Thema:
Re:EU könnte Atomkraft als grüne Energie einstufen flat
Autor: Telemesse
Datum:08.11.21 23:11
Antwort auf:Re:EU könnte Atomkraft als grüne Energie einstufen von _bla_

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>>Stand heutiger Technik ist das nicht machbar.
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>Begründung?
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>>Selbst Scholz hat das erkannt und vor kurzem in einer Rede die Notwendig des Baus neuer Gaskraftwerke untermauert.
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>Erstens ist Scholz nicht der Maßstab dafür, was technisch machbar ist. Und zweitens spricht auch Scholz nur von Gaskraftwerken für eine Übergangszeit. Und zwar nicht für eine Übergangszeit bis bessere Speichertechnologie verfügbar ist, sondern einfach nur zur Sicherung der Versorgung, während des Ausbaus der erneuerbaren Energien.
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Nein. Du hast da einen kapitalen Denkfehler. Die Gaskraftwerke sind essentieller Bestandteil der Energiewende. Mit volatilen Energiequellen läßt sich, aufgrund fehlender Energiemassenspeicher, auf absehbare Zeit keine Grundlastsicherung generieren. Durch den Ausbau des Anteils von erneuerbaren Energiequellen nimmt die Instabilität des Stromnetzes zu.  Darum muss immer wieder in die Versorgung manuell eingegriffen werden, sei es, indem hier Produktionsanlagen bereits jetzt abgestellt werden, Strom für Geld aus dem Ausland zugekauft wird oder Strom auch gegen Bezahlung ins Ausland hin entsorgt wird. Das ist die Realität. Und das nimmt zu, in dem Maß, in dem der Anteil der Erneuerbaren zunimmt.
Durch die Volatilität bei den Erneuerbaren hat man einfach die Problematik, das Strombedarf und Stromerzeugung nur im Ausnahmefall mal  übereinstimmen. In den allermeisten Fällen hat man aber entweder zu viel oder zu wenig bis hin zu gar keiner Stromerzeugung (z.b. Nachts wenn kein Wind weht). Das bedeutet das es regelmäßig dazu kommen wird, das man eine bis zu 100%tige Versorgungslücke ausgleichen muss, was gleichzeitig bedeutet das man immer 100% der Energieversorgung durch konventionelle Kraftwerksleistung zur Verfügung stellen können muss, ganze egal wieviel Anteil die erneuerbaren Energien haben. Es ist daher einfach falsch zu glauben, durch den Ausbau der erneuerbaren könnte man konventionelle Kraftwerkskapazitäten einfach reduzieren.
Das scheint sogar Olaf Scholz erkannt zu haben und hat kürzlich in einer Rede, in einem spontanen Anfall von Ehrlichkeit verkündet, dass wir zusätzliche Gaskraftwerke werden bauen müssen, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Das ist völlig korrekt. Denn es müssen damit nicht nur die Kapazitäten der Kern- und Kohlekraftwerke substituiert werden können, sondern es müssen auch Kraftwerke sein die schnell hoch oder runter gefahren werden können um die Schwankungen der Erneuerbaren auszugleichen und die Netze stabil zu halten. Aufgrund der benötigten Kraftwerksleistung reden wir hier aber nicht von ein paar kleineren Anlagen sondern eher von 20 größeren überregionalen Gaskraftwerken. FFF ist dagegen (Die fordern Erdgasausstieg bis 2035), die Grünen waren bisher auch immer strikt dagegen. Allerdings scheint zumindest bei den Grünen mit der Regierungsverantwortung der Groschen der Erkenntnis zu fallen, denn urplötzlