Thema:
Ein zufriedener Mensch flat
Autor: futuregamer
Datum:30.12.21 16:50
Antwort auf:Was ist aus euch geworden... von TOM

Ein wirklich toller Thread, den ich tatsächlich nicht einfach nur überfliege, sondern wie in einem guten Buch drin versinke, klasse!

Ist mir selten in den über 20 Jahren Maniac Forum passiert :)



Wo fange ich an?



Als Kind eines kroatischen Einwanderers und einer deutschen Mutter bin ich in recht guten Verhältnissen aufgewachsen.

Vater KFZ-Mechaniker bei einem großen deutschen Autobauer, Mutter Journalistin, welche sich nach meiner Geburt voll auf mich konzentriert hat und den Job an den Nagel hing.

An Geld hat es bei uns nie gefehlt, gelebt wie die Könige haben wir aber auch nicht.

Eine typische Kleinstadt Familie im Herzen NRWs halt, ohne besondere Erwähnung.

Ich habe mich als Kind schon für Filme und Videospiele begeistert, mit 6 einen Gameboy, (das war 1991), mit 7 ein Super NES. Mindestens dreimal im Monat im örtlichen Kino gewesen und alle Filme hoch und runter geschaut.

Meine schulische Laufbahn verlief ohne Höhen und Tiefen, Grundschule und Realschule waren Selbstläufer.

Laut Lehrern war ich immer der smarte, faule Typ.

„Der Junge hat was auf dem Kasten, aber nur bei Dingen die ihn interessieren!“ hieß es immer von den Lehrern.

Nur wusste ich selbst nicht so Recht was ich eigentlich wollte.

Die Antriebslosigkeit wurde verstärkt, als meine Mutter mit knapp 50 an Krebs starb.

Mit gerade mal 14 Jahren und mitten in der Pubertät ist sowas schon ein herber Schlag, was einem in dem Moment auch so ziemlich in-die-Fresse-rein klar wird.

Mein Leben war (für mich) in dem Moment vorbei, regelrecht abgeschlossen habe ich mit mir und meiner Existenz.

Ich weiß noch wie ich mir damals gesagt habe, fuck it, jetzt ist eh vorbei, was jetzt kommt ist nur noch Bonus.

Von da an ging es aber tatsächlich stets bergauf.

Schulisch bin ich gar nicht so abgekackt wie gedacht, eher so mitgelaufen und neben der Schule immer kleinere „Arbeiten“ gemacht, mal legal, mal illegal, Hauptsache Kohle gemacht und gespart.

Da war echt alles dabei, PS1 umbauen samt gebrannte Spiele verkaufen, Regale wischen im Videospieleladen für 5 DM/Stunde, PCs und Laptops reparieren/neu installieren (war schon immer irgendwie AT Affin), Dinge kaufen und verkaufen, mit gewissen „Dingen“ handeln und und und.

Das große Ziel vor Augen war immer ein Eigenheim, irgendwann, irgendwo in meiner kleinen Heimatstadt.

2 Monate vor meinem 18. Geburtstag, um genau zu sein am 15.03.2003 habe ich dann auch frauentechnisch ein neues Kapitel aufgeschlagen.

Gab es vorher vielleicht 1-2 kleine Romanzen, habe ich meine jetzige Frau an genau dem Datum auf chatcity.de im Chatraum Köln 1 kennengelernt :-D

Ja, das waren noch Zeiten, ICQ und AIM gab es, mehr brauchte es aber auch nicht.

Das war schon eine geile Zeit damals, gerade 18 geworden, ein schönes Auto samt fetter Hi-Fi Anlage unterm Arsch, frei und (fast) ungebunden.

Ich kann zwar nicht so einen spannenden und herausragenden Lebenslauf wie manche hier vorweisen, dennoch bin ich mit der Zeit bis zum „Erwachsen werden“ zufrieden und würde sie nicht missen wollen, vor Allem mit dem Menschen, den ich bis heute liebe und schätze, denn ich habe alles mit ihr erlebt und war seit dem 17. Lebensjahr nicht mehr alleine (werde 37).

Schulisch habe ich auf der HöHa 3 Jahre erfolglos versucht, das Fachabi zu machen.

Ich weiß damals sogar noch den Antrieb das überhaupt zu versuchen: Mein bester Kumpel hat sich in der Liste eingetragen und ich wollte mit ihm zusammen weiter abhängen, deshalb habe ich damals dort den Haken gesetzt. Im Nachhinein betrachtet völlig bescheuert was man als Jugendlicher teilweise für einen Schwachsinn macht, vor Allem wenn keine wachende Hand über einem schwebt (Mutter), da irgendeiner ja das Geld beschaffen muss um zu überleben (Vater) :D

Naja, 2 Jahre Höha endeten dann in 3 Jahren Höhere Handelsschule und ohne Abschluss (einmal in der 11 sitzen geblieben und die 12 halt ohne Abschluss beendet.

