Thema:
einzigartiger Verein flat
Autor: Bergzwuckel
Datum:24.05.22 16:47
Antwort auf:Der hochoffizielle Fußballthread 137 von Pezking

Die letzten Tage waren nicht einfach. Wenig Schlaf, sportliche Trauer, viel Stolz und einfach so verdammt viele Eindrücke. Das alles zu verarbeiten passiert aktuell immer noch. Mein Kopf ist Matsche und auch mein Körper ist etwas angeschlagen. Aber es wird. Vor allem das reden und schreiben darüber hilft ungemein. Deswegen schon mal sorry, dass es vielleicht etwas länger werden könnte. Ich schreib hier einfach mal alles runter, was mir so in den Kopf kommt, wenn ich das Revue passieren lasse. Irgendwo muss das ja hin und wo gibt es einen besseren Ort dafür als im M!? :-)

Vor einem Vierteljahrhundert gaben meine Eltern meinem Bruder und mir nach einem abermaligen frühen Ausscheiden im Pokal das Versprechen, dass unser Verein irgendwann mal nach Berlin zum Finale fahren wird. Und wenn das passieren würde, dann fahren wir gemeinsam nach Berlin. Das Versprechen wurde immer wieder erneuert, aber wirklich ernst in Erwägung gezogen haben wir das nie. Der Fussball wurde immer kommerzieller, Jahr für Jahr. Die Schere zwischen CL Teams und den Fahrstuhlmannschaften immer größer, Produkte wurden aus dem Nichts durch viel Investorengeld aus dem Boden gestampft und nach oben geführt. Jedes solche aufsteigende Produkt führt zwangsläufig zu einem Abstieg eines Anderen. Ein widerlicher Auswuchs auf dem Nächsten. National wie international. Und irgendwie wir da zwischen drin, ein kleiner südbadischer Verein mit ein paar Tausend Mitgliedern, einer klaren Philosophie, fest in der Hand von uns Mitgliedern und mit Leuten in Verantwortung, denen wir vollends vertrauen. Und nun stand dieser Verein wirklich im Pokalfinale und ich Samstag also in Berlin. Arm in Arm die Seele aus dem Leib singend mit meinen Eltern, Reihe 5 hinter dem Tor, eingehüllt in Pyronebel. Aber ich greife vorweg.

Als wir gestern vor 7 Jahren in Hannover standen und den sportlichen so bitteren wie vor allem unnötigen Abstieg erlebten, standen wir heulend im Block. Spieler wie Günter und Petersen, der damals noch ausgeliehen war, saßen heulend auf dem Rasen. Bei Streich liefen ebenfalls die Tränen, doch nirgendwo auch nur ansatzweise ein Zwist zu spüren. Dieser Moment hat den Verein abermals gestärkt in seinem Zusammenhalt. Ein Günter blieb im Verein, ein Petersen wechselte fest zu uns und Christian Streich sagte, dass wir "zwar ein kleiner Verein, aber ein großer in seinem Wesen" seien. Ein Nicht-Verbleib von ihm stand sowieso nie zur Debatte :D

Und so erlebten wir danach den direkten Wiederaufstieg als Meister vor dem uns so konträren Leipziger undemokratischen Marketingkonstrukt. Und eine kontinuierliche Weiterentwicklung, Jahr für Jahr. Klassenerhalte und fast schon ein kleines Einnisten im Mittelfeld der Tabelle. Ein neues Stadion, aus eigener Tasche bezahlt, und der Verein wächst und wächst natürlich. Und nun sind wir bei weit über 30.000 Mitgliedern, stehen wirtschaftlich super da und erlebten eine absolut einmalige Saison. In der Bundesliga nach dem ersten Spieltag nicht einmal schlechter als Platz 6 und im DFB-Pokal etwas absolut Einmaliges geschafft. Erste Runde mit Würgen in Würzburg überstanden, dann Osnabrück im Elferkrimi besiegt. Anschließend das Konstrukt aus Hoffenheim weggeschossen, in Bochum mit dem letzten Angriff in der Verlängerung getroffen und dann sogar Hamburg absolut souverän überstanden. Und wirklich etwas geschafft, dass der Verein noch nie schaffte. Wir erreichten zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte das DFB-Pokalfinale der Herren. Und unsere Eltern mussten also ihr Versprechen wahr machen. Mitte/Ende 60, beide in Rente. Und sie haben ihr Versprechen wahr gemacht.

