Thema:
Re:Einzigartige Lage flat
Autor: Boabdil
Datum:28.12.21 20:25
Antwort auf:Einzigartige Lage von Fritz Schober

>In allen Phasen der Hyperinflation in der Vergangenheit gab es entweder keine oder sehr limitierte Notenbanken wie die EZB/FED oder es gab zeitgleich ein hohes Zinsniveau oder es gab keine Globalisierung (im heutigen Umfang) und/oder starke Gewerkschaften.
>
>Die heutige Lage ist einzigartig und darum sind copy-paste Versuche aus vergangenen Krisen verdammt schwer
>


Absolut. Die aktuelle Situation ist kaum mit anderen Wirtschaftskrisen vergleichbar . Man kann aber auch nur die ökonomische Lehre nehmen, Erkenntnisse aus vergangen Krisen adaptieren und mögliche Prognosen aufstellen was passieren könnte. Das man damit auch zu 100% falsch liegen könnte, passiert in der Ökonomie durchaus und finde ich hier im Gegensatz zu anderen Wissenschaften gar nicht verwerflich.

>Trotzdem neige ich speziell aktuell seit Covid zumindest in Teilaspekten Sinn und Co. (also konservativen Analysten welche primär auf Gold und Wertschöpfung realer Güter setzen) weil wir seit Covid erlaubt haben M1 Geld (welches in gewaltigen Mengen geschöpft wurde) zumindest teilweise in die M2 Geldmenge schwappen zu lassen. Das kann und wird nicht folgenlos bleiben.
>
>Ob es dazu führt dass wir uns in die Hyperinflationäre Todesspirale von Lohn-Preiserhöhung begeben werden ist schlicht unbekannt, ich neige aber eher dazu das anzuzweifeln aus einem simplen Grund: Schwache Gewerkschaften.
>


Guter Punkt. So wie in den 70er mit eher starken Gewerkschaften wird das nicht laufen. Aber werden die Leute auch still sein, die ihre Löhne jedes Jahr aufs neue selbst verhandeln?  Es gibt in vielen Bereichen mittlerweile immer weniger gute Arbeitskräfte (Handwerk, Pflege, aber auch IT-Entwickler etc.). Wenn diese Gruppe erst einmal realisiert, wie wenig ihnen in der Geldbörse bleibt, werden sie das in ihre Lohnforderungen einbringen?

>Wir haben die Rolle der Gewerkschaften massiv ausgehöhlt und sie zu Bittstellern degradiert. Der Grund ist die Globalisierung bei der Firmen einfach Jobs streichen und im Ausland billiger machen lassen können. Eine Option die man in den 20ern, 40ern und 80ern nicht so hatte (nur Textil ging schon früh weg).
>
>Ich denke die nun ultrastarken Notenbanken, welche sich so intensiv wie noch nie zuvor in die direkte Wirtschaft eingemischt haben indem sie nicht nur Zinsen senkten sondern auch direkt Schulden und sogar Aktien gekauft haben, erzeugt eine Umkehr der Kräfteverhältnisse.
>
>Früher war die Wirtschaftskraft und Leistung das Schiff und die FED und EZB der Steuermann der die Kurs etwas steuern konnte. Jetzt ist es umgekehrt. Wer zahlt schafft an. Das sieht man auch daran dass die EZB und FED wohl auch eine digitale Währung einführen wollen. Damit hätten sie ein noch direktes Kontrollsystem in der Hand weil sie 100% Kontrolle über den Geldfluss hätten.
>
>Ein Zyniker könnte nun sagen: Ja super, dann hegt und pflegt man den stabilen Digitalen Dollar und Euro und kann den alten Dollar und Euro ja Inflationieren lassen und wird so all die ganzen nominellen Schulden los weil die alte Währung nach und nach an Wert verliert.
>
>Dann ist auch der Kampf zwischen USA/EU und China über die Leitwährung eröffnet. Chinas digitaler Yuan ist bereits da und wird immer stärker zu einer Konkurrenz zum Dollar. Wir hatten diverse Leitwährungen, es war nicht immer der Dollar. Eure Urgroßeltern kannten noch das Britische Pfund als Leitwährung. Die meisten Leitwährungen halten sich 80-100 Jahre.
>
>Ich sehe eine Phase des Umbruchs und der Unsicherheit. Es könnte zu einem frugalen Jahrzehnt führen bei denen die Leute mit dieser Unsicherheit und den Erfahrungen aus der Pandemie nicht mehr so sorgenfrei investieren. Gerade wenn die Zeit der billigsten Kredite vorbei ist, erzeugt das noch mehr Zukunftsängste und Zurückhaltung. Verringerter Konsum würde aber auch die Arbeitslosigkeit als Folge von mangelnden Umsätzen erhöhen.
>
>Es bleibt spannend und ich sehe in der Vergangenheit nur ähnliche Facetten in Entwicklungen aber keine echten Übereinstimmungen. Die Welt ist deutlich komplexer und vernetzter geworden und die Verkettungen von Wirkungen um so schwerer vorherzusehen. Es bleibt nur zu hoffen dass die Welt vernünftig bleibt und das Wachstum der Entwicklungsländer genug ist um die Verwerfungen der Covid Jahre auszugleichen.
>


Interessante Aspekte, die du da einbringst. Danke für die Ausführungen.

>PS: Wer Hans-Werner Sinn voll zustimmt sollte dringend seine früheren Prognosen und Szenarien mit dem vergleichen was dann real kam. Bei ihm wird die Suppe immer so heiß gegessen wie sie gekocht wird, was in der Praxis niemand tut. Sinn hat z.B. gesagt dass durch Mindestlohn fast eine Mio Arbeitsplätze wegefallen würden. Es wurden statt dessen mehr. Also auch mal sowas lesen:
>[https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/falsche-wirtschaftsprognosen-wir-leiden-am-maassen-prinzip-a-1229226.html]
>und dann überlegen ob alles was plausibel klingt auch wirklich so kommen wird.


Naja, was man jetzt als zusätzlichen Pluspunkt bei Sinns aktuellen eher dramatischen Szenarien einbringen muss:
1. Der Weggang (oder besser die Resignation) von Weidmann. Lässt leider nichts gutes vermuten was intern zwischen Befürwortern der Anleihenprogramme und Gegnern abgelaufen ist.  
2. Das späte Einräumen einiger führender EZBler, dass die  Inflation doch längerfristig bleiben wird.


< antworten >