Thema:
Nicht das was ich wollte, aber trotzdem ein zufriedener flat
Autor: euph
Datum:31.12.21 11:28
Antwort auf:Was ist aus euch geworden... von TOM

Mensch.

Ich bin, wie viele hier, in frühen Jahren zum Videospielen gekommen. Es war wohl in der dritten Klasse, als ich "meine" Atari 2600 bekommen habe - unterstützt von meinem Vater, der selbst Interesse an der ganzen Materie gehabt hat. Und so war es auch er, der dann auch meine Wunsch nach einem Heimcomputer unterstützt hat. Ein Atari 800XL ist es geworden und schnell hat mich nicht nur interessiert, die Listings aus der Happy Computer oder anderen Magazinen abzutippen, sondern die BASIC-Listings auch verstehen zu wollen. Mein erster richtiger Wunsch war demnach auch, etwas in die Richtung beruflich zu machen. Wie bei vielem im Leben bin ich zwar dabei durchaus motiviert gewesen: Ich habe so nicht nur diverse Spieleprojekte angefangen, sondern sogar fünf fertiggestellt (und von einem sogar drei Stück auf Kassetten verkauft). Aber ein wirkliches Talent ist an mir dann doch auch nicht verloren gegangen. Über BASIC bin ich nie wirklich hinausgekommen, kein Wunder, dass mein eingeschicktes Spiel von der Happy COmputer nie gewürdigt wurde :-). Dieser Karriereweg ist also schon mal nichts geworden - wie auch der Wunsch, bei der Power Play zu arbeiten. Eine Bewerbung dazu habe ich fast mal abgeschickt - aber eben nur fast. Aber geworden wäre es damit vermutlich eher auch nichts, ich merke immer wieder, dass ich nicht unbedingt ein token bin und (interessante) Texte nur so aus mir herausfließen ;-).

Also erstmal normal die Realschule abgeschlossen und dann auf die Fachoberschule gewechselt. Ein normales Abitur war dabei fast ausgeschlossen, denn ich hatte in der Realschule keine zweite Fremdsprache (sondern immer was mit Naturwissenschaften oder EDV) und bin da auch nicht sonderlich talentiert. Da es hier nur die Fachoberschule mit der Ausrichtung Wirtschaft und Verwaltung gab, bin ich dort gelandet.

Mein alter Herr hatte uns zu diesem Zeitpunkt schon länger wegen einer neuen Frau verlassen. Da meine Mutter zu diesem Zeitpunkt weder einen Beruf hatte (Ausbildung wegen der Schwangerschaft mit der großen Schwester abgebrochen) und mit uns auf dem Land ohne Führerschein plötzlich alles alleine regeln musste, fiel auch die Pubertät relativ unspektakulär aus. Ich war zwar jeden Tag auf dem örtlichen Skateplatz, wo wir in einer Gruppe von ca. 15 Jungs jeden Tag geskatet sind. Aber großes Aufbegehren oder ähnliches gab es nicht - ich wollte es meiner Mutter nicht noch schwerer machen, als es sowieso für sie war, da mein Vater eigentlich recht schnell für uns nicht mehr greifbar und präsent war.

Und so war für mich schon recht früh klar, dass ich nach dem Fach-Abi auch nicht studieren wollte (Informatik wäre es dann wohl geworden), um ihr finanziell nicht länger auf der Tasche zu liegen bzw. sie auch ein bisschen unterstützen zu können. Ich habe dann exakt vier Bewerbungen geschrieben (nicht nur drei, wie unten noch behauptet) und zwei Vorstellungsgespräche gehabt. Eins als Industriekaufmann bei der örtlichen Mercedes-Niederlassung. Die wollten aber weder mich (Absage) noch war ich sonderlich begeistert nach dem Gespräch. Das zweite Gespräch war dann beim Finanzamt - eine Behörde mit der ich überhaupt nichts verbunden habe. Die haben damals aber so viele Leute eingestellt, dass ich direkt nach dem Gespräch eine Zusage bekommen habe. Und da man dort ein Duales Studium absolviert und für damalige Verhältnisse mehr als ordentlich verdient hat in der Ausbildung (es waren um die 1.400 Mark Anfang der 90er), habe ich die beiden anderen Bewerbungen sausen lassen und bin dort gelandet.

Das Studium dort war dann auch eigentlich sehr lustig. Ich habe dort sehr nette Menschen kennengerlernt (der weitaus größere Teil weit weg, vom typischen Beamten, wie man ihn sich vorstellt) und an der Fachhochschule in Nordhessen hatten wir, neben einem nicht einfachen Studium, trotzdem sehr viel Spaß. Dort habe ich u.a. auch meinen immer noch besten Freund und Trauzeugen kennengelernt.

