Thema:
Ein gestresster Vater mit Weltschmerz flat
Autor: the_korben
Datum:30.12.21 12:25
Antwort auf:Was ist aus euch geworden... von TOM

Dabei hatte alles so gut angefangen. ;)
Kurze Zusammenfassung: PC-Freak -> Astropyhsiker -> Politischer Aktivist -> Data Scientist/Software Engineer aber hauptsächlich gestresster Vater mit Weltschmerz.

In der Schule hab ich mir immer sehr leicht getan und ca. mit 8 Jahren die Faszination für Computer entdeckt, damals den alten 286er vom Papa ins Zimmer gestellt bekommen und mich halt sehr gerne damit beschäftigt. Das hat schlussendlich dazu geführt, dass ich mich für eine AHS mit Schwerpunkt Informatik entschieden habe (HTL wollten die Eltern nicht und war wohl insgeheim auch besser so), persönlich aber natürlich mit dem PC und dem aufkommenden Internet damals Ende der 90er wesentlich mehr als das schulisch Notwendige in diesem Bereich gelernt und getan habe. Jedenfalls war der Plan so in etwa, als Programmierer zu arbeiten und in die Spieleentwicklung zu gehen, aber so richtig konkret war das alles nicht. Irgendwie hab ich mich immer zu sehr von persönlichen Faszinationen ablenken lassen, sei es durch Fussball, was ich bis zum 16. Lebensjahr und einer Verletzung durchaus ernsthaft im Verein gespielt habe, oder durch diverse unerwiderte Schwärmerein, die mich in meiner Jugend eigentlich immer beschäftigt haben, oder eben durch diverse Spieleleidenschaften, oder wegen einem latenten politischen Interesse, weil genau in dieser Zeit die Rechten unter Haider in Österreich in die Regierung gekommen waren.

Nach der Schule war erstmal Zivildienst auf dem Programm. Ich hatte das unglaubliche Glück, gleich beim Rettungsdienst anfangen zu dürfen, und insgesamt waren das wohl die 12 tollsten Monate in meinem Leben. Es war einfach ein tolles Team, eine tolle Arbeit (ich hab sogar teilweise wochenends noch freiwillig Dienst gemacht) und eine großartige Erfahrung. Klar, manchmal nervt jede Arbeit, aber der Mix aus Krankentransport mit Betreuung der Patienten (oft irgendwelche älteren, alleinstehenden Menschen, die einfach gern mit jemand reden wollten) und Blaulicht-Einsätzen war schon eine tolle Sache. Und auf unserer Dienststelle waren alle ziemlich locker, also wurde auch mal ein Auge zugedrückt, wenn die Pause 5 Minuten länger dauerte, oder man hat für alle Pizza bestellt oder sich auch nach der Arbeit noch getroffen. Also jedenfalls top.

Dieser Lebensabschnitt hat mich dann zum Umdenken gebracht. Als verwöhnter Bestnotenschüler hatte ich eigentlich nicht wirklich viel vom Leben der Menschen um mich herum mitbekommen. Durch den Rettungsdienst wurde meine soziale Seite erst so richtig zum Leben erweckt, erst dadurch hab ich mir eigentlich wirklich überlegt, was ich mit meinem Leben eigentlich anstellen will. Und eigentlich wollte ich dann doch nicht "nur" für irgendeine Firma arbeiten, sondern wollte was für "die Menschheit" tun und in die Forschung gehen. Das hat dazu geführt, dass ich eine alte Faszination aus Kindheitstagen wieder entdeckte: die Astronomie. Hab mich dann also entschieden, Astrophysik zu studieren.

Das war dann die nächsten 11 Jahre das Zentralthema meines Lebens. Den Magister in Wien gemacht, schon fleißig bei der Forschung mit dabei und schon ein paar Publikationen im Gepäck, den Doktor dann 4 Jahre in Kanada gemacht und eigentlich so richtig erfolgreich gewesen mit Spitzenstipendium, kanadische Auszeichnung für die Dissertation, viele Publikationen in großen internationalen Teams (z.B. viel mit dem Kepler-Weltraumobservatorium gearbeitet) etc. Also einen Post-Doc zu finden, wäre überhaupt kein Problem gewesen und die Karriere wäre wohl ein ziemlicher Selbstläufer gewesen.

