Thema:
War ich gestern bei Mitski oder in einer Folge Euphoria? flat
Autor: Pezking
Datum:10.05.22 12:46
Antwort auf:Konzerte 2022 von Pezking

Huiuiui, das war mal ein Erlebnis! O_o

Falls Ihr sie nicht kennt: Mitski ist eine japanisch-amerikanische Singer-Songwriterin. Ü30, macht seit zehn Jahren Indie-Rock. Und das sehr kreativ und spannend, wie ich finde, mit Einflüssen von Kate Bush über 80er-Jahre Synthie-Pop, Folk-Punk bis zu den Pixies und Nirvana.

Genau mein Ding, genau mein Genre. Aber das Konzerterlebnis gestern war komplett anders als alles, was ich in dem Bereich bislang erlebt habe.

Dass ich im letzten Oktober vier Tage nach Verkaufsstart nur über verworrene Kanäle überhaupt noch ein Ticket für Berlin zum Normalpreis ergattern konnte, hätte mich schon stutzig machen müssen. Wäre lieber ins näher an Frankfurt gelegene Köln gefahren, aber da war nix mehr zu machen. Sehr untypisch. Im weitesten Sinne ähnliche Acts wie Snail Mail, Julien Baker, Wolf Alice oder Courtney Barnett machen ihre Hallen auch immer ganz gut voll, aber da hat man ganz entspannt Zeit mit dem Ticketkauf, und Restkarten an der Abendkasse sind auch nicht untypisch. Nicht so bei Mitski.

Das Konzert gestern fand im Metropol in Berlin statt. Schöne Bude, dank vieler Säulen und einem geschwungenen Oberrang IMO aber nur bedingt für Konzerte geeignet. Viele Plätze dort bieten bei voller Hütte (1.400 Leute) eine ziemlich miese Sicht.

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Meine Frau und ich kommen also, wie immer, etwa eine gute halbe Stunde vor Hallenöffnung an, um uns anzustellen. Reicht eigentlich immer für gute Plätze.

Die Schlange dort ist bereits riesig. Ausmaße, wie ich sie zuletzt bei Morrissey 2009 in Offenbach erlebt habe. Entscheidender Unterschied jedoch: Der Altersschnitt gestern war klar unter 20 und der Frauenanteil deutlich jenseits der 95 Prozent. Und die sahen alle echt ungelogen aus, als hätten sie gestern noch eine Party in der HBO-Serie "Euphoria" besucht. Viele waren sogar mit ihren Müttern dort. Oder wurden nach dem Konzert vor der Halle von ihren Eltern in Empfang genommen. Die "Mein erstes Konzert"-Dichte war garantiert erstaunlich hoch.

Noch in der Schlange stehend beschlossen meine Frau und ich, dass wir uns dieses Teenie-Getümmel nicht antun wollen und uns direkt in den Balkonbereich verziehen. Und das war eine sehr gute Idee, denn dort gab es dann tatsächlich nur wenige Plätze mit gescheiter Sicht auf die Bühne - und im hysterischen Pulk im Innenraum hätten wir uns wirklich nicht zugehörig gefühlt.

Da ist wohl also eine selbsterklärt äußerst introvertierte Indie-Künstlerin mit Faible für japanischen Ausdruckstanz (das komplette Konzert war in der Hinsicht haarklein durchchoreographiert) wie die Jungfrau zum Kinde über TikTok & Co. zu einer blutjungen und extrem leidenschaftlichen Fanbase gekommen.

Ihr selbst ist das gar nicht so recht: Nach ihrem Durchbruch 2018 mit ihrem Album "Be the Cowboy" hat sich diese Fanschar wohl plötzlich wie aus dem Nichts gebildet. Deren geradezu kultische Verehrung wird auf Wikipedia sogar mit der Anhängerschaft von Taylor Swift oder BTS verglichen, wenn auch natürlich zahlenmäßig unterlegen. Mitski hat nach der letzten Tour ernsthaft überlegt, die Musik an den Nagel zu hängen, ihr wurde das alles zu intensiv und zu vereinnahmend.

IMO schützt sie sich vor dieser übertriebenen Verehrung nun durch eben jene Ausdruckstanz-Choreographie. Ihre Position zum Publikum ist auffällig weit weg vom Bühnenrand und damit vom Publikum. Sie vollführt eine mitreißende und wahnsinnig beeindruckende und wunderschöne Performance - die ohne Fans aber haargenau so auch funktionieren würde. Kann sie so sicher ganz gut ausblenden, wenn es ihr zu viel wird.

Was natürlich dann nicht mehr klappt, wenn (wie gestern wiederholt geschehen), junge, dehydrierte Mädels im Innenraum umkippen und von Sanitätern rausgetragen werden müssen.

Was natürlich geil ist: So eine Crowd-Interaction wie gestern habe ich noch nie gelebt. Die ganze Bude hat inbrünstig alle Lieder mitgesungen.

Und es ist natürlich auch schön zu sehen, dass sich selbst die ganz junge Generation noch für solche Musik aufrichtig begeistern kann.

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Fazit: Ein tolles Konzert, Mitski zählt derzeit ganz klar zu meinen Top 5 Musikacts. Auch live ist sie eine Wucht - aber durch das ganze Drumherum sehne ich mich trotzdem nicht nach einem nächsten Konzert mit ihr. Ich hoffe, dass ihre Fanbase mitwächst und noch lernt, wie gechillt und schön Indie-Rockkonzerte eigentlich sein können. Ich glaube, das würde Mitski selbst auch begrüßen.

Hier noch zwei Videos von gestern:

[https://youtu.be/HhQ4ihBIcX0]

[https://youtu.be/REHCdJPK9do]


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