Mit 19 immer noch nicht zu wissen was man später machen will ist irgendwie doof, dachte sich wohl auch mein Vater und hat seine kroatischen Connections spielen lassen.

Ich habe dann im August 2004 bei einer Spedition mit einer Lehre zum Speditionskaufmann angefangen.

Ich wusste bis dahin überhaupt gar nicht was das ist und ehrlich gesagt hat es mich auch nicht sonderlich interessiert, denn ich hatte immer nur meine Nebenjobs, meine Freundin und Zocken/Filme im Kopf.

Doch das Ultimatum vom Vater nimmt man halt ernst, das Typische: Mach was aus deinem Leben oder du fliegst raus!

Also Ausbildung angefangen und tatsächlich durchgezogen.

Die Spedition wurde nach einem Jahr auch noch von UPS aufgekauft, was sich immer gut im Lebenslauf macht.

Nebenbei natürlich wie ein wahnsinniger WoW gezockt, die Palette an Xbox 360 Games hoch und runter gezockt und einfach das Hobby Videospiele gelebt, mit allem was dazugehört. Ich habe jeden Mitternachtsverkauf mitgenommen, jeden Konsolenlaunch gefeiert und musste öfters beim Zoll antanzen als morgens auf der Arbeit  :D

Gerne auch an dieser Stelle ein kleiner Verweis an meine Geschichte mit Giga Games im Rocketbeans Thread ;)

Nach der Ausbildung habe ich mit den 9 Monaten Zivildienst in einer Einrichtung für physisch kranke Menschen die mitunter beste Zeit meines Berufslebens verbracht.

Hat einfach unfassbar viel Spaß bereitet, jedoch haben die Kollegen damals schon gesagt: Junge, du gehörst in die Wirtschaft, überlass das Soziale besser anderen!

So war es dann auch, nach dem Zivi ging es erst zu einem Schreibtischspediteur, der im Zuge der Wirtschaftskrise Ende 2009 Pleite ging und danach in die Buchhaltung einer kleinen Spedition.

Nach 6 Monaten war auch dort Schluss, ich konnte mich einfach nicht begeistern für den Job.

Das war aber alles nicht schlimm, da es privat blendend lief.

Mein Vater hatte neu geheiratet und wollte partout nicht mit in die Nachbarstadt meiner Stiefmutter ziehen, er war einfach zu sehr in seiner Stadt verwurzelt.

Also kam es wie es kommen musste, das Reihenhaus meiner Stiefmutter wurde von mir für einen lächerlichen Betrag übernommen und ein neues Haus für Vadder gekauft.

Alle waren wir zufrieden, vor Allem ich, denn ich hatte mich 1 ½ Jahre lang gesträubt das Haus zu kaufen, wollte ich doch ebenfalls immer in meiner Geburtsstadt bleiben.

Im März 2009 bin ich dann aber mit einem Kumpel zusammen nach Köln gefahren um mir neue Lautsprecher zu kaufen.

Mein Kinderzimmer befand sich im Dachgeschoss mit Schräge, viele Möglichkeiten für Standboxen waren also nicht gegeben.

Das war mir aber egal, also kaufte ich mir vor Ort einfach 4 Standboxen, 1 Center und 2 Subwoofer.

Zu Hause angekommen dann der Supergau, die scheiss Dinger passen nicht ins Zimmer! :O

Was jetzt? Stiefmutter angerufen … „ja Hallo Stiefmutter, das Haus steht ja seit 1 ½ Jahren leer und du willst es nur an die Familie verkaufen, weil der ideelle Wert für dich mehr wert hat als Geld, kann ich kurz den Schlüssel haben? Ich muss was messen!“

Von meinem Stiefbruder wusste ich, dass er einen kleinen aber feinen Schlagzeugraum im Keller des Hauses gebaut hatte, also habe ich mir den Schlüssel geborgt und bin samt Lautsprecher hingefahren.

Nach 1 Stunde war alles klar, mein eigenes Heimkino wo die LS perfekt reinpassen! Alles andere ist völlig Latte, Hauptsache ich kann endlich so zocken wie es sich gehört!!!

3 Monate später saßen wir dann beim Notar und ich bin mit 23 vom Kinderzimmer ins abbezahlte Eigenheim gezogen samt Kinoraum   :D

Die Zeit die dann kam war richtig super, Partys noch und nöcher (weil Platz genug) und wenig später (am 7. Jahrestag) zog ich mit meiner Frau zusammen.

Diese Unbeschwertheit, fast keine Verantwortung tragen zu müssen, genug Platz für Ideen und Träume zu haben (Heimkino, Ankleideraum, Malzimmer etc.), Reisen wohin man wollte (halb Europa haben wir bereist), es war wirklich eine tolle Zeit, die mit unserer Verlobung auf dem Empire State Building in New York am 8. Jahrestag (wir haben es echt mit dem 20.03.!!!) ihren vorläufigen Höhepunkt fand.

Sie hatte immer gescherzt, dass ich knien und einen Anzug tragen muss bei der „Ja oder Nein“ Frage, ein Feuerwerk wäre auch schön.

Den Wunsch habe ich ihr erfüllt, in 400 Metern Höhe sieht New York bei Nacht aus wie ein einziges großes Feuerwerk :)

Die Umstände, wie der Verlobungsring durch den Metalldetektor geschmuggelt wurde, will ich hier gar nicht breittreten, ich sage nur „unterm Sack“ :-))

New York wurde mir dann auch zum Verhängnis, also eher gesagt die Bewegung und das Laufen, wir sind nämlich 15-20 km am Tag gelaufen um alles zu sehen.

Am 4. Tag zurück in Deutschland war es dann (wieder) soweit, ein Nierenstein bahnte sich seinen Weg durch meine Harnleiter.

Die Schiene welche mir eingesetzt wurde hatte nun leider eine Verletzung am Harnleiter hinterlassen, bei dem der Stein aus dem Harnleiter raus, sich hinter der Blase (zwischen Magen und Blase) verheddert hat.

Das Ergebnis war ein Zusammenbruch samt Not-OP, bei der ich eine Psoas-Hitch-Boari-Plastic erhielt.

Der Harnleiter wurde um 2,5 cm gekürzt und neu in die Blase eingenäht, welche am inaktiven Psoas-Hitch Rückenmuskel befestigt und straffgezogen wurde.

Die 16 Tage Krankenhaus haben irgendetwas mit mir gemacht, nicht nur dass ich nun ca. 25% der Blasengröße verloren hatte, die ständige Angst wieder Schläuche in den P**** geschoben zu kriegen und die generelle Empfindung als „beschädigt“ zu gelten und nun ein Leben lang kaputt zu sein, das hat mich fast in die Depression getrieben.

Bis heute spüre ich eine Art Kissen am rechten Rücken, der Arzt hat die Blase als zu weit aufgepusteten Ballon beschrieben, der sich nie wieder richtig zusammenzieht.

Das hatte mir auch irgendwie gezeigt wie vergänglich das Leben ist und wie schnell das locker Leichte vorbei sein kann.

Jobtechnisch fing ich 2011 bei einem Bäckereiofenbauer an, interessanter Job (als Mitarbeiter im Vertrieb), nette Kollegen, aber der cholerische Chef ging gar nicht.

Nach mehreren beinahe-Schlägereien und arbeitsgerichtlichen Auseinandersetzungen bin ich auch von dort weitergezogen.

Immerhin hatte ich es 2 Jahre (bis Anfang 2013) dort ausgehalten.

Da ich der Arbeitslosigkeit nie abgeneigt war, habe ich nach jedem Jobwechsel immer 2-3 Monate nichts gemacht, sozusagen eine Auszeit genommen.

Anfang 2013 hatte ich aber so viel auf dem Programm, dass ich im Bewerbungsgespräch meiner neuen Stelle im Vertrieb von Großküchengeräten direkt klargestellt hatte, dass ich erst nach dem Release von Last of Us und GTA5 dort anfangen könnte, also frühestens im Oktober 2013.

Gar kein Problem, also hatte ich nun über 9 Monate Zeit die Hochzeit mit meiner Frau in Ruhe zu planen, im Pool zu liegen, zu Zocken und einfach das Leben zu genießen.

In dieser Zeit haben wir dann auch etwas Gutes für meine Schwiegermutter getan, die hatte sich nämlich von Ihrem Mann scheiden lassen und stand nun mit 2 Putzstellen und ohne Kohle vor dem Existenzaus.

Die Wohnungssuche von ihr gestaltete sich als schwierig, da sie von 160 qm² (6 köpfige-Familie) kam und nun deutlich kleinere Brötchen backen musste.

Mein Stiefopa erlitt ungefähr zur gleichen Zeit einen Herzinfarkt und wurde von meiner Stiefmutter (Krankenschwester) ins gemeinsame Dreifamilienhaus geholt samt Stiefoma, um die Pflege zu übernehmen.

Mein Vater war zu dem Zeitpunkt schon Rentner und konnte dementsprechend gut mithelfen.

Warum ich das erzähle? Die beiden hatten eine wunderschöne 3 Zimmer Erdgeschosswohnung in guter Lage und nah zur Stadt.

Als guter Geschäftsmann witterte ich hier meine Chance und schlug vor, die Wohnung zu kaufen und selbstkostentragend an meine Schwiegermutter zu vermieten.