Aber irgendwie hat der Rest der Welt da nicht mitgespielt. Die Euro-Krise war gegen Ende meines Abschlusses so richtig im Gange, Klimawandel wurde immer mehr zum Thema, und irgendwie hat mich die Jagd nach Zitierungen und Applaus bei Konferenzen zu irgendwelchen abgehobenen Spezialthemen in der Astrophysik dann auch langsam etwas angewidert. Ich hab daraufhin wohl einige der richtigen bzw. falschen Bücher gelesen und wurde dank ausreichender Zeit neben der Dissertation so richtig derbe politisiert. Außerdem haben meine jetzige Frau und ich zu dem Zeitpunkt geplant zu heiraten und über Familie nachgedacht.  

Also haben wir uns letztlich entschlossen, nach meinem Abschluss wieder nach Österreich zurückzugehen und ich wollte mich in der lokalen Linken engagieren (in Graz wurden zu dem Zeitpunkt die Kommunisten immer stärker, das hat mich besonders motiviert). Das hat dann auch recht gut geklappt und ich war rasch eine recht "wichtige" Person in linken Bewegung in Österreich. Zu dem Zeitpunkt kam dann aber unser erster Sohn auf die Welt und ich machte den Fehler, während meiner Karenz meine politsche Arbeit weiterzumachen. Das hat mich dann an den Rande des Burnouts gebracht.

Desillusioniert von den politischen "Erfolgen" und dem Zustand der Welt und in Anbetracht der Verantwortung vor meiner Familie habe ich dann Politik/Aktivismus ruhen lassen und einen sehr guten Job als Entwickler/Data Scientist gefunden, in dem ich heute auch noch bin. Nettes Team, viel Verantwortung, spannende Arbeit - aber halt nur Arbeit. Und dann kam noch der zweite Sohn auf die Welt. Und jetzt stecke ich quasi im typischen Rad und der Frust über den Zustand der Welt ist geblieben.

Also hab ich über eher exotische Umwege dann doch in das "normale Leben" mit Job und Familie gefunden und ich bin mir noch nicht sicher, wo es in den nächsten 10-20 Jahren noch hingeht. Ab und zu kommt die Wehmut, nicht mehr in der Wissenschaft zu sein, dann wieder die Wehmut, politisch nichts geschafft zu haben, und dann die Müdigkeit und der Wunsch nach Eskapismus, der wohl ganzt natürlich durch viel Arbeit und zwei kleine Kinder/familiäre Verantwortung entsteht. Deshalb zocke ich auch jetzt so viel wie nie zuvor.

Aber es passt schon so. Hab zwei tolle Kinder und eine tolle Partnerin, einen lieben Hund und keine großen, persönlichen Sorgen. Wenn halt nur die ganze Stimmung etwas optimistischer wäre und wir alle als Gesellschaft wieder eine Perspektive hätten, wohin es jetzt gehen soll, dann wäre ich in der Rolle auch wesentlich glücklicher. Aber dann wäre ich vielleicht auch gleich in der Astrophysik geblieben.

So schaue ich halt jetzt, was die Zukunft so bringt und versuche, ein guter Vater und Ehemann zu sein. So richtig "angekommen" fühle ich mich jedenfalls nicht, aber vielleicht ist das auch irgendeine Persönlichkeitsstörung von mir, dass ich einfach nicht mit einem Lebensweg zufrieden bin und immer hinterfrage, ob das eigentlich gerade das Richtige ist. In dieser Hinsicht ist die Familie jedenfalls ein Segen, weil sie ein Anker ist, der das Leben gehörig erdet und die ganzen Träume und Flausen, die mir immer wieder durch den Kopf gehen, einem Reality-Check unterzieht.


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