Thema:
Re:Korrektur eines Details: flat
Autor: BOBELE
Datum:09.08.22 14:21
Antwort auf:Re:Korrektur eines Details: von Telemesse

>>>>>Bevor man darum über ein solches Ticket spricht,
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>>>>NEIN, NEIN, NEIN.
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>>>>Das ist in Deutschland so eine verdammte Pest. Dieser Perfektionismus ist genau das warum wir in Deutschland so weit hinterherhängen. Ständig heißt es, "erst mal muss das stimmen", "lass noch abwarten" usw usf. und das ist einfach eine Pest.
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>>>>Es gibt keinen vernünftigen und logischen Grund nur weil irgendwo auf dem Land nicht so viele von dem 9 Euro Ticket profitieren, das ganze Ticket in Frage zu stellen, oder Forderungen aufzustellen bevor man das einführt. Dieser ständige Drang Themen nur dann anzugehen, wenn sie bestimmte Kriterien erfüllen oder Dinge zu verschieben, weil man keine Ahnung davon hat, ist so unfassbar lähmend fürs ganze Land, dass es schon nicht mehr feierlich ist.
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>>>>Das kenne ich so echt nur von uns hier in Deutschland und fällt mir immer wieder auf.
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>>>Es ist typisch deutsche "Nein"-Mentalität. Einfach zu allem erst mal nein sagen und bloß nichts ändern. Auch wenn man davon nicht mal betroffen ist weil es kann ja nicht sein dass da irgendjemand etwas günstiger kriegt und man selbst nicht davon profitiert. Ach es ist alles so zum Kotzen.
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>>Ich verstehe, was Magus und Du meint. Und ich will überhaupt nicht "Nein" sagen. Ich kann nur die "Nichts Halbes und nichts Ganzes" Herangehensweise nicht nachvollziehen. Wir sind eines der reichsten Länder der Welt. Wir könnten uns sehr sicher einen flächendeckenden und für jeden bezahlbaren ÖPNV leisten, mit dem kaum noch jemand auf ein Auto angewiesen wäre. Dazu müsste man nur das ganze marode System ändern. Verstaatlichen, bisherige Privatgewinne in Subventionen stecken usw. Statt dessen will man jetzt ein bisschen Druck aus dem Kessel nehmen, indem man die Menge der Leute, die mit dem ÖPNV nichts anfangen können, mit einem Billigticket so weit reduziert, dass man wieder von einer bedauerlichen Minderheit reden kann, die halt eben Pech hat. Mit sozial hat das imho halt nix zu tun.
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>Wieso glaubst du das das bei einer Verstaatlichung besser laufen sollte?


Ich bin sogar fest davon überzeugt!

>Ich kann mich noch gut an eine Zeit erinnern als die Bahn staatlich war. Da waren die Bahnhöfe nach Pisse stinkende Dreckslöcher und iirc. war da eigentlich nix besser als heute.

OBJECTION!!

Ja, da war keineswegs alles tippitoppi. Aber damals hat die Bahn mit sowas hier Werbung gemacht:

[https://achim-szymanski.de/wp-content/uploads/2016/04/alle-reden-vom-wetter.jpg]

Und das zu Recht. Ich bin als Kind in den 80ern wirklich viel mit der Bahn gefahren. Dass da mal ein Zug ausgefallen wäre, war wirklich die Ausnahme. Allerdings hat die Bahn es sich da auch noch geleistet, ausreichend Personal zu beschäftigen, dass nicht Züge ausfallen, wenn sich mal ein Lokführer krank meldet. Oder die Stellwerke von Menschen bedienen und betreuen zu lassen, so dass nicht dauernd Verbindungen ausfallen, weil irgendwelche Computer versagen und es ewig dauert, bis die Leute vom billig angeheuerten Subunternehmer jemanden zur Reparatur rausgeschickt haben. Und man hatte damals noch genug Leute für die Streckenpflege, die in der Nähe der Gleise alles kleingehalten haben, damit nicht beim nächsten Herbswind wieder Bäume auf die Oberleitung kippen. Ganz zu schweigen davon, dass man eben auch weniger lukrative Strecken bedient hat, weil der Bahnverkehr eben auch in abgelegenen Winkeln der Republik für die Menschen wichtig ist und man das eben querfinanziert hat.

Du gibst mir sicher recht, dass es mit wenig weiterem Aufwand möglich gewesen wäre, auch die Bahnhöfe sauber zu halten. Und gegen eine privatisierung von Toiletten und Reinigung spricht auch wenig, wenn man das will.

Aber tatsächlich hat man das Schienennetz kaputtgespart, bei der Technik der Züge gespart, bei der Belegschaft gespart, und jetzt haben wir eine Bahn, bei der gefühlt mehr Züge ausfallen oder verspätet sind, als dass sie pünktlich fahren. Wenn man auf seiner Reise auf pünktliche Anschlüsse angewiesen ist, dann kann man doch kaum noch davon ausgehen, dass man einen problemlosen Reiseablauf erlebt. Ich bin bis 2019 jahrelang zwischen einem Vorort von Euskirchen und Köln gependet. Ich musste dabei einmal umsteigen. Es gab sicher nicht eine Woche, in der ich nicht ne halbe Stunde oder länger an irgendeinem Bahnhof hätte warten müssen, weil wieder irgendwas nicht fährt.

