Thema:
Re:Amüsiert oder verärgert? flat
Autor: Karotte
Datum:01.05.20 18:17
Antwort auf:Re:Amüsiert oder verärgert? von alex

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>>Schräg wird das ganze erst in dem Moment, in dem du diese Gruselgeschichte von einem ideologischen Deep Borg State heraufbeschwörst, der die gesamte Kulturproduktion assimilieren will.
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>Interessanterweise gibt es Vorlesungen beispielsweise in Gender Studies zu genau diesem Thema mit diesem Ziel. Wollen tun sie, ob wir es zulassen ist eine andere Frage.


Ganz ehrlich: Das ist kein Problem. Warum? Weil es vollkommen normal ist, dass die Kulturproduktion und deren wissenschaftliche Rezeption zig verschiedene Strömungen und Denkschulen hervorbringt, bei denen auch radikalere Gesellen dabei sind. Das war immer so und wird immer so sein. Mal schlägt das Pendel in die eine Richtung aus, mal in die andere. Glaubst du, ich als Riesenfan klassischer Renaissancearchitektur finde den gerade vorherrschenden, manisch abstrahierten Minimalismus geil?

Selbst innerhalb derselben grundsätzlichen Denkrichtung gibt es wieder zig Varianten, weshalb es z.B. auch nicht „den“ Feminismus gibt. Auf unser konkretes Thema bezogen: Anita Sarkeesian hat afair Druckmanns Uncharted 4 für die Darstellung von Elena kritisiert.

Will sagen: Es gibt diese homogene, ideologisch eingeschworene Loge von Feministen nicht, von der immer wieder fabuliert wird und die Kulturproduktion bewegt sich auch nicht deterministisch auf eine einzige, klar umrissene Linie zu. Das hat sie nie und das wird sie nie.

Und so lange die Auseinandersetzung zwischen Kreativen, Theoretikern und sonstigen Rezipienten nicht in dem Sinne ausartet, dass es Mord und Totschlag bzw. Drohungen in diese Richtung gibt, sehe ich keinen Grund zur Panik. Bzw. ist es im Moment halt leider so, dass gerade Leute wie Sarkeesian Morddrohungen erhalten. Oder hast du je davon gehört, dass jemand Tomonobu Itagaki ans Leder will?

Und Itagaki ist ja nur ein Beispiel. Guck dir mal „Love of the Brute“ von Hiroaki Samura an, „Omphalos“ von Kim Jung Gi, die Sachen von Sorayama, Manara und wie sie alle heißen. Haufenweise Künstler leben völlig ungestört ihre sexuellen Fetische und Fantasien aus, ohne dass ihnen irgendjemand in die Suppe spucken würde. Im Gaming: Der Arsch von 2B in Nier: Automata oder die ganzen Waifus in Persona 5, die von der heißen Ärztin bis zur Musterschülerin und der Lehrerin, die mit dem Schüler anbandelt, jedes Klischee bedienen. Abseits von Sex: FF15 dreht sich komplett um „diese besondere, über Jahre kultivierte Männerfreundschaft, bei der die Mädels nur im Weg sind“, während God of War mit seiner ultraklassischen Vater-und-Sohn-Story daherkommt.... Wo findet diese gemeine Unterdrückung freier Kreativlinge bitte statt?

>>Davon abgesehen, ist die Sache halt die: Sich einerseits an Twitter-SJWs aufzuhängen und gleichzeitig zu behaupten, es hätte nie ein militantes Pendant auf der anderen Seite gegeben, ist bei den Shitstorms, die etwa alleine die Ankündigung der ersten Tropes v. Women-Videoserie von Sarkeesian ausgelöst hat, völlig absurd.
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>Jeder wusste was kommen würde, jeder wusste was der Inhalt sein würde und jeder wusste wer die Opfer sein würden. Ist jetzt nicht so, dass Gaming nicht seit der Existenz der Spielekultur nicht konstant kritisiert würde und Anita hat im Prinzip auch nichts anderes gemacht, was die Games verursachen Gewalt Vertreter schon seit Jahren gemacht haben, nur für ein anderes Thema. Und genau wie diese Aussage kann sie wissenschaftlich nicht verteidigt werden, wird aber trotzdem wiederholt, weil sie der gefühlten Wahrheit oder der eigenen Ideologie entspricht. Die einen fordern weniger Gewalt, die anderen andere Frauenbilder und so objektiv sie sich auch geben, sind die Forderungen rein subjektiv.


Dass es Wechselwirkungen zwischen der gesellschaftlichen Realität und der Kulturproduktion gibt, ist imho eindeutig. Italienerklischees aus zahlreichen Mafiafilmen? Die bösen Russen? Jugendliche, die sich wie Figuren aus Filmen bzw. bestimmte Schauspieler/Stars benehmen/anziehen, ihre Ticks und Manierismen kopieren? Art imitates Life imitates Art. Und das war auch Sarkeesians Message: „Ich will euch nicht den Spaß an euren Games verderben, aber wir sollten darüber reden, wie Frauen hier dargestellt werden.“ Ich war nicht immer ihrer Meinung, aber weitestgehend war ihre Darstellung absolut nachvollziehbar.

Davon abgesehen: Niemand konnte im Vorfeld wissen, wie Sarkeesian die Sache angehen würde. Aber im Zweifel hat man halt draufgehauen. Was genau das ist, was du der ominösen Feministenverschwörung unterstellst. ;o)

>Nur statt eigener Ideen zu haben und diese gegen die Konkurrenz im Markt antreten lassen zu wollen, verlangt man, dass die bereits existierenden Marken angepasst werden müssen. Das Gleiche gilt für Comics, Filme usw. selbst Kunst ist davor nicht mehr sicher.

Wie oben angedeutet: Imho übertreibst du mit dieser „Nichts ist vor den Genderterroristen sicher!“-Darstellung extrem. Aber grundsätzlich fände ich es auch interessanter, wenn man neue weibliche Charaktere erschaffen würde, als Bestehendes (Ocean‘s, Ghostbusters, sogar League of Extraordinary Gentlemen war mal im Gespräch) umzuschreiben.

>>Oder wenn man, jenseits des Gaming-Tellerrands, an die Reaktionen denkt, als Alicia Keys sich dazu entschieden hat, auf dekorative Kosmetik zu verzichten. Es gibt da draußen eine beschissen militante Gruppe von Kollegen, die völlig hohldrehen, sobald jemand es wagt, die archaischen Geschlechterrollen infrage zu stellen.
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>>Da hast du deine Armee, die anderen vorschreiben will, dass Frauen wie die D.O.A.-Mädels zu sein haben — sowohl virtuell als auch in der Realität.
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>Diese Armee muss aber über eine sensationelle Tarnung verfügen, denn sie existiert vor allem in den Köpfen von einigen.


Mh. Das halte ich wiederum für eine Untertreibung. Die Shitstorms und Morddrohungen sind ja dokumentiert.


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