Thema:
Planlos glücklich, irgendwie flat
Autor: HomiSite
Datum:08.01.22 20:04
Antwort auf:Was ist aus euch geworden... von TOM

Ich möchte nicht so ins Detail gehen wie einige hier (Respekt! Und alles spannend zu lesen), aber grob wollte ich dann doch noch etwas zu diesem tollen Thread schreiben.

Ich bin sehr behütet in einer glücklichen Familie mit zwei jüngeren Brüder aufgewachsen. Meine Mutter hat sich Vollzeit um uns gekümmert und rückwirkend vielleicht zu viel, ohne Vorwurf: Ich bin zumindest ein ziemlich fauler und schüchterner Mensch geworden. :-)

In der Schule ging einige Jahre alles glatt, sozial keine Probleme (später Fraktion Nerd ohne Party-Ambitionen) und ich war schlau genug, um ohne groß zu lernen ein guter bis sehr guter Schüler zu sein. In der Mittelstufe fiel es mir dann auf die Füße, nie so wirklich lernen gelernt zu haben, aber ich kam ohne "Ehrenrunde" durchs Gymnasium mit einem glatten 3,0er Abi. Lange dafür gelernt? Natürlich nicht, sondern am Tag vorher ein paar Seiten im Biologiebuch für die mündliche Prüfung durchgelesen. Hat gereicht.

Was ich danach machen wollte, war mir da völlig schleierhaft. Bundeswehr hab ich gemacht, weil ich kein Bock auf den Stress mit Verweigern und dem Suchen einer Zivi-Stelle hatte. Am Ende wieder mal Glück gehabt und nahe der Heimat stationiert worden - genau 100 km weg für den maximalen Entfernungszuschlag bei minimaler Strecke. :-)

Mehr aus elterlichem Impuls hatte ich mich z.B. bei Buchverlagen für eine Ausbildung beworben - studieren wollte ich nach der Schule nicht. Und wahrscheinlich wegen der Männerquote :-D wurde ich bei einem namhaften Publikumsverlag genommen. Für den weiteren Lebensverlauf hätte ich vielleicht eher die IHK-Stelle annehmen sollen, aber die Ausbildung im Verlag war cool, auch wenn ich zu dem Zeitpunkt gar nicht mehr viel gelesen habe. Längere Übernahme ging nicht und auch wenn ich nicht für die Buchbranche brannte, nahm ich den Rat meines letzten Vorgesetzten an und hängte ein Studium dran. "Irgendwas mit Medien" war damals neu und vielerorts mit krassen N.C.s belegt. Dank Bundeswehr und Ausbildung hatte ich genug Wartesemester, um in einer ostdeutschen Großstadt angenommen zu werden, wo mit Fördergeldern Institute für Medien- und Kommunikationswissenschaften aus dem Boden gestampft wurden.

Meine gutherzigen Eltern finanzierten mir alles und ich hatte so keinen unmittelbaren Leidensdruck. Um es abzukürzen: Die Jahre gingen ins Land, ich studierte im Schneckentempo vor mich hin, "plötzlich" wurde der Magister abgeschafft und nach einer peinlichen zweistelligen Semesterzahl hatte ich bloß einen (ganz gut benoteten) Bachelor. Selbstmotivation war und ist immer mein Problem: Langfristige Projekte standen immer auf Messers Schneide, daher wurden Referate natürlich einen Tag vorher gemacht und Hausarbeiten kurz vor der Deadline. Parallel für meherer Klausuren lernen oder Abgaben schreiben musste ich eigentlich nie. Das rächte sich natürlich bei der BA-Thesis, wo ich einen Monat der Zeit mit halbgarer Vorrecherche zubrachte und am Ende nur durch unterstützende Arschtritte meines Bruders (der dahingehend das genaue Gegenteil von mir ist) zu Potte kam. Ich denke rückblickend, dass ich die Magisterprüfung nicht geschafft hätte, denn da war ja keine überschaubare Bachelor-Arbeit, sondern Klausur, mündliche Prüfung und viel umfangreichere Textarbeit.

Jetzt war ich also ein Mann, der nicht mehr jung war, fast keine Joberfahrung hatte (Praktika oder fachbezogene Jobs während der Uni - alles schön umschifft) und auch keinen Plan, was ich wollte. "Irgendwas mit Medien" ist halt genau das - spannend, aber diffus. Und Soziologie als mein schlussendliches Nebenfach war ähnlich.

