Thema:
Zum Glück nicht das, was mein Großvater vorausgesagt hat flat
Autor: johnjohnson
Datum:22.12.21 08:02
Antwort auf:Was ist aus euch geworden... von TOM

Mein Großvater hatte einen Bauernhof. Ich war zwischen 8 und 12 (weiss nicht mehr genau) und hatte keinen Bock in den Sommerferien dort für ein kaltes Zimmer und äußerst rustikales Essen zu schuften. Natürlich ohne auch nur einen Heller dafür zu bekommen. Als ich einmal mit dem armen ausgemergelten Hofhund gespielt habe, während mein Großvater seinen Mittagsschlaf machen wollte, hat er das Stubenfenster aufgerissen, mir mit dem Stock Prügel angedroht und gemeint, aus mir würde nie was werden. NIE!

Ich habe mich dann mit Händen und Füssen gewehrt dort wieder hin zu gehen und war auch nicht mehr in dem Kuhdorf in den Brixner Bergen.

Mein Vater hat mir in jungen Jahren etwas Kochen beigebracht und ich habe viel Freude daran gefunden. Daraus ergab sich mein Wunsch: Koch. Meine erste "Lehrstelle" war voll für die Fische. Ich habe von früh bis spät nur den Abwasch gemacht und vom Kochen gar nichts mitbekommen. Als ich das dann thematisiert habe und die Lehrstelle gewechselt habe, hat mein alter Lehrmeister gemeint: "Aus dir wird nie was. NIE"

Das hat mir das Kochen als Beruf sehr unsympathisch gemacht, weshalb ich mich für eine Kellnerlehre entschieden habe und dank Beziehungen meines Vaters in einer Bar/Eisdiele in Bozen meine Lehre machen durfte. Das war eine schöne Zeit und ich habe hier nicht nur meine Sprachkenntnisse im Italienisch auf absolutes Top-Niveau gebracht, sondern auch viel fürs Leben gelernt. Zum ersten Mal hatte ich den Eindruck, dass mein Großvater unrecht hatte und doch noch was aus mir werden würde.

1992 gab's in der Bar eine Weihnachtstombola. Hauptpreis war ein IBM PC inklusive allem Pipapo. Ich habe ihn natürlich nicht gewonnen. Aber ich wollte auch so ein Teil. Also bin ich mit einem Wechsel über 2 Lehrlingsentschädigungen in den Computer Point gelaufen und habe einen PC gekauft. Mit allem Pipapo. Und plötzlich wusste ich, was ich machen will.

Ich habe Turbo Pascal gelernt und viel darin programmiert. Hauptsächlich über Bücher und viel ausprobieren. Ich wollte Spiele programmieren! Meine fiktive Firma MAWI Inc. arbeitete am neuen Blockbuster Quest For Magic. Eine bekannte, die im selben Viertel gewohnt hat, hat mir dafür die Pixelgrafik gemacht.

Ich habe also die Arbeit hingeschmissen und mich bei der Handelsoberschule in Bozen eingeschrieben, da es dort einen Zweig für Informatik gab. Im Sommer habe ich entweder gekellnert oder auf dem Wochenmarkt Hosen und Altweiber-Häß verkauft. Die Schule hat mich allerdings unglaublich gelangweilt, die Professoren waren (bis auf den Italienisch-Prof) unsäglich schlecht, gelernt habe ich nicht viel.

1994/95 hat viel verändert: nach einem Unfall musste ich am Brustkorb operiert werden und bin knapp 6 Monate ausgefallen. In der Zeit habe ich mir meinen ersten Internetzugang organisiert. Mithilfe von 6 Disketten konnte ich mir die ganze Welt ins Kinderzimmer bringen. Eine Offenbarung. Nicht nur stark verpixelte Bilder von nakten Frauen waren jetzt im Übermaß verfügbar, nein, ich konnte auch alle möglichen Informationen zu meinem Berufswunsch finden und Leute treffen, die quer über den Weltball verstreut sind.

Einige von diesen Leuten habe ich auch persönlich getroffen. In Form von Chat-Treffen, in Form von persönlichen Besuchen. Die Zeit war sehr schön. So kam es auch, dass ich 1996 Bekanntschaft mit Ulrike gemacht habe, einer Niederösterreicherin, die in Vorarlberg lebte. Diese habe ich besucht, wir haben uns sehr gut verstanden und nach einem Jahr des Pendelns, habe ich sie gefragt, ob ich nicht zu ihr ziehen könnte und hier einen Neuanfang wagen dürfte. Sie hat ja gesagt.

Ich bin also 1998 mit Sack und Pack nach Österreich ausgewandert. Die Schule hatte ich abgebrochen und zur Überbrückung auf dem Wochenmarkt gebuckelt. Es gab also nichts, was mich unbedingt an Italien gebunden hätte. Ich habe mich wie ein Glücksritter gefühlt.

In Österreich angekommen, war meine erste Aufgabe die, mich um einen Job zu bemühen. Was, war mir egal. Ich wäre natürlich gerne in die Informatik gegangen, habe mich aber auch in der Pizzeria Bella Napoli, beim Vobis und bei einem Registrierkassen-Verkäufer beworben. Und bei Teleport. Die waren der Internet-Platzhirsch in Vorarlberg und haben jemanden gesucht, der Webseiten für Kunden bastelt. Ich wollte das machen und habe entsprechend die Hosen weit runter gelassen. Um 12000 Schilling netto (=872€) konnten sie nicht widerstehen. Meine ersten beiden Monatsgehälter habe ich praktisch 1:1 meiner Mutter überwiesen, um damit meine Telefonrechnungs-Schulden zu begleichen. Holy Fuck war Internet damals teuer.

2 Jahre später habe ich das doppelte verdient und war von der Produktion von Webseiten in die Entwicklung von VOL.at gewechselt.

Spulen wir ins Jahr 2021 vor: ich bin seit über 15 Jahren wieder bei Russmedia (Mutterfirma der damaligen Teleport) und bin der Tech-Lead bei ums im Haus. Der Job macht unglaublichen Spaß und ich lerne jeden Tag was Neues. Zwischen meinem ersten und zweiten Stint bei Russmedia habe ich mit Kollegen eine Firma gegründet (und meine Anteile wieder verkauft), bei einem Software-Dienstleister für T-Mobile gearbeitet und eine Wissensmanagement-Software mit entwickelt.

Persönlich hatte ich nach Ulrike, mit der die Beziehung über 10 Jahre geahalten hat, noch eine über 7-jährige Beziehung mit Elke, bevor ich dann, dank einer Arbeitskollegin, Marika kennengelernt habe. Vor fünfeinhalb Jahren haben wir geheiratet, ein Haus in Götzis gekauft und leben ein wunderbares Leben. Kinder haben wir keine, weil wir uns beide dagegen entschieden haben. Wir waren, als wir uns kennengelernt haben, halt beide schon Richtung 40 unterwegs.


Vor 1,5 Jahren habe ich auf 90% reduziert, das es mir erlaubt nur von Mo-Do zu arbeiten. Eine der besten Entscheidungen ever.

TLDR: ich hatte unglaublich viel Glück und einen besonderen Wunsch es meinem Großvater reinzudrücken. Und ich bin der Meinung, ich hätte es geschafft.


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