Wir sind also am Wochenende nach Berlin gefahren. Zum fucking Pokalfinale. Für unseren Verein. Zusammen mit unserem Fanclub und zusammen mit 40.000 anderen Verrückten, egal ob diese Tickets besaßen oder nicht. Noch nie in unserer Vereinsgeschichte zuvor war eine solche Völkerwanderung aus unserem kleinen beschaulichem Breisgau heraus zu spüren. Jeder Zug ab Freitag ausgebucht, Fernbusse voll, Mitfahrgelegenheiten alle weg. Etliche Sonderbusse. Selbst wir sonst so grünen Freiburger haben alle möglichen Flüge ausgebucht. Gefühlt war einfach die ganze Stadt auf den Weg gen Hauptstadt. Ich bin Freitag bereits angereist, bahntechnisch mit ner halben Stunde Verspätung quasi pünktlich (für die Strapazen am Samstag könnte bestimmt mein Bruder ein paar Worte zu schreiben ;-) ).

Und dann war irgendwie auch schon Samstag, Pokalfinaltag. Der Breitscheidplatz füllte sich früh in rot. Eine absolute Euphorie war bereits dort zu spüren. Friedlich, freundlich und einfach mit guter Laune. Aber im Nachhinein war das pille palle im Vergleich zu dem, was uns bis weit nach dem Spiel noch erwarten würde. Denn neben dem offiziellen Fanhock wurde von der aktiven Fanszene ein Fanmarsch ab dem Theodor Heuss Platz in Richtung Ostkurve ausgerufen. Und was uns dort erwarten würde, hatte ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht vorgestellt. Ich glaube wie bei so vielen Vereinen ist die aktive Fanszene und Ultras einfach nochmal anders als die "normalen" Stadionbesucher. Ich hätte vielleicht ein paar Tausend maximal erwarten, die Bock darauf hätten mit der aktiven Szene einen 2,5km Marsch zu machen. Aber dass bereits eine Stunde vor dem Marsch die U-Bahn Station nicht mehr angefahren werden konnte, weil der Platz bereits völlig voll war und sich einfach mal 30.000 Leute diesem Marsch anschließen würden, das war schlicht und ergreifend phänomenal. Egal ob Ultras oder das 80 jährige Urmitglied des Vereins. Einfach mal die gesamte Ostkurve schloss sich diesem Zug an. Selbst eine Gewitterzelle, die uns alle schlagartig völlig durchnässt hatte, konnte der Stimmung kein Abbruch tun. Straßenzüge komplett in rot gehüllt. [https://imgur.com/APYYjWl] Viele tolle Aktionen mit Bewohnern an der Straße. Mein Favorit war definitiv die Oma, die mit allen die vorbei kamen die Welle machen wollte. (Und die Geschichte mit dem Hertha Jungen war übrigens auch ein wenig anders, als es in dem 50 sekündigen Video auf Twitter zu sehen ist, aber wayne). Es war der absolute Oberhammer. Ja und dann. Dann erblickten wir die Pfeiler des Olympiastadions in der Nähe [https://imgur.com/capilAN]. Und in diesem Moment kullerten bei mir das erste Mal ein wenig die Tränen. Denn da wurde mir wirklich das erste Mal so richtig schlagartig bewusst, dass wir in ein paar Stunden das Spiel um einen Titel haben werden. Das, wovon man als Kind immer träumt, wenn man seine Idole auf dem Platz sieht. Als Kind hab ich mir immer vorgestellt wie es wohl wäre da zu sein und Iashvili dort spielen zu sehen. Achim Stocker auf der Tribüne sitzend, unruhig, weil er normalerweise es hasste die Spiele zu schauen, lieber mit dem Hund spazieren ging und sich danach das Ergebnis im Videotext anschaute, Volker Finke und Achim Sarstedt auf der Trainerbank.
All das kam in diesem Moment hoch, als ich mit meinen Eltern zusammen auf dieses Stadion zulief. Fuck, das ist halt wirklich gerade ein wahrgewordener Kindheitstraum.

