Thema:
Re:96 jährige NS Prozess Angeklagte geflüchtet flat
Autor: Telemesse
Datum:02.10.21 23:02
Antwort auf:Re:96 jährige NS Prozess Angeklagte geflüchtet von Lord Chaos

>>Die Frage ist doch wie ist so etwas aus heutiger Sicht zu bewerten. Die Frau ist Mitte der 20er Jahre geboren und in der vollen Blütezeit des Natinalsozialismus mit all seiner Indoktrination aufgewachsen. Ein richtiges "Hilerkind" sozusagen.
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>Es gab zig Fälle von Menschen, die auch mit ähnlicher Indoktrination aufgewachsen sind, und dennoch eine rote Linie gezogen haben - das gab es sogar bei Soldaten, die vermutlich nochmals mehr indoktriniert und abgestumpft waren.
>Mei, Niemand hat ja von ihr verlangt, dass Sie sich dem Widerstand anschließt, aber Sie hätte jederzeit den Job auch kündigen können. Es hätte, und dafür habe ich ja jetzt genug Beispiele verlinkt, keine großartigen Konsequenzen für Sie gehabt, zumindest wäre Sie dafür nicht in das nächste Lager gekommen.
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Woher weißt du denn wer wo seine rote Linie gezogen hat?

Ich hab mal versucht über dieses generelle Phänomen mit meinem Opa zu sprechen. Der war Baujahr 1900 und sowohl in WK1 als auch in WK2 im Einsatz. 1945 sind die dann aus Schlesien Richtung Norddeutschland geflüchtet. Leider hat er nie etwas über Kriegserlebnisse erzählt, er war in der Hinsicht, wie viele andere auch sehr verschlossen. Das einzige was er mir mal sagte, war das er soviel Grausames gesehen habe, häufig dachte niemals wieder lebend nach Hause zu kommen und einfach nur irgendwie funktionierte/überlebte. Er meinte das das niemand begreifen könne, der das nicht selbst erlebt hat. Jedenfalls wollte er nie darüber sprechen und das ganze nur vergessen. Darüber ob er selber auch Dreck am Stecken hatte kann ich nur spekulieren,  ausschließen kann ich es jedenfalls allerdings nicht. Mein Opa war später absoluter Pazifist und wollte auf keinen Fall das eines seiner (7) Kinder jemals wieder zum Militär muss. Seinen ältesten Sohn überzeugte er sogar zur Auswanderung nach Canada als in den 50er Jahren die Wehrpflicht wieder eingeführt wurde.

Was ich damit eigentlich sagen möchte: Der Krieg verändert die Person und bringt Verhaltensweisen zu Tage, die man Menschen niemals zutrauen würde. Niemand weiß wie er sich selbst in so einem Umfeld unter damaligen Bedingungen verhalten hätte. Die meisten wären wohl genauso mitgelaufen und hätten sich mehr oder weniger aktiv oder passiv beteiligt oder eben angepasst und einfach nur irgendwie funktioniert und versucht nicht aufzufallen. Und das insbesondere Frauen im äußerst patriarchalisch aufgebauten Nationalsozialismus tatsächlich große Wahlfreiheiten gehabt hätten, halte ich auch mal für eine nicht zutreffende Mutmaßung.

>Und - es ist ja nicht so, dass die Frau jetzt, zumindest soweit man das mitbekommmen hat, wirklich Reue gezeigt hat. Sie hat ja selbst lt. Medienberichten die Vorwürfe als "lachhaft" abgetan. Dann die Nummer eben mit dem Brief und der Weigerung, an einem Gerichtsverfahren teilzunehmen.
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>Wegen mir war Sie damals erst 20, aber knapp 70 Jahre später sollte man doch meinen, dass der moralische Kompass wieder insoweit geeicht ist, dass einem bewusst ist, dass man Teil einer Mordmaschinerie war und eigentlich auch viel Schwein hatte, dass man dafür ein Gros seines Lebens dafür nicht belangt wurde - aber genau diesen Kompass findet man bei sehr vielen Menschen nicht, die sich den Nazis angedient und auf solchen Posten gearbeitet haben.


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