Thema:
Re:Das Märchen vom Gendersterntaler flat
Autor: Pezking
Datum:22.06.22 20:03
Antwort auf:Das Märchen vom Gendersterntaler von Telemesse

>Ergänzend zum unteren Post ist hier nochmal der ursprüngliche Artikel von Ingo Meyer, der aktuell für den Theodor-Wolff Preis nominiert ist.
>Und ich habe jetzt nicht vor einzelne Passagen daraus zu extraieren oder zu kommentieren weil der ganze Text für mich in sich stimmig ist. Ich finde die Argumentation völlig schlüssig und nachvollziehbar.
>Falls jemand daran etwas kritisieren möchte kann er das ja gerne sachlich tun. Ich warte allerdings schon wieder auf die üblichen sinnfrei Postings die wieder irgendetwas an Autor, Theo Wolf Preis, der Jury oder sonstwas rumzunölen haben und das ganze für einen verdeckten Naziangriff halten.
>
>[https://www.meyer-schreibt.de/kommunikation/sprache/gendersterntaler.pdf]


Ok, ich habe den Text gelesen. Bei der Berliner Zeitung geht mir echt direkt das Messer in der Tasche auf, die ist leider nicht weit weg genug von Compact & Co. Aber das spielt ja jetzt hier keine Rolle.

Ich kann und will gar nicht im Detail auf die einzelnen Punkte eingehen - einfach schon allein deshalb, weil ich mich weder als Verfechter, noch als Verflucher von genderneutraler Sprache ansehe. Ich hänge da irgendwo zwischen den Polen in den Seilen.

Als Journalist nervt mich genderneutrale Sprache. Sprachästhetisch ist das viel zu oft ziemlicher Murks. Aber die Aktivisten, die sich für genderneutrale Sprache einsetzen, haben gänzlich andere Prioritäten und Zielsetzungen - natürlich ist es denen erst einmal wurst, wenn Sprachästhetik dabei auf der Strecke bleibt. Kann ich ihnen nicht verübeln. Die "Schönheit" einer Sprache hat herzlich wenig mit Gleichberechtigung zu tun.

Gleichzeitig kann ich nachvollziehen, warum man die Sprache als Puzzlestück auf dem Weg hin zu einer umfassenderen Gleichberechtigung erachtet. Sprache ist Alltag, Sprache ist allgegenwärtig und Sprachveränderungen fallen auf und rufen Dinge ins Bewusstsein. Ohne eingestehen zu wollen, dass ich früher dank der Sprache "patriachalischer" gedacht hätte, muss ich doch sagen, dass die laufende Konfrontation mit genderneutraler Sprache dafür sorgt, dass ich generell für Ungerechtigkeiten zwischen den Geschlechtern sensibler geworden bin. Auf die gleiche Art und Weise, wie die neue Präsenz von Barrierefreiheit dafür gesorgt hat, das ich mich öfter frage: "Und wie kommt ein mobil beeinträchtigter Mensch hier zurecht?"

Und das finde ich gut.

Was ich immer arg kurz gedacht und plump zurechtgestutzt finde, ist die Annahme, dass Genderaktivisten glauben würde, dass die Sprache ein potenzieller Schalter ist, der Geschlechterungerechtigkeit im Alleingang beseitigen könnte. Ein binäres Problem: Ein oder aus?
Natürlich bildet sich das niemand ein. Und deshalb läuft IMO auch eine Argumentation ins Leere, die lieber "echte" gesellschaftliche Veränderungen anstelle von gendergerechter Sprache vorantreiben will. Dabei wird die Sprache doch eh nur als ein Puzzlestück von vielen auf dem Weg dorthin angesehen.

Und schließlich habe ich nur wenig Verständnis für die vielfach erkennbare regelrechte Angst vor gendergerechter Sprache. Als könne man sich dieser im Alltag kaum entziehen - solche Ängste halte ich für unbegründet. Im beruflichen oder professionellen Bereich kann gendergerechte Sprache ein weiteres sprachliches Korsett, eine weitere nervtötende Formalie sein. Bei Uni-Klausuren kann man für den Verzicht auf gendergerechte Sprache ebenso einen auf den Deckel kriegen wie für mäßig zurechtgestümperte Quellenangaben. Nervt - aber das Einhalten von Formalien im professionellen Bereich zählt halt auch zur Ausbildung. Und abseits dieses Schauplatzes kann man dann auch direkt wieder machen was man will.

Wie gesagt: Ich finde gendergerechte Sprache ganz bestimmt nicht geil. Aber ich kann und will sie auch nicht verachten. Das lässt mich irgendwo zwischen den Stühlen zurück - und deshalb begegne ich dem Thema mit einer IMO ganz gesunden Gelassenheit. Und die kann ich nur weiterempfehlen.


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