Thema:
Re:Boah flat
Autor: token
Datum:20.11.18 12:19
Antwort auf:Re:Boah von chifan

>Warum gibst du eigentlich dem Moralsystem so viel Gewicht?

Tue ich nicht, es ist ein Puzzlestück von vielen im Spiel, aber es läuft häufig auf den gleichen Kritikpunkt hinaus. Es fehlt ein stimmiges Gesamtbild wo Designentscheidungen statt ineinander zu greifen gegeneinander arbeiten.

>Ich sehe das überhaupt nicht als spielbestimmendes Element, sondern wie den Campausbau, die Waffen- oder Pferdepflege nur als kleine Stellschraube um die Welt etwas lebendiger zu machen und eine gewisse Tiefe vorzugaukeln.

Immersionskosmetik halt. Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass. Wie in Shenmue, wo du jedes Objekt in die Hand nehmen und betrachten kannst, diese Funktion aber einfach nur da ist und keinerlei Zweck erfüllt. Ich persönlich fand es bedauerlich dass der Ersteindruck vieler Elemente wie etwa Essen kochen keine mechanische Tiefe haben, sondern genau so eine Immersionskosmetik sind. Aber das kann ich bei sowas wie Zelt aufschlagen, Pferd striegeln oder grillen durchaus verknusen ohne dem Spiel daraus einen Strick zu drehen. Ja, ich verstehe nicht warum mir das Spiel suggeriert da wäre was um mich dann tröpfchenweise zu deillusionieren, aber gut.

Das Ehrsystem hat aber eine andere Natur. Es sagt, du hast Entscheidungsfreiheiten und diese haben Konsequenzen. Ein solches System kann man im Kontext Mission nicht einfach als irrelevant ignorieren, sondern muss es dort berücksichtigen, denn da erzeugt es gravierende Widersprüche wenn man ausblendet dass es sowas gibt. Diese Widersprüche haben die Skriptdesigner ja auch gesehen, also greifen sie da auch ein und schalten es punktuell aus. Man sieht also dass es ein Problem gibt, man begegnet diesem Problem aber mit der pragmatischsten Lösung. Und das ist keine gute Lösung.

>Und hier sehe ich eben auch den Unterschied zu infamous, wo die Wahl zwischen Gut und Böse direkte Auswirkungen hat und eben auch Teil der Geschichte ist. In so einem Fall wäre ein Moralsystem wie in RDR2 eine Katastrophe und würde das Ganze ad absurdum führen.
>

Das ist einfach ein Henne-Ei-Problem.
Ich sehe es so, wenn ich so ein System einbaue dann MUSS ich es auch in der Mission berücksichtigen und entsprechend den Aspekt Handlungsfreiheit auch in den Skripten berücksichtigen, also die Skripte in mehrere Stränge auffächern.
Tue ich das nicht, dann darf ich so ein System auch nicht einbauen.

>Aber in RDR2 hat die Moral-Komponente doch keinerlei spielerische und inhaltliche Relevanz. Man bekommt in den Läden etwas bessere Preise, die Reaktionen der NPCs sind etwas anders (zumindest bis Kapitel 4). Das war’s. Und das wird auch nicht anders kommuniziert. Hätte man das Ganze weglassen können? Ja klar. Aber es schadet auch niemanden, da es auf Grund von mangelnden relevanten Auswirkungen eben auch völlig vernachlässigbar ist.
>

Es stört dich nicht. Aber nur weil es dich nicht stört heißt es nicht dass sich diejenigen die sich daran stoßen ihre Probleme damit einbilden, dem Spiel ein Problem andichten.
Und wie gesagt, das ist nur ein Puzzlestück von vielen.

>Aber du bist da vielleicht einfach anders motiviert beim Spielen und benötigst einen Anreiz für dein handeln. Ich brauche bspw. keine Belohnung dafür um NPCs am Leben zu lassen. Ich treffe diese Entscheidung nicht auf Grund des Moralsystems.
>

Ich will einfach wenn ich Handlungsfreiheiten habe und das Spiel die Konsequenzen meiner Handlungen auch noch in einer Leiste visualisiert in charakter bleiben können. Wir reden hier ganz viel von Immersion. Unglaublich viele Entscheidungen die RDR2 im OW-Design trifft haben offensichtlich zum Ziel Immersion zu fördern.
An einer anderen Ecke des Spiels die zentrales Element ist, nämlich der Story, fügt sich das Design aber nicht diesem mechanischen Fundament, sondern reißt es plump wieder ein. Es ist so als ob ich ein Haus auf einem Sumpf baue. Das Haus versinkt und kann seine Funktion, nämlich dass ich darin wohne, nicht mehr erfüllen. Die ganze Arbeit für die Katz.
Wie meine Mutter schon zu sagen pflegte:
Junge, wenn du etwas machst, dann mach es richtig oder lass es bleiben.

>Und unabhängig davon, wäre es wirklich in character zocken, Arthur als Pazifisten oder Ehrenmann durch den Westen reiten zu lassen?

Wenn ich meinem Charakter einen moralischen Kompass geben kann, dann ist halt jeder moralische Kompass in character. Und das muss man dann auch berücksichtigen. Und das erzeugt halt Arbeit.

Machen wir uns doch nichts vor, die Skripte in den Missionen haben ein extrem plumpes Design. Varianzen im Spielerverhalten werden nicht aufgefangen oder durch natürliche Grenzen kaschiert, sondern mit harten Abbrüchen gestraft. Man ignoriert so ziemlich jeden eleganten Kniff der letzten Jahre der den Widerspruch zwischen "das Spiel erzählt gerade etwas" und "der Spieler kann sich in dieser Sequenz noch bewegen" glatt bügelt. Nimm mal Uncharted oder God of War. Reisewege werden in so Erzählspielen gerne genutzt um etwas zu erzählen. Sitzt man in Uncharted im Jeep oder in GoW im Boot fangen die Charaktere gerne ein Gespräch an.
Wenn ich jetzt als Spieler aber was interessantes sehe und das Boot oder den Jeep verlasse ist der Kniff dass mein Protagonist sagt, warte mal, bin gleich wieder da. Und wenn man wieder da ist, sagt der Erzähler, wo sind wir stehen geblieben, ach ja, also damals, im Ferienlager...

Das ist nice. Das verhindert den Immersionsbruch, erkennt die Problematik an und löst sie elegant und pfiffig. Die Missionen von RDR2 lösen einfach überhaupt nichts. Sie lösen das Problem des Bruchs und Widerspruchs indem sie das Interface verändern. Während ich in Uncharted den Jeep verlassen kann, kann ich in RDR2 unterwegs noch nicht mal eine Kippe rauchen wenn ich sehe dass mein Dead Eye Kern leer ist. Das ist wie man es dreht und wendet unheimlich plump, das sind Lösungen von 2006.

membran hat es schon richtig eingeordnet, hinsichtlich der Welt wirkt RDR2 ein Spiel aus der Zukunft, da frisst die Konkurrenz nur noch ihren Staub. Ich bin selbst erstaunt mit dem Start von AC:Odyssey wie verdammt groß dieser Gap ist.
Hinsichtlich Gamedesign wirkt es wie ein Spiel aus der Vergangenheit.
Der Treppenwitz, schon damals wurden solche Lösungen hart kritisiert und man hat erkannt dass das nicht gut ist. Die ganze Evolution des Filmspiels mit all ihren Feinheiten findet in den Missionen aber nicht statt, RDR2 müsste diese Lösungen nicht mal erfinden, sie sind ja schon da.


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