Thema:
Ein Jahr Golf Hybrid- Zwischenfazit flat
Autor: Michael M.
Datum:12.03.22 11:23
Antwort auf:Auto Thread #32: Tankst du noch oder lädst du schon? von lmarvin

Ich hatte im Herbst 2020, kurz bevor die Materialverknappung losging und die Preisspirale anfing sich aufwärts zu drehen, einen Golf eHybrid für zwei Jahre geleast. Das erste Jahr ist jetzt rum und ich blicke mit gemischten Gefühlen auf das Auto.

Die Erwartungen in den Antrieb wurden erfüllt. Der Elektroteil des Antriebs funktioniert gut und trotz der laut Papier nur 110 PS beim Elektromotor ist er im Stadtverkehr relativ spritzig. Wenn der Akku mal leer ist zieht der 150 PS Benziner deutlich schlechter. Oberhalb von etwa 70 Kmh dreht sich das Bild. Der Elektromotor wirkt dank der Softwaregesteuerten Leistungsdrosselung schlapp und der Benziner zieht besser. Vom Elekro "Boost" merkt man nicht wirklich viel, auch wenn die große Displayankündigung desselbigen anderes suggerieren will.

In der täglichen Nutzung wird aber eigentlich eh nur der Elektroantrieb aktiviert. Es gab eine Phase von fünf Monaten, wo ich kein Benzin getankt habe und der Benzinmotor nur dank der gelegentlichen Zwangsaktivierung (alle paar Wochen) überhaupt an war. Dass die 80 Km WLTP Reichweite völlig Praxisfremd sind sollte jedem klar sein. Im Sommer schaffe ich bis zu 60-70 Km rein elektrisch, im Winter etwa 45-55 Km. An der Wallbox ist er nach drei Stunden wieder geladen, wie alle Hybride kann er halt nur eine Phase nutzen und die Ladegeschwindigkeit sinkt im vergleich mit den meisten Vollelektrischen Autos auf ein drittel. Im Benzinmodus muss man unterscheiden zwischen "freier Fahrt" und durch das Navi optimiert. Bei normaler Fahrt liegt der rein elektrische Verbrauch knapp über 6L auf 100Km, bei optimierter Steuerung fast einen Liter darunter. Als Beispiel sei eine Fahrt nach München genannt, das sind etwa 600Km auf denen ich eine Ladung von 11KWh Strom und dazu 3,8L Benzin auf 100 Km verbraucht habe.

Positiv ist auch das Fahrwerk. Wie beim Golf üblich bekommt man ab 150 PS ein deutlich besseres Fahrwerk mit aufwändiger Hinterachse was insbesondere durch fehlen jeglicher Poltergeräusche aus dem Heck auffällt. Zudem federt er für ein Fahrzeug der Golfgröße wirklich sehr komfortabel auf Speedbumps. Die (aufpreispflichtige) Progressivlenkung ist ein Traum, das Matrixlicht ebenso. Die Ergosiitze sind sehr komfortabel, die Anhängerkupplung ist die erste, wo ich ohne Hände alles Ein- und Ausklappen kann - endlich keine Feuchttücher für die Hände mehr nötig.

Die Hybride haben gegenüber den "normalen" Golfs einige Besonderheiten in Bezug auf Bedienung und Nutzbarkeit. Der Kofferrraumboden ist immer in der oberen Position, da sich darunter der Benzintank und die 12V Batterie befindet - ungewolltes BMW Feeling ;) Dadurch steht natürlich weniger Platz im Kofferraum zur Verfügung und man muss auf Werkssoundsysteme mit Subwoofer verzichten. Ungewonht ist auch das Tanken, denn die Tankklappe kann man nicht von Hand sondern nur nach Zwangsentlüftung durch drücken einer Taste in der Fahrertür elektrisch öffnen lassen. Zudem ist der Tank mit 40L nicht besonders groß.

Klingt soweit noch positiv? Nun, es gibt da den ganz großen Elefanten im Raum: Die Software. Da ich elektronisch Vollausstattung habe wird es da natürlich tendenziell mehr Probleme geben als bei einem Basismodell. Stellt sich aber dann die Frage ob man Dinge verkaufen sollte, die nicht funktionieren?  Es ist unmöglich, alle Fehler aufzuschreiben die ich hatte. Ich habe bis heute nicht eine einzige Fahrt gehabt, selbst wenn es nur mal 10 Minuten waren, wo ich nicht einen Softwarebug bemerkt habe. Oft sind es Kleinigkeiten. Animationen die stehenbleiben und dadurch so kleine Grafiken generieren, dass man sie kaum lesen kann. Oder Icons die einfach keine Beschriftungen haben. Fehlermeldungen die kommen und gehen. Ich beschränke mich daher auf ein paar Beispiele, was ich öfter erlebe:

- Landeswechselgeräusch. Wenn man über eine Landesgrenze fährt ertönt ein einigermaßen lauter Gong und es erscheint im Display eine Meldung mit den Geschwindigkeitsvorschriften des jeweiligen Landes. So weit so gut. Ich kenne bei mir im im Umkreis inzwischen drei Orte, welche genau das auslösen. Obwohl sie 70 Km von der Landesgrenze entfernt sind. Einer davon liegt auf meinem Arbeitsweg. Super nervig.

