau mutiert? Ja. Alles ist vorstellbar. Sehe ich irgendwas im Spiel was mir diese totale Transmutation erklärlich oder auch nur ansatzweise nachvollziehbar erscheinen lässt? Nein. Ich sehe nichts. Und das was mir SPÄTER als Erklärung aufgetischt wird (brillant einen Charakter zu spielen in den man sich einfühlen soll und dabei Motive zum Handlungszeitpunkt zu verheimlichen, so deep!) reicht mir vorne und hinten nicht.

Und jetzt der Treppenwitz. Im übertragenen Sinne ist Ellie bereit all diese Menschen zu opfern um ihren shot zu kriegen. Und nun sind wir im Theater. Und das was vorher noch der Stand der Dinge war wird in der Situation veranschaulicht.
"Leg deine Waffe weg! Leg deine Waffe weg oder ich knall hier deine Lück ab!"

Haha Abby, nice try, du hast verloren, die bitch ist doch komplett durch, die würde gerade durch diese Leute noch durchschießen wenn du sie als menschliches Schild benu... Oh, Ellie legt die Waffe weg.

Erzählerisches Meisterwerk!

Whatever, dieses Spiel hat mich zwei mal zum Heulen gebracht.
So mit echten Tränen, Junge. Ellie spielt Take on me. Ellie schließt die Augen und reist in ihrer Fantasie in den Weltraum. Und daneben Joel. You're welcome.
KNATSCH!

Aber das ist halt meine Ellie aus Teil 1, nicht dieser schizophräne Psycho dem ich Null folgen kann. Egal wie sehr ich es versuche. Too much.
Aber trotz dieser Probs, wenn ein blödes Videospiel mich zum weinen bringt, dann muss es dafür schon verdammt viel richtig machen, um sowas aus mir rauszukitzeln. Dazu packendes Gameplay, brachial inszeniert, over the top Technik, unfasslich guter Sound, Detailwahn bis zu Qualquappen in einem Planschbecken am Rand vom Nirgendwo, und in vielen Etappen einfach nur stark, sowohl erzählerisch als auch von den Setpieces her.

Und trotz der Kritik muss trotzdem generell schon extrem viel stimmen damit ich mir merke wie Charaktere heißen, über sie nachdenke, und Posts über eine Story schreibe.

Aber in seinem Gesamtbild gehe ich NULL mit wenn es um wegweisend oder GOAT oder sowas geht. Eventuell GotY, dieses Jahr hab ich noch nichts besseres gespielt. Aber dennoch ein Downgrade zum Erstling, der das was Teil 2 stark macht, überhaupt erst auf die Strecke gebracht hat, und das ohne all dessen Probleme im Gesamtbild sondern im selbigen zum niederknien perfekt rundgelutscht. Bis auf das Gameplay, das ist in Teil 2 deutlich interessanter. War in Teil 1 aber auch nicht soooooo wichtig. Der Star waren die Charaktere, Charaktere die ein Videospiel so noch nie auf den Weg gebracht hat. Glaubwürdig bis in die Haarspitzen, mehrdimensional und interessant bis in die Poren.
Und nicht mal bei den Sidechars die man ja prinzipiell vernachlässigen könnte, sehe ich so gravierende (für mich persönlich) Glaubwürdigkeitsmängel oder Dinge die ohne Grund oder Motiv passieren, wie es hier der Fall war.
Vor allem aber hat mir Teil 1 eine Geschichte erzählt, statt zu versuchen mir mit Holzhammermethoden eine Lektion zu erteilen bei der ich nichts gelernt habe, was ich nicht schon vorher gewusst hätte.


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