Ich war nicht schlecht, aber auch kein Überflieger. Minimiertes Maximalprinzip, wie so oft in meinem Leben :-). Mein Plan war es dann aber eigentlich, nach ein bisschen Berufspraxis die Steuerberaterprüfung zu machen, um dann das richtig große Geld zu verdienen. Aber erstmal musste ich noch den Zivildienst nachholen, was schon ziemlich kacke war. Denn als ich den antreten musste, hatte ich bereits mehr als ein Jahr voll verdient und so viel mein Einkommen von irgendwas um die 2.400 Mark plötzlich wieder auf 700 - der geplante Auszug musste also noch warten.

Und so bin ich erst recht spät, mit knapp 24, bei meiner Mutter in meine erste eigene Bude umgezogen und habe danach erstmal das Leben genossen, bin arbeiten, viel feiern und spielen gegangen und habe dabei dann, zufällig in der Disco, meine heutige Frau kennengelernt. Nach zwei Jahren sind wir zusammengezogen und ich fühlte mich bereit für den nächsten Schritt und habe gemeinsam mit einem Kollegen Vorbereitungskurse für die  Steuerberaterprüfung anzufangen. Der große Fehler dabei war, dass ich das ausschließlich im Fernstudium machen wollte und der größte Selbstmotivator bin ich nicht. Noch recht früh in den Kursen haben meine Frau und ich dann geheiratet und schon auf der Hochzeitsreise wurde unser Sohn gebacken. Darüber habe ich mich sehr gefreut, auch wenn es Gift für die Steuerberaterprüfung war, die ich letztlich dann abgebrochen habe - auch weil ich anders sein wollte als mein Vater und für meine Familie da sein wollte und die Kinder nicht nur am Wochenende sehen wollte.

Ich bin also letztlich beim Finanzamt geblieben und habe das nie bereut. Ich komme mit dem Steuerrecht sehr gut klar, habe bisher in allen Abteilungen und Positionen immer mit sehr netten Leuten (bei sehr wenigen Arschlöschern) zusammengearbeitet und gehe auch nach bald 30 Jahren noch immer gerne ins Büro. Dabei war es immer mein Antrieb mehr oder weniger das Gegenteil von dem zu sein, was man sich unter dem typischen Finanzbeamten so vorstellt. Und so kann ich glaube ich behaupten, dass ich bei dem weitaus größeren Teil der Steuerbürger, mit denen ich zu tun hatte, ein positives Bild zeichnen konnte, indem ich versucht habe das zu leisten, was man von einer Behörde IMO erwarten darf: Im Rahmen der Gesetze für den Steuerbürger zu agieren. Mittlerweile bin ich Abteilungsleiter mit 16 Kolleg*innen "unter" mir, was mir auch großen Spaß macht.

Finanziell wäre ich als Steuerberater mit Sicherheit deutlich besser gefahren. Aber auch so hatten wir eigentlich immer genug Geld, auch wenn es Zeiten gab, in denen es enger war (Hausneubau mit nur einem Einkommen und ohne große Reserven). Aber ich habe aktiv an der Erziehung meiner Kinder mitwirken können und habe alles live miterlebt und mitgemacht und nicht nur auf Fotos gesehen :-), da mit der Job eigentlich alle Freiheiten lässt und eine super Work-Life-Balance geboten hat und noch immer bietet. Insofern ist es mir auch nicht schwer gefallen, das Angebot des Kollegen, mit dem ich damals die Steuerberaterprüfung angefangen hatte, abzulehnen, als er mich vor ein paar Jahren in seine Kanzlei holen wollte. Ich möchte die letzten Jahre mit den Kindern noch genießen und mitnehmen - diese Zeit ist eh viel zu schnell vorbei. Und im Anschluss will ich die Zeit nutzen, an der virtuellen Liste der Orte zu arbeiten, die ich im Leben noch gesehen haben will.

Edit: Gerade kurz nach der Ausbildung, war es der "Traum" von meinem besten Kumpel und mir, einen Comic- und Spieleladen zu eröffnen. Diesen Schritt haben wir aber nie gewagt. Heute denke ich manchmal, was wohl geworden wäre, wenn ich damals schon die Möglichkeiten von heute gehabt hätte (Stichwort: Soziale Medien). Da habe ich in den letzten Jahren so viele Leute aus der Spielebrache "kennengelernt", dass es mich unter diesen Umständen dann heute vielleicht doch in diese RIchtung verschlagen hätte.


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