- Das GSM Modul verhaspelt sich beim Grenzübertritt. Statt in das Mobilfunknetz des Landes zu wechseln verliert es die Internetverbindung, es ploppen Warnmeldungen auf, dass man die Privatsphereeinstellungen anpassen muss (wo aber alles aktiv ist). Etwa eine Stunde später funktioniert es dann wieder und die Verkehrsdaten werden wieder aktualisiert. Grad gestern wieder deswegen im Stau gestanden statt um ihn herum geleitet zu werden. Gut dass man dafür 140€ Jahresgebühr zahlen muss... Zum Glück bin ich nur alle paar Wochen mal im Ausland, würde ich täglich über die Grenze fahren müssen hätte ich das Radio in einem Wutanfall wegen nicht gemeldeter Staus vermutlich zerstört.

- Das Navi...ganz allgemein. Die Position des Autos ist im System etwa 50m vor dem reellen Standort. Führt dazu, dass das Navi bei jedem Abbiegvorgang glaubt man wäre geradeaus gefahren. Was natürlich bei Autobahnabfahrten toll ist weil man nicht angezeigt bekommt wohin man fahren soll, weil es ja dann grad ne neue Route berechnet.

- "Dann fahr halt mit dem Smnartphonenavi"...ja...würde ich, nur funktioniert dann die Antriebsplanung nicht mehr. Nutzt man das interne Navi ist der Durchschnittsverbrauch bis zu 1L/100Km geringer, da er den Elektromotor immer genau dann nutzt, wenn der Benziner ineffizient ist. Wie in den Kassler Bergen durch Rekuperation den Akku fast au 10% aufladen um im anschließenden Stau rein elektrisch zu rollen.

- Gelegentlich verliert das Auto die Verbindung zum Fahrerprofil. Schon mal erlebt, dass der Sitz mitten in der Fahrt nach vorne fährt weil er wegen dem Profilwechsel auf die Standardposition möchte?

- Es gibt die Möglichkeit das Auto bei Annäherung automatisch aufschließen zu lassen. Kann ich nicht nutzen, da es direkt vor dem Haus parkt und es sich öffnen würde wenn ich mit dem Schlüssel im Haus herumlaufe. Also ausgeschaltet. Dennoch macht er es manchmal auf. Sehe ich dann nur, wenn ich mal in die App schaue. Achja, die App, die verliert auch regelmäßig die Verbindung zum Auto.

- Aktuell hat sich die Steuerung der Sitzheizung für den Beifahrer verdreht. Sie ist aus, wenn jemand drauf sitzt und an, wenn ich alleine im Auto bin. Also ist morgens die erste Aktion die Sitzheizung des Beifahrers auszuschalten. (Einschalten wenn jemand darauf sitzt funktioniert nicht mehr, der Beifahrer muss halt frieren). Das geht aber erst zwei Minuten nach dem losfahren, weil das Auto so lange braucht, um die Bediensysteme komplett hochzufahren. Danach ist das Radio komplett verstellt, weil die Handbewegung des Fahreres in Richtung Schaltfläche der Beifahrersitzheizung als Wischgeste interpretiert wird.

- Die Getriebesteuerung. Nervig. Unfassbar nervig. Stellt man es auf Comfort fühlt es sich an, als würde das Gaspedal mit 3 Sekunden Verzögerung reagieren. Eco ist noch schlimmer. Auf Sport ist es so nervös wie ein Fahrschüler vor der Prüfung. Im Sekundentakt schaltet es durch die Gänge, insbesondere Bergauf, und der Drehzahlmesser springt lustig zwischen 1500 und 6000 herum. Selbst leichtes antippen des Gaspedals sorgt dafür, das direkt zwei oder drei Gänge heruntergeschaltet wird. Ist der Motor warm wird dann zudem noch alle paar Sekunden zwischen Elektro- und Benzinmotor gewechselt. Schon mal vor Schreck fast in die Wand gefahren wenn aus heiterem Himmel der Benziner mit über 6000 umin gestartet wird?

Das alles sind nur ein paar Beispiele. Bei mindestens jeder zweiten Fahrt gibt ein Assistenzsystem eine Fehlermeldung raus, manchmal sind einfach die Bildschirme bis auf den Tacho komplett aus und man hat weder Heizung noch Radio, Die Übernahme der Navidaten aus dem Smartphone ins HUB ist unzuverlässig, die Verkehrszeichenerkennung deutet (reproduzierbar) 300m Baken als Aufhebung aller Streckenverbote und gibt in der 100er Zone Vollgas, andererseits wird bei Autobahnbaustellen schon mal ein Schild innerhalb der eigentlichen Baustelle als 5KM/h Schild gedeutet und ne fast Vollbremsung ausgelöst. Letztendlich war ja bekannt, das die Software von VW ne Katastrophe ist und ich wusste, auf was ich mich einlasse. Das Auto ist für mich ein Übergang zum Vollelektrischem (ich überlege in Richtung ID.Buzz) und das Antriebskonzept funktioniert auch so, wie ich es erwartet habe.

Würde ich den nochmal leasen? Vermutlich ja, den von den Unterhaltskosten war es absolut die richtige Entscheidung und grundsätzlich fährt er ja auch zuverlässig. Würde ich ihn langfristig fahren wollen? Auf keinen Fall.

Michael


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