Die Einlasssituation dann erstaunlich locker und fix und dann betraten wir die Kurve. Liefen zu unseren Plätzen runter und hatten dann leider den einzig wirklich nervigen Moment des Tages, vor dem ich leider schon ausging, dass der passieren würde, als ich die uns zugewiesenen Plätze vom Verein entgegen nahm. Die Plätze, die wir als Fanclub haben, sind bereits zur Hälfte mit Ultras besetzt, die sich da hinter dem Tor versammelten und auch nicht mehr wegbewegen sollten. Dies führte leider dazu, dass ein paar von uns beschlossen das Spiel aus der obersten Reihe des Unterrangs zu verfolgen. Meine Eltern und ich jedoch blieben dort unten geblieben mit dem Großteil des Fanclubs. Ärgerlich und unnötig war es trotzdem. Aber immerhin gehen mir so die Themen für die nächste Mitgliederversammlung nicht aus.

Was sich dann danach abspielen sollte, ist für mich immer noch so schwer in Worte zu fassen. Bereits eine Stunde vor dem Spiel, als die Mannschaft das erste Mal den Rasen betrat, waren wir am singen. [https://imgur.com/PqNQqTo] Und zwar nicht nur wir aktive Fans da unten in der Mitte. Sondern die ganze verdammte rote Ostkurve. [https://imgur.com/PtWTHPz] Und schon wieder wurden die Augen ein wenig feucht. Ich stehe sehr häufig kritisch unseren Fans im Stadion, vor allem auswärts, gegenüber. Wie häufig rege ich mich auf, weil der Support von den Leuten um mich herum so mau ist. Das war am Samstag nicht der Fall. Selbst die Familie am Rand der Ostkurve stand bereits da und sang. Es wurden Bilder erzeugt, die ich nie im Leben erwartet hätte. Einfach auch weil wir nun wirklich nicht für die Masse bekannt sind. Wir haben eine kleine aber feine Supporterszene, aber so eine komplette Kurve ausfüllen zu können war schon unwirklich. Ich war glaub ich noch nie vor einem Spiel bereits so stolz wie in diesem Moment, wo wir alle unsere Vereins- und Fankultur zusammen an einem Strang ziehend zur Schau stellten. Und das wie gesagt bereits vor dem Spiel. [https://imgur.com/o5rZtA9]

Und dann beginnt es irgendwann. Die über 40.000 € teure Choreo nimmt Formen an. 20.000 rote und weiße Fahnen [https://imgur.com/OfpIGdD] werden geschwenkt und die Banner mit den simplen Worten "einzigartiger Verein - so wie du soll Fussball sein" prangen über die komplette Ostkurve. Und mit voller Inbrunst steht jeder von uns hinter diesen Worten. Und unser Günni, länger im Verein als der Gegner überhaupt existiert, führt unsere Mannschaft als Kapitän aufs Feld und läuft auf uns zu für das erste Pokalfinale in Berlin unserer Geschichte. Einfach nur pure Gänsehaut am ganzen Körper. Und ja, ein bisschen Lachen über die schon beim Rauskommen der Spieler bereits halb abgebaute Choreo auf Red Bull Seite konnten wir uns dann doch nicht verkneifen.

Über den Spielverlauf brauch ich ja hier wenig schreiben. Erstens weil es ja am Fernsehen von euch verfolgt wurde und weil ich nur den Stadioneindruck habe. Deswegen Halbzeit 1 aus meiner Sicht: Nicht unverdiente Führung, bescheuerte Handregel, aber den Regeln nach die richtige Entscheidung. (Ach ja, dass man es übrigens im Stadion bei einem Pokalfinale nicht einmal hinbekommt die VAR Einblendung mit dem zu überprüfenden Grund zu zeigen ist wirklich amateurhaft), Schlotterbeck mit der krassen Rettungsaktion nach desaströsen Fehler von Chico. Ansonsten ja nicht viel passiert.

Die Stimmung während des Spiels aber einfach unglaublich. Ein solches Zusammenspiel zwischen Ober- und Unterrang mit zehntausenden Fans. Der absolute Wahnsinn. Man bekommt selten den Anblick, dass sich unsere Ultras während des Spiels ungläubig umdrehen und dabei Leuchten im Auge haben. Aber genau so war es. Ich musste mich auch zwischendurch immer mal wieder umdrehen, um das zu realisieren, was da gerade abgeht und bspw. alle, egal ob unten oder oben, am Springen sind.

