Thema:
Verkäufer-/Händlersicht flat
Autor: Guy
Datum:12.11.21 07:00
Antwort auf:C von thestraightedge

>Frag mal nach, obs Möglichkeiten gibt, die große Lücke zu Online ein wenig zu schließen. Wenn nicht kaufst Du dennoch da, aber es ist erstaunlich, wie oft so etwas auch im Einzelhandel Erfolg hat. Deren Spannen lassen das tatsächlich oft zu.

Und genau das ist ist der Trugschluss.
Nur weil man mal nen Internetpreis mitgeht, heißt das nicht, dass „die Spanne das zulässt“.
Meistens wird da nach „beide Augen zu und durch“ agiert, um den Kunden nicht zu verlieren, in der Hoffnung, dass er irgendwann mal wiederkommt und man dann Geld an ihm verdient (was aber immer seltener der Fall ist, weil er von nun an auch beim nächsten Mal wieder fragen wird, Rabatt ist wie eine Droge).
Ich weiß, es geht Dir nicht darum, den Internetpreis komplett mitzugehen, sondern dem Kunden entgegenzukommen.
Die Problematik ist aber sehr ähnlich.
Tatsächlich sinken die im Einzelhandel erzielten Spannen seit Jahren jedes Jahr.
Und mittlerweile kämpft man da echt am kalkulatorischen Limit, bzw. ist weit darüber hinaus.

Genau das ist der Grund, warum so viele Einzelhändler schließen, immer weniger Personal haben (das in immer weniger Zeit immer mehr Umsatz generieren und nebenbei noch tausend andere Dinge erledigen muss - warum wohl wirken Verkäufer oft gestresst?) und diesem immer weniger Geld bezahlen (können).
Am Ende liegt‘s am Kunden, der nicht versteht, dass es nun einmal irgendwo herkommen muss, wenn sich jemand PERSÖNLICH mehrere (je nach Branche und Kundenbedarf manchmal sogar 30, 60 oder mehr) Minuten einer einzelnen Person widmet und dann ggf. bei Problemen (z.B. bei Technikprodukten) auch noch mit kostenlosem After-Sales-Service (z.B. per Telefon, bei Anschluss- oder Installationsproblemen) zur Verfügung steht - und über die dazu erforderliche Ahnung und Erfahrung verfügen soll/muss.
Das ist mit einer Kalkulation aus dem reinen Onlineversand einfach nicht zu machen, wo im Akkord Ware verpackt und versandt/zugestellt wird.

Die Konsequenz:
Immer weniger Menschen wollen den Verkäuferjob überhaupt noch machen, die, die richtig gut sind, suchen sich (immer seltener werdende) Branchen und Unternehmen, in denen sie auch entsprechend entlohnt werden und das, was man in den allermeisten Fällen in normalen Läden und auch Ketten antrifft, sind halt die, die nicht viel können/wissen und für die daher das wenige Gehalt alles ist, was sie sich überhaupt wünschen können.
Das sind dann aber eben auch die, bei denen eine „Beratung“ diese Bezeichnung eher weniger verdient und wo sich der Kunde dann fragt, warum er sowas auch noch mit nem höheren Preis honorieren sollte - womit der Teufelskreis komplett ist.

Ich handhabe das so:
Wenn ich in einen Laden gehe und mich beraten lasse bin ich grundsätzlich bereit, den dort aufgerufenen Preis zu zahlen, solange dieser nicht mehr als 10-20% über den seriösen Onlinern liegt (bei größeren Anschaffungen - bei Kleinkram, den ich eh sofort brauche, z.B. aus dem Baumarkt, ist es mir sogar komplett egal).
Meistens informiere ich mich eh vorher wenn ich etwas brauche und kenne grob die Preise.
Sind diese in einem Laden DEUTLICH höher als die genannten 10-20% und ich benötige keine Beratung, verlasse ich den Laden einfach wieder (ohne mich beraten zu lassen) und bestelle online. Stehle dann aber auch niemanden in dem Laden die Zeit.

Ansonsten lasse ich mich beraten und, wenn die Beratung gut war, kaufe dann auch dort, das ist mir dann sogar ein Bedürfnis, und zwar ohne groß rumzufeilschen.
Bringt mich der Verkäufer gar auf ein Produkt oder eine Idee, die ich vorher gar nicht auf dem Schirm hatte, die aber genau mein Problem löst, ist mir der Preis (so er für mich bezahlbar und die Lösung meines Problems wert erscheint) gar komplett egal, ich kaufe bei ihm und google nicht mal danach im Netz, was der Artikel dort gekostet hätte - schließlich habe ich in diesem Laden einen Kompetenz- und Erfahrungsmehrwert in Anspruch genommen, ohne den ich gar nicht auf den Artikel gekommen wäre.
Im Falle des Parfümbeispiels hätte ich somit, bei der wirklich guten Beratung, das Parfum gekauft und mich hinterher gar nicht drum geschert, was es woanders gekostet hätte.
Schließlich möchte ich ich nicht Schuld sein, dass die gute Dame morgen plötzlich nicht mehr da ist, um mich zu beraten.

Nur mal zum Drüber-Nachdenken, auch wenns die Meisten nicht werden wahrhaben wollen:
Allzugroßes Feilschen nach einer guten Beratung, gerade mit Bezug auf Internetpreise, kommt für den Verkäufer einem Mangel an Wertschätzung gleich, schließlich signalisiert man damit, dass seine Arbeit nichts kosten darf und somit auch nichts wert ist.
Gebt Ihr als Verkäufer zu oft und zu viel Rabatt, wird Euer Chef Eure Arbeit ebenso in Frage stellen ("War der Kunde so unzufrieden mit der Beratung, dass er keinen Mehrwert in ihr gesehen hat? Wofür brauche ich Dich dann und wovon soll ich Dich bezahlen? Dann kann ich die Ware auch einfach nur auf Abgriff in die Regale stellen und spare mir die Verkäufer!").
Inwieweit wärt Ihr da noch motiviert, trotzdem jeden Tag Euer Bestes zu geben?

Im Vergleich zum anonymen Internet hat das Kaufverhalten im stationären Einzelhandel nunmal direkte Auswirkungen auf die persönlichen Schicksale der Menschen, mit denen Ihr da in Kontakt tretet.


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