Wenig überraschend hielt sich meine Motivation bei der Arbeitssuche in Grenzen. Ich hatte mich ja über meine lange Studienzeit an einen niedrigen, aber nicht störenden Lebensstandard gewöhnt. Nach einiger Zeit Hartz IV kam ich über einen Kommilitonen in eine kleine Medienagentur, wo ich eine zwar schlecht bezahlte, aber okaye Vollzeitstelle bekam. Da machte ich nix, wofür ich hätte studieren müssen, und anderswo wären meine Aufgaben wohl weitgehend automatisiert, aber es war ein Sweetspot zwischen stupides Abarbeiten und Gestaltungsspielraum.

Doof, dass die Firma an einem Großkunden hing, der plötzlich absprang und fast die Firma ruinierte. Fast alles wurden entlassen inklusive mir - nach 9 Monaten, also zurück in Hartz IV. Irgendwie hatte ich immer Glück mit meinen Betreuerinnen da ("ich sehe ja, dass Sie wollen" :-D), ich wurde nie zu irgendwas gezwungen und bekam quasi jede Förderung, die ich wollte. Nicht, dass ich das groß genutzt hätte, und eher in Orientierungsmaßnahmen landete. Aus darin erfolgten Bewerbungstätigkeiten kam ein Job in Hamburg, wieder in einer Medienagentur.

Umzug in einer Hauruck-Aktion (wie immer unterstützt durch meinen Vater), umfassbares Glück bei der Wohnungssuche und der Job war auch ganz cool. Beziehungsweise die Kollegen, weil ich anfangs irgendwie stofflich den Anschluss verpasste und zunehmend hinterherhetzte. Gab mir wohl auch einen kleinen Knacks im eh schon dünnen Selbstbewusstsein. Naja, ich musste mir alsbald keine Gedanken darüber mehr machen, denn wieder sprang ein Großkunde ab und wieder war ich nach genau 9 Monaten arbeitslos. "Sie wollen Ihre Firma ruinieren - stellen Sie mich ein!" :-)

Gleiches Spiel wie zuvor: Wenig Elan bei der Arbeitssuche, keinen großen Druck vom Jobcenter - außer dass arg schnell meine für Hartz zu teure Wohnung moniert wurde. Da kam mir echt Corona gerade recht: weniger Jobs am Markt und prüfungslose Bewilligung von ALG II.

Aus den überschaubaren Bewerbungen kam nicht viel rum (für den Mediensektor zu wenig Erfahrung), weswegen ich auch auf simple Abtippjobs schielte (dafür aber auf dem Papier überqualifiziert). Schlussendlich gab's über eine Zeitarbeitsfirma eine Stelle bei einer großen Bank (!) im Back Office. Da ich eh nix anderes hatte und der Vertrag auch gleich für ein Jahr ging, habe ich angenommen. Bezahlung natürlich arg bescheiden im Vergleich zum vorherigen Job, aber mir reicht es - auch, weil ich mit Glück in eine Genossenschaftswohnung kam. Ich hadere zwar immer noch mit der stärker befahrenen Straße, zu der auch mein Schlafzimmer liegt (aber keine Probleme zu schlafen), aber Genossenschaftsmitgliedschaft ist ja grundsätzlich cool und die Wohnung ist günstig. Also dahingehend keine Probleme, falls mal wieder Hartz IV anstehen sollte.

Wie es nach dem Job, der spätestens Ende des Jahres enden wird, weitergeht, weiß ich - wenig überraschend - noch nicht. Ich habe eigentlich keine Lust auf kurze Einsätze in irgendwelchen Firmen als Mitarbeiter zweiter Klasse. Andererseits hab ich meine dünnen roten Lebenslauffaden "irgendwas mit Medien" jetzt auch ziemlich zerschnitten. Na ja, mal sehen ...

Insgesamt aber bin ich recht zufrieden, weil auch genügsam und ein intaktes, immer selbstlos unterstützendes Familienumfeld. Ich hatte nie Lebensziele, auf die ich hingearbeitet habe (kurze Sätze hier wie "und dann habe ich eine Weiterbildung zu XY gemacht" flößen mir durchaus Respekt ein), oder Ambitionen auf Abenteuer oder Reisen, auch wenn ich dadurch natürlich rückwirkend viel verpasst habe ... Um Familie und Kinder haben sich meine erfolgreicheren Brüder (leitende Positionen) gekümmert, wäre für mich aber auch undenkbar - zu Weihnachten war ich immer nach einer halben Stunde Kinderbetreuung schon völlig erschlagen. :-D


< antworten >