Und dann führt man zur Pause. Im Finale des deutschen Vereinspokals. Es war eine sehr eigenartige Stimmung dann. Alle super glücklich, aber keiner wollte nur irgendwas dazu sagen, um nix zu beschreien. Und dann wurden die Banner hochgezogen und die Vorbereitungen für die Pyroshow wurden gestartet. Schon interessant das mal aus der nächsten Nähe mitzusehen, wie so was von statten geht. Große Kleidertauschaktionen, um die Personen dahinter zu verschleiern und dann die Verteilung der Pyro, die Rucksackweiese bereit liegen. Wie man solche Mengen so einfach ins Stadion bekommt? Keinen blassen Schimmer. Der Anpfiff zur zweiten Hälfte schallt durchs rund und es entzündet sich die komplette Kurve. Es entsteht einfach eine wunderbar schöne Pyrowand, die ich so von unseren Ultras noch nie erlebt hab.
Gut, wir haben dann die ersten 5 Minuten der zweiten Hälfte nicht mitbekommen, aber was solls, Fussball ist so viel mehr als dieses Spiel auf dem Rasen. Und während wir im Pyrorauch standen und uns unsere Masken ins Gesicht hielten, kamen schon die ersten Bilder von Daheimgebliebenen. Diese Luftaufnahme der weiß-rot brennenden Ostkurve. So unglaublich wunderschön!

Die Stimmung weiterhin grandios und dann wird Höler klar via Notbremse zu Fall gebracht, klarer geht eine rote Karte nicht. Und ab diesem Moment hab ich jedem um mich herum angemerkt, dass die Nervosität da ist. Denn jetzt war klar die Devise: "Man kann es nur noch selbst verkacken". Und leider, leider, leider war es genau so. Dieser Gedanke, wirklich so kurz vor dem Titel zu stehen, hat unsere Jungs auf dem Rasen massiv verunsichert. Sie haben angefangen nachzudenken, wurden passiv und machen nicht das überfällige 2:0, sondern lassen stattdessen den Gegner ins Spiel zurück kommen. Der restliche Verlauf ist bekannt. Beim Tor von Nkunku sieht Flekken leider nicht gut aus. Verlängerung, Freistoß von Grifo ans Außennetz, Sallai ans Außennetz, 4 mal Alu insgesamt & Demi, der aus 3 Metern das Ding drüber haut. Es lief wie so häufig im Fussball. Wer seine Chancen halt nicht nutzt, den bestraft das Leben. Chancen hatte man mehr als genug das Spiel selbst zu entscheiden. Ich weiß noch, dass unsere Stimmen so langsam heißer wurden, unsere Nerven angespannt bis zum geht nicht mehr. Ich glaube der häufigste Satz zwischen meinen Eltern und mir war: "Ich kann nicht mehr".
Aber ja, so kommt es halt zum Elfmeterschießen. Es gibt kein verdient oder unverdient mehr. Wer verschießt, der verliert. Und, wie es natürlich immer so im Fussball ist, verschießt ausgerechnet unser Capitano das Ding. Leipzigs Elfer allesamt sau gut geschossen, von daher war der Fehlschuss von Demi zwar das Ende, aber wahrscheinlich hätten wir eh mit dem Schuss danach verloren.

Dann das erste Mal an diesem Tag: Stille.

Und zum ersten Mal hört man an diesem Tag etwas von der anderen Seite des Stadions. Und es schmerzt.

