Thema:
Kann nur über meine Familie berichten... flat
Autor: Pezking
Datum:25.10.22 09:25
Antwort auf:Russland, Putin und wir Ostdeutschen von peppi

...meine Frau kommt ja aus Sachsen-Anhalt.

>Wie ticken die Ostdeutschen in Sachen Russland? Warum gibt es hier häufig eine größere Nähe gegenüber Russland?

Meine Schwiegerelten hielten rein gar nichts von der DDR und erst recht nicht von Russen. Die haben sich dort oft genug wie offene Hose benommen, einfach Sachen aus dem Garten geklaut oder mal Kinder für sich tanzen lassen, wenn ihnen danach war. Und da sie auch noch aus Überzeugung in der Kirche waren, konnte denen die DDR nicht schnell genug untergehen.

Sie haben die Wiedervereinigung nur gefeiert, alle Nachteile in deren Kontext gerne in Kauf genommen (mein Schwiegervater kam nach der Wende jobmäßig nie mehr so richtig auf die Beine), über die Kirche viele internationale Freundschaften geknüpft und vertieft und überhaupt kein Verständnis für DDR-Verklärung, "Ostalgie" oder gar romantisch-brüderliche Gefühle in Richtung Russland.

Mein Schwiegervater ist jetzt nur überrascht, dass Russland sich militärisch als jämmerlicher Scheinriese entpuppt hat.

Die längst verstorbene Oma meiner Frau mütterlicherseits hätte das wohl alles anders beurteilt. Die war dick in der Partei und in jungen Jahren überzeugte Kommunistin, was sich aber über die Jahrzehnte hinweg zu einer rein opportunistischen und verlogenen Bequemlichkeit entwickelt hat.

Der Vater meiner Frau stammt aus einer Bauernfamilie. Die standen mit der DDR natürlich auch eher auf Kriegsfuß.

Die Schulfreunde meiner Frau wirken alle 0,0 wie Klischee-Leute aus Ostdeutschland. Die sind aber auch alle um die Jahrtausendwende in den Westen umgezogen und haben spätestens da ihren Dialekt abgelegt. Keiner von denen geht auch nur ansatzweise in Richtung Rechts, Querdenkertum oder Russlandliebe. Und gilt auch für das jeweilige Elternhaus.

Aber ich kriege dort aus dem Umfeld auch andere, schattigere Seiten mit. Dass tatsächlich neuerdings verstärkt waschechte Nazis dorthin ziehen. Die sich auch unverblümt als genau das zu erkennen geben, mit AH-Nummernschildern, Kampfhunden und passenden Tattoos und Autoaufklebern. So ein Arschloch haben meine Schwiegereltern jetzt auch in der Straße - herzlichen Glückwünsch. :-/

Und wenn ich dort mal einkaufen gehe oder beiläufig Gespräche auf der Straße aufschnappe, dann bietet sich mir dort auch ein anderes Bild als ich es aus meiner Idylle im Frankfurter Speckgürtel kenne. Meine Frau sagt auch klipp und klar, dass sie sich nicht mehr vorstellen könnte, dort zu leben. Man merkt dort einfach zu sehr, dass man tatsächlich davon ausgehen kann, dass jeder Fünfte um einen herum im Supermarkt AfD wählt.

Es gab in der DDR genug Leute, die das alles damals richtig scheiße fanden und bis heute alles, was ansatzweise danach riecht, nach wie vor verdammen. Und die sich vor der Wende westdeutsche Verhältnisse gewünscht haben und diese bis heute wertschätzen. Nur sind viele von denen halt direkt in den Westen gegangen und dort geblieben.


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