Der Unterschied zwischen einem staatlichen Unternehmen und einem privatwirtschaftlichen ist, dass das staatliche Unternehmen eine Vorgabe über die zu erbringende Leistung macht (z.B. Bedienung auch unwirtschaftlicher Strecken, Pünktlichkeit von mindestens 95% etc.) und dann kostet das den Steuerzahler eben das, was er kostet. Ein privates Unternehmen wird IMMER zuerst schauen, dass es möglichst viel Gewinn erwirtschaftet. Und er wird nur von einem Jahresabschluß zum nächsten denken. Es muss halt die Vegetation an den Schienen nicht klein halten, die ist ja noch nicht kritisch, da passiert auch im Herbst kaum was. Also sparen, Gewinn höher, ergebnisabhängige Boni des Vorstandes höher, alles tutti. Dass das nach ein paar Jahren dann einen riesigen Stau an nötigen Arbeiten generiert, interessiert aktuell keinen, weil die meisten Verantwortlichen sind dann eh nicht mehr am Ruder. Beamte hätten schon frühzeitig gesagt: Das müssen wir uns jetzt leisten, sonst wirds später noch teurer, ist mir egal, das wir da jetzt nicht sparen können.

Ich bin sicher, dass es ein Märchen ist, dass staatliche Unternehmen langsam, bräsig und ineffektiv sein müssen. Auch in staatlichen Unternehmen kann man z.B. Anreize für alle Beschäftigen bieten, effizient und kostensparend zu arbeiten.

Und noch eins... Man könnte jetzt sagen: Können wir uns denn so einen Moloch leisten? Wer soll die Kosten für so eine Bahn tragen? Ich wage zu behaupten, dass die Kosten, die der Gesellschaft durch die kaputtgesparte Bahn jetzt entstehen, deutlich höher sind als das, was wir alle bezahlen müssten, wenn es eben kein privates Unternehmen wäre. Wenn alle Menschen, die sinnlos an Bahnhöfen rungestanden haben, die verplemterte Zeit gearbeitet und Lohn und Mehrwert geschaffen hätten, hätte das bestimmt für die Mehrkosten einer funktionierenden Bahn gereicht. Und Nerven geschont und sozialer gedacht wäre es auch gewesen.

Und wenn der Gedanke zu kompliziert ist: NICHTS, was ein Privatunternehmen machen kann, könnte ein staatliches Unternehmen nicht genau so gut machen. Die haben ja keine Superkräfte. Es muss halt nur gemacht werden. Am Ende bliebt aber halt immer in der Privatwirtschaft Geld, was dem Unternehmen entzogen wird, eben von den Anteilseignern. Und bei sowas wie der Bahn (oder den Kliniken oder oder) gehört sich das imho nicht. Solche Unternehmen sind ausschliesslich dazu da, der Gesellschaft die nötige Infrastruktur und Versorgung zur Verfügung zu stellen, und kein anderes Ziel sollten die haben. Vor allem nicht den finanziellen Gewinn von Investoren.

>Övpn ist doch auch überwiegend in komunaler Hand. Da gibts doch gar nicht viel zu verstaatlichen.

Ich bin da echt kein Fachmann, aber afaik ist das Gegenteil der Fall. Der Nahverkehr muss doch inzwischen ausgeschrieben werden und da kriegt eben der größte Billigheimer den Zuschlag. Ob der die Strecken dann sinnvoll bedienen kann oder den niedrigen Preis nur anbietet, weil der mit Billigstzügen aus Osteuropa fährt, ist dann zweitrangig.

Und dann ist "Die Bahn" ja inwischen ein Geflecht an irgendwelchen Firmen, die teilweise gar nix mehr mit "Bahnfahren" zu tun haben... Facility Management, IT-Dienstleistungen... was soll das? Ich hab keine Ahnung, in wie weit der Bund da noch involviert ist, aber wenn ich wetten müsste: Der darf nur noch da mitspielen, wo man dauernd Geld reinpumpen muss. In die Schienennetze zum Beispiel.

Ich erinnere mich noch, dass es vor Jahren in der Presse war, dass die DB Netze Einsparungen im Schienennetz ermöglichen wollte durch zuerst den massenhaften Rückbau von Weichen. Weil die ja wartungs- und personalintensiv sind. Mit dem Ergebnis, dass es kurz drauf kaum noch Überholmöglichkeiten gab und ein einziger liegengebliebener Zug eine ganze Strecke über Stunden lahmlegen konnte. Dafür hat man dann die wenigen übriggebliebenen Weichen dann automatisiert mit Technik, die alle Nase lang ausfällt. Mit dem Ergebnis: Die Bahn spart einen Haufen Geld, der Zugverkehr funktioniert nicht mehr. Es ist da wenig Trost, dass vielleicht ein Teil des gesparten Geldes wieder an den Bund fliesst, der Anteile an dem Jammerspiel hält.

>Im Normalfall sind staatliche Betriebe immer ineffizienter als Private, haben also höhere Kostenstrukturen. Wenn die Gewinnerzielungsabsicht wegfällt führt das eigentlich nie zu kostenbewussterem Handeln.

Das mag oftmals so gewesen sein, aber ich bezweifele, dass das so sein muss. Man muss halt auch die Strukturen dahinter ändern. Die typischen Verfahren mit jährlichem Haushalt etc. sind vielleicht nicht tauglich. Aber warum sollte ein und das selbe Unternehmen nicht statt in privater komplett in staatlicher Hand sein können? Es gibt halt keine Gewinnerzielungsabsicht, sondern eine Absicht, die gestellten Aufgaben zu erfüllen. Und wenn dann die Gehälter der Entscheidungsträger nicht an der Dividende der Aktionäre hängen sondern eben an Pünktlichkeit und Servicequalität, dann wüsste ich nicht, warum das nicht funktionieren sollte. Zu kostenbewusstem Handeln führt das vielleicht nicht. Kosten finde ich aber auch ehrlich gesagt zweitrangig. Es geht um ergebnisbewusstes Handeln.


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