Die Mannschaft kommt niedergeschlagen in die Kurve und was dann geschieht, ist irgendwie magisch. Ein ohrenbetäubender Applaus entsteht. Die Sprechchöre sind zurück, die Bilder auf den Leinwänden des Stadions zeigen nur noch uns, die Verlierer dieses Spiels und nicht die Gewinner auf der anderen Seite, die immer noch nur sich feiern und nicht ihren Leuten gehen. Der Stolz auf das Geleistete, der ein paar Minuten weg war, ist wieder zurück. Und sogar noch größer als zuvor. Mit der Mannschaft wird zusammen ein SCF angestimmt, und alles andere wird im Stadion weggeschrien und verpufft [https://imgur.com/oiFvXNS]. Allerdings sind auch die Tränen da. Während die ganze Kurve unseren Capitano besingt, brechen bei ihm alle Dämme, und die Kurve weint mit. Wir besingen Demirovic, der mit den Tränen kämpft, und weinen mit ihm. Und wir weinen mit Streich, der sich besungen vor uns dankend verbeugt, ebenfalls mit Tränen in den Augen. Und ganz zum Schluss, während die Mannschaft gebeten wird sich in Richtung Siegerehrung aufzumachen, dreht sich Nico nochmal alleine um, bekommt das erste Mal Tränen in die Augen, und kommt nochmal alleine vor die Kurve zurück. Er legt die Hand auf das Wappen und wir nehmen ihm alles ab. Vergessen ist die Wechselposse der Wochen zuvor, vergessen das von uns nicht ganz so abgenommene und letztendlich auch falsche Bekenntnis nach dem Halbfinale. Aber er wollte uns diesen Titel zum Abschied wirklich schenken. Er war der Spieler des Spiels, er war wirklich Weltklasse. Dass er das nicht geschafft hat und dass es ihn schmerzt, sieht man ihm an. Und unter tosendem Applaus und lauten "Schlotterbeck" Rufen, verabschiedet er sich von uns allen. Aber nicht ohne sich doch nochmal standesgemäß ein letztes Mal umzudrehen, und mit tränendem Auge, aber verschmitzten Lächeln vor uns seinen Bizeps zu flexen. Danke Nico. Machs gut, du blondierter Bub!

Und diese Momente, diese Minuten, die sich wie reinigende Stunden angefühlt haben, haben uns wieder weiter zusammengeschweißt. Denn auch jetzt hat keiner von uns seinen Platz aus Trauer oder vor Wut verlassen. Dieser Verein ist so viel mehr als dieses Spiel auf dem Rasen oder goldene Titel. Besungen wird die Mannschaft und vorne ist mittlerweile ein einfaches schwarzes, seit 2009 bekanntes Banner gehisst. Zu Ehren von Achim Stocker. Ob er wohl gerade im Himmel in den Videotext schaut und sich ärgert? Oder überwiegt bei ihm auch der Stolz? Ob ihm gefällt, was wir seit seinem Tod mit dem Verein anstellen? Ich hoffe es.

Die Stimmung ebt aber dann schlagartig ab, als die Nachricht eines Notarzteinsatzes die Runde macht. Und sofort der vor uns stehende Capo das Megafon ergreift und etwas in die Richtung "Haltet alle mal die Klappe, Notarzteinsatz auf der anderen Seite. Und selbst wenn es ein Arschloch sein sollte, halten wir jetzt gefälligst andächtig die Schnauze und hoffen auf die Notärzte" schreit. Dezente Wortwahl wie man es von Capos gewohnt ist, aber sofort war es leise. Kurze Zeit später die offizielle Durchsage des Stadionsprechers. 75.000 Leute, Mucksmäusschen still. Und während die Notärzte um das Leben eines Mannes kämpfen, kommt die Leere. Keine Tränen mehr, keine Schmerzen, kein Stolz, einfach nur tiefe Leere. Ich blicke auf und sehe meine Eltern ins Nichts starren. Ich schaue durch die Reihen unseres Fanclubs und erblicke Blicke ins Nirgendwo. Und die Ultras sitzen unten und schauen auf die Füße, auf die Stufen. Leere. Zwischendurch erbrennt Applaus auf, als der Rettungswagen durch das Marathontor gefahren kommt. Aber diese Minuten dauern lange. Ich mache zwischendurch ein Foto vom Dach der Ostkurve, wo sich unser Wappen spiegelt [https://imgur.com/9yWRm0n], und setze einen Post hier ab, der nur dieses eine Wort enthält. Leere.
Viele Leute erleuchten ihr Smartphone, ein Lichtermeer auf beiden Seiten entsteht. Ich habe dafür keine Kraft mehr. Als dann endlich die gefühlte Ewigkeit vorbei ist, kommt die frohe Kunde des Stadionsprechers, dass der Patient stabil ist. Es entbrennt tosender Applaus und auch dann nochmal, als der Krankenwagen sich auf den Weg raus aus dem Stadion macht. Danke an alle Sanitäter und Helfer! Und wer auch immer du bist, der dort lag, danke, dass du überlebt hast und vor allem gute Besserung!

Tja, fehlt also noch die Siegerehrung. Das Schiedsrichterteam wird ausgezeichnet und ein Pfeiffkonzert entbrennt. Wir schauen uns alle ungläubig um, unsere Kurve ist am applaudieren oder steht schweigend da, wie man das halt so machen sollte in so einer Situation nach einem Spiel. Und plötzlich ist der Frust und die Wut über den Gegner wieder da. Den ganzen Tag supporttechnisch nichts geschissen bekommen, Böller neben Fotografen schmeißen, wandelnde Werbedose für ein rechtspopulistisches Arschloch sein, aber dann nicht mal als Sieger Größe beweisen. Wirklich großes Kino. Und der Frust ist zurück gegen ausgerechnet diesen künstlichen Schandfleck verloren zu haben. Keine Toleranz, keine Akzeptanz. Vor 13 Jahren nicht, jetzt nicht und auch in 100 Jahren nicht. Scheiß Red Bull!

Und nachdem wir dann nochmal unsere Mannschaft und unseren Verein gefeiert haben, die nochmal eine Ehrenrunde bei uns einlegten, ging es aus dem Olympiastadion heraus. Und das erste Pokalfinale meines Vereins ist nun Geschichte. Meine Eltern konnten ihr Versprechen wahr machen. Mit Ihnen und mit 35k anderen verrückten Roten Arm und Arm dort zu stehen, zu schreien, zu singen, zu zittern und zu weinen. Das ist eine Erinnerung, die so viel größer ist als goldene Pokale. Und wenn ich an die Worte von Streich von vor 7 Jahren zurückdenke, dann sage ich nun: "Wir sind mittlerweile ein nicht mehr ganz so kleiner Verein, und immer noch groß in unserem Wesen". Die Bindung und die Liebe unter uns Mitgliedern ist nochmal stärker geworden. Ich glaube wir haben unseren Verein gut repräsentiert. Es war eine Begeisterung und ein Stolz zu spüren, sowas habe ich noch nie erlebt. Wir platzten förmlich vor Begeisterung, Stolz und Freude über unseren Verein und den Fussball. Denn das alles, das Zusammenkommen, der Fanmarsch, das Abfeiern einer ganzen Saison, die Choreos, einfach alles was wir zusammen aufgebaut haben. DAS ist Fussball. Und nicht nur das Spiel auf dem Rasen. Und das kannst du mit keinem Geld der Welt kaufen oder künstlich konstruieren. Wir sind die Fans, wir sind die Mitglieder, wir sind der Verein. Lang lebe der Sport-Club Freiburg e.V.!

Und ich glaube wir haben auch ein geiles Finale abgeliefert. Denn mal rein objektiv sportlich gesehen hatte es zumindest alles. Kampf, Tore, Rote Karten, Chancen, Alu, Diskussionen, Emotionen, Verlängerung, Elferschießen... Nur halt mit dem für uns falschen Ausgang.

Der Tag ging dann noch lange. Ich war irgendwann nach sechs erst wieder im Hotelzimmer, als die Sonne bereits wieder am Himmel stand, und auch im Berliner Nachtleben sahen wir eigentlich nur rot gekleidete Menschen, die trotz aller Trauer ob der verpassten Chance, diesen speziellen Tag nie enden lassen wollten. Wer weiß ob sowas nochmal wieder kommt? Erwarten wird das keiner, aber wir wissen nun, dass es möglich ist. Und wenn wir dann wieder im Pokalfinale stehen, dann wir die rote Fahne wehen und wir holen hoffentlich den Pokal.

Über das Verhalten, die Bilder, die offiziellen Meldungen und Texte des Gegners nach dem Spiel und am Sonntag schreib ich dann jetzt mal lieber nix. Ihr könnt euch wahrscheinlich eh denken, was ich darüber für eine Meinung vertrete.

Tja, und nun sitze ich also wieder in Freiburg und es ist Sommerpause. Und ich bin immer noch am Verarbeiten, dieser Text diente dazu (also erwartet nicht unbedingt Antworten darauf, falls ihr Kommentare abgebt :-) Nicht böse gemeint). Aber auch bereits voller Vorfreude auf nächste Saison. Der Sommerurlaub wurde bereits gecancelt, denn es wird im Spätsommer/Herbst Donnerstags mindestens dreimal ein wenig gemeinsam durch Europa getigert. Dafür braucht es Geld und Urlaubstage. Wie geil ist das denn? Das wird toll! Auch dann, wenn wir irgendwo am Arsch der Welt bei Minustemperaturen eine blöde 0:1 Niederlage abholen :-)

Hach, du einzigartiger Verein, so wie du soll Fussball sein!


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