Thema:
Man muss sich die Spieltiefe verdienen flat
Autor: the_korben
Datum:30.06.20 00:17
Antwort auf:Das wird mir alles zu viel: Spieltiefe... von BOBELE

Ich verstehe völlig, wie es dir mit den genannten/angedeuteten Spielen geht. Und mir geht es da sehr ähnlich. Ich schmeiße gerne meine alten Konsolen an und spiele geradlinigere, direktere Spiele. Gebt mir ein Burnout 3 statt einem modernen Open-World-Racer und ich bin glücklich. Andererseits liebe ich Grand Strategy Games (Crusader Kings 2, Europa Universalis IV, Hearts of Iron IV, Imperator: Rome ...). Und die sind ja wohl der Inbegriff von "Spieltiefe". Außerdem spiele ich auch gerne Simulationen wie X-Plane oder DCS:World, wo man sich gerne mal ein paar Wochen in die Bedienung eines einzigen Flugzeuges einarbeiten muss. Wo also liegt da der Unterschied und die Besonderheit?

Ich denke: Spieltiefe ist toll, wenn das Spiel sie sich verdient. Bei Crusader Kings 2 gleicht fast keine Runde der anderen. Als Vassall im Bayern des 8. Jahrhunderts oder als Wilhelm der Eroberer spielen, macht nunmal einen Riesenunterschied. Manchmal ist die eigene Sippe schon nach 15 Minuten vom Tisch, manchmal spielt man wochenlang am selben Spiel und begleitet die Familie von der Grafschaft bis zum Imperium bis zum Untergang durch die Jahrhunderte. Und jede Phase dieser Spiele hat ihren eigenen Reiz, jeder Charakter seine eigene, selbst erspielte Geschichte, die erst im Kopf des Spielers so richtig Form annimmt.

Auch "einfachere" Spiele wie Roguelikes aller Art und in verschiedenen Genres (z.B. Into the Breach, Binding of Isaac) haben da ein ähnliches Konzept. Sie bieten zwar ein simpleres Interface und weniger Gameplay-Varianten, aber es ist einfach der Vektorraum an Möglichkeiten, die sie aufspannen, die das Spielen so aufregend macht.

Im Endeffekt spielt man diese Spiele, weil das Kopfkino irgendeine Art von Vorstellung vorgaukelt, wie denn die perfekte Runde aussehen könnte. Man klickt auf "neues Spiel" und erträumt sich einen Verlauf, um irgendein selbstgestecktes Ziel zu erfüllen. Gleichzeitig wirft einem der Zufall zumeist so viele Hindernisse in den Weg, dass allein die Abweichung von dieser "perfekten" Runde das ganze wieder interessant macht. Das ist der Aspekt, der die Spieler auch fordert. Wie gehe ich mit unvorhergesehenen Situationen um? Wie kann ich meine Zielsetzung ändern, um trotz geänderter Umstände die interessanteste/beste Lösung der momentanen Probleme zu finden?

Vergleiche das mal mit deinem typischen modernen AAA-Open-World-Crafting-Bullshit-Quasi-MMO. Es gibt optimale und nicht so optimale Builds, vorgegebenen Quests, fixe Skilltrees, vielleicht mal ein paar Entscheidungen in ein paar Nebenquests. Aber während man spielt, macht man im Prinzip doch immer das gleiche auf den gleichen Maps und zielt halt darauf ab, wie sich unterschiedliche Zahlen unterschiedlich ändern. Dann gibt's da noch eine Story, die aber eh keinen interessiert. Während die Cutscene XY läuft, hört man nebenbei ja eh einfach nen Podcast. Oder: Ja, das ist der Raid XY, da muss man jetzt genau A machen, und dann B machen, und dann den Boss C töten. Und am Ende gibt's Loot. Wer Glück hat, kriegt das gute Zeug, um seinen Build weiter zu verbessern. Es ist halt einfach Beschäftigungstherapie, die einem in einer Loop sowas wie Fortschritt vorgaukelt, obwohl man eigentlich immer das gleiceh macht.

Ich habe in der Corona-Anfangszeit viel The Division 2 gespielt. Die Loot-Geschichte hat mich angefixt, Gameplay war schön angenehm. Aber irgendwann merkt man halt, das eigentlich das Spiel mit einem spielt statt umgekehrt. Warum levele ich hoch? Damit die gleichen Gegner wie vorher dann stärker werden, damit ich bessere Ausrüstung erspielen muss, damit die gleichen Gegner wieder noch stärker werden und so weiter und so fort? Und bei den Missionsbeschreibungen und Funksprüchen (= die Story) hab ich nach dem ersten Drittel irgendwann gar nicht mehr zugehört, weil eh alles so schlecht geschrieben ist.

Also: Spieltiefe ist toll. Aber das Spiel selbt muss halt einen Grund dafür bieten. Liefert erst die Spieltiefe die Möglichkeit, in jeder Runde was komplett neues zu erleben? Macht wirklich die Tiefe des Regelwerks das Spiel erst so faszinierend? Kein Problem, tolle Sache. Ist die "Spieltiefe" aber nur ein Krückstock, um mich an der Stange zu halten, um eigentlich doch immer genau das gleiche zu machen, ohne mich überhaupt ins Spiel "reindenken" zu müssen? Nein danke! Dann lieber schön Crusader Kings 2 über Jahre hinweg suchten, und daneben immer wieder so richtig gute Geschichten in fokussierteren, arcadigeren Spielen zu erleben.


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