Win/Win Situation für die ganze Familie, also haben wir 2012/2013 gut Zeit investiert, um die Wohnung zu sanieren inkl. Balkonanbau, um sie dann zum Selbstkostenpreis an meine Schwiegermama zu vermieten. 380 EUR All in (inkl. Wasser/Strom/Heizung) für kernsanierte 70 qm² in guter Lage war der Glücksfall für die Mutter meiner Frau.

Nachdem die Hochzeitsglocken im März 2013 (genau am 10. Jubiläum!) geläutet haben, kam die Zeit der Selbstfindung.

Was will ich jetzt noch vom Leben? Kinder? Ungebunden bleiben? Zocken? ;)

Joah, Kinder, warum nicht?

Nach gerade mal 2 Monaten des „PoP (Poppen ohne Pille)“ war es dann tatsächlich schon im August 2014 soweit, wir waren schwanger!

Als Sophie dann 2015 zur Welt kam war alles klar, DAS war genau das was ich im Leben wollte! J

Das Glück wurde im Juni 2017 perfekt, als Marie geboren wurde.

Zwischendurch habe ich aufgrund einer weiteren Firmenpleite schon im August 2016 zum bisher letzten Mal den Job gewechselt.

Seitdem arbeite ich bei einem der größten Felgenhersteller der Welt im Versand (Kaufmännische Abwicklung) und bin mit Job, Gehalt und Work/Life Balance zufrieden.
Jeden Tag 07:00 - 15:30 Uhr, Wochenende immer frei (hab noch nie Samstag oder Sonntag gearbeitet im Leben) und 10 km (14 Minuten) zur Arbeit.

Was ich nämlich bis heute nicht abgelegt habe ist die Kenntnis darüber, was MIR im Leben wichtig ist, und so abgedroschen das klingen mag, aber das ist Zeit mit meiner Familie und meinen Hobbies.

Ich verbringe gerne jede Minute meiner freien Zeit mit den Kindern, mit meiner Frau, mit guten Freunden oder einfach im Keller.

Ich hatte nie den Antrieb irgendwas „Großes“ zu schaffen, ein großer Mann der einen noch größeren Fußabdruck hinterlässt zu sein.

Ich wollte einfach immer reich genug sein, um mir mein Leben finanzieren zu können, evtl. mal ein freistehendes Haus oder ein noch schöneres Auto zu fahren.

Das aber gegen die Zeit mit meinen Liebsten einzutauschen? No Way.

Das kann alles noch passieren, ich habe mich seit 2017 intensiv mit Crypto und schon seit Jugendtagen mit Börse und co. beschäftigt und bin da echt auf einem guten Weg.

Meinen Elan und meine Kraft in Arbeit zu stecken, das wird wohl in diesem Leben nichts mehr werden, mein Überstundenkonto bei meiner derzeitigen Firma spricht Bände:

6,8 Stunden in 6 Jahren!!  :-))

Jetzt mache ich Feierabend (ja, ich habe das auf der Arbeit geschrieben, gefühlte 60% meiner Zeit auf der Arbeit ist Freizeit) und freue mich gleich auf meine kleinen Weiber.

Ich bin auch eher nicht der typische Vater, eher der verrückte Nerd-Dad.

Jeden Abend veranstalte ich mit den beiden eine andere „Schlacht“, meistens ist es Lady Bug und Cat Noir gegen Hawk Moth (könnt gerne googlen), öfters auch mal ein Lichtschwertkampf oder einfach nur ein Streetfight.

Ich kann auch nicht normal an den beiden vorbeigehen, ich muss denen entweder in die Kniekehle boxen oder die kitzeln, sodass ich dann um mein Leben renne weil die mich verprügeln wollen :-D

Auf dem Trampolin bin ich der mit den krassesten Stunts und auf jeder Familiefeier der verrückte Schwager/Schwiegersohn/Sohn, der die 12 (!) Kinder zu Höchstleistungen antreibt, was dem Geräuschpegel nicht zu Gute kommt :-D

Ich liebe mein Leben und würde nicht eine Kleinigkeit daran ändern.

Ausgeglichen fühle ich mich auch, hatte die letzten Jahre genug zu tun mit der Kernsanierung unseres Hauses inkl. Kino-Neubau (siehe Zockerbuden Thread im ST), die Pflege des Gartens und Schrebergartens und andauernden Unternehmungen mit der Familie (Familienparks, Urlaube, Indoor-Spielplätze, alles was Spaß macht eben).

Genug Zeit für mein Hobby bleibt aber dennoch (konsequent: Freitag = Zocktag).

Meine Frau ist zum Glück auch ein kleiner Nerd und schreit beim Finale von Endgame auch gerne mal das ganze Kino zusammen vor Freude (ich sage nur: Cap + Schild ;) )



In diesem Sinne, einen guten Rutsch und danke für die letzten 20 Jahre :)

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