Thema:
Re:Meinst du das ernst? flat
Autor: Zinkhal
Datum:21.11.22 17:54
Antwort auf:Re:Meinst du das ernst? von Atlan

>Seinen Äthiopien-Vergleich hast du überlesen?
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>Also ja, das Posting meine ich ernst. Zinkals Beitrag ist das typische "Die sollen gefälligst zufrieden sein, andere haben noch weniger!", das man jedes mal bei Arbeitnehmer-Diskussionen zu hören bekommt, sei es hinsichtlich Sozialleistungen, Löhnen oder generell bei Streiks. Wenn es gut läuft, sollen die Arbeitnehmer doch bitte den Ball flach halten, um die Konjunktur nicht abzuwürgen. Und wenn es schlecht läuft, erst recht. Also eigentlich immer!
>Und die von dir kritisierten Defizite der Gewerkschaften kommen doch auch nicht aus dem Nichts, sondern sind das Resultat von Jahrzehnten neoliberaler Entmachtung und Aushöhlung (und zu Zeiten natürlich auch gesellschaftsklimatisch bedingter Selbstentmachtung, das gebe ich zu). Sich deswegen als AN jetzt aber gegen sie aufhetzen zu lassen, ist so ziemlich das dümmste, was man tun kann. Endlich wieder mehr Gewerkschaft und Arbeitskampf wäre angesichts der bizarr ungerechten Verteilung des von hauptsächlich diesen Menschen erwirtschafteten Reichtums die Lösung, nicht noch weniger.
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>Da du aber mal wieder nicht ohne persönliche Beleidigungen und Dreck aus der Vergangenheit auskommt, um meine Position zu diskreditieren, spare ich mir eine ausführliche Antwort. Nur noch so viel: Immer sobald ich es mir irgendwie leisten kann (damals waren das bei mir knapp 2000 netto im Monat als 35-jähriger Akademiker), kaufe ich natürlich sofort nur noch bio, fair trade und eben Kleidung aus Europa (und da landet man bei Schuhen eben bei mehreren hundert Euro). Aktuell bin ich wegen anhaltender Auftragsflaute arm und kann mir kaum noch Bio-Eier leisten und schäme mich dafür. Aber ich weiß, als Linker darf man ja eigentlich gar kein Geld verdienen, sonst ist man ein Heuchler.
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>Nee nee, schimpf du mal lieber weiter auf zu viel bestellende Online-Kunden, vermeintlich deretwegen eure Arbeitstage beim Paketdienstleister heutzutage so überladen sind. Du scheinst ja echt gut in der Analyse von Problemzusammenhängen zu sein und dem Blick dahin, von wo und weswegen der Fisch stinkt. (Um es dir argumentativ mal gleichzutun, sorry.)


Ich bleibe dabei, der Abschluss der IG Metall ist in der gegenwärtigen Zeit alles andere als schlecht. Das Forum scheint überwiegend aus Arbeitnehmern zu bestehen, die viele Aspekte ausschließlich aus ihrer Warte sehen, was auch völlig legitim ist. Mit keiner Silbe habe ich jedoch jemanden etwas nicht gegönnt, oder gesagt, er soll die Klappe halten und nehmen, was er kriegt.

Kaum einer regt sich aber darüber auf, wenn pauschal mal wieder der Arbeitgeber einen drüber bekommt, weil wir ja alles per se die Bösen sind und unsere Arbeitnehmer ausbeuten.

Was viele vergessen, ist, dass in Deutschland 99 % aller Unternehmen kleine und mittlere Unternehmen sind. Die "Großen" machen 1 % aus (stellen zugegebenermaßen jedoch eine nicht unwesentliche Anzahl an Arbeitsplätzen zur Verfügung). Dennoch ist es so, dass sich die verabschiedeten Abschlüsse von Gewerkschaften nicht allein auf die DAX-Konzerne beschränken. Der klassische Mittelstand ist ebenfalls voll dabei. Diese Unternehmen haben im Regelfall keine schier endlosen Geldreserven bzw. können nur unter deutlich erschwerten Bedingungen neues Kapital beschaffen. Für solche Unternehmen ist dieser Abschluss eine extreme finanzielle Belastung. In Verbindung mit den gestiegenen Energie- und Rohstoffpreisen zum Teil existenzbedrohend (wenn ich nicht zur Verschwiegenheit verpflichtet wäre, würde ich gerne mal ein paar Kontakte vermitteln...). Darauf war mein Posting bezogen. Der Arbeitnehmer soll unter keinen Umständen an Kaufkraft und Wohlstand verlieren; wie der Arbeitgeber es stemmen soll, interessiert aber keinen. Das funktioniert so nicht. Wir sind an einem Punkt angekommen, wo jeder bluten muss. Die gegenwärtigen Folgen können nicht einseitig umverteilt werden. Wenn der Mittelstand wegbricht, ist keinem geholfen. Hier muss vielmehr der Gesetzgeber eingreifen und die DAX-Unternehmen und Superreichen mal mehr zur Kasse bitten. Eine Umverteilung nur anhand von Gewerkschaftskämpfen wird m.M.n. nicht zum Ziel führen und trifft flächendecken nicht nur(!) die richtigen.

Natürlich sollte es selbstverständlich sein, dass der Arbeitgeber sein Personal gerecht bezahlt. Es ist aber nicht die Aufgabe der Arbeitgeber, alles auszubügeln, was unsere Regierung die letzten Jahre falsch gemacht hat, geschweige denn für die Lage der Welt verantwortlich gemacht wird. Wir haben es nicht mit der üblichen Inflation zu tun. Dieses Anspruchsdenken scheint hier aber durchaus vorherrschend zu sein. Und das war der Punkt, der mich persönlich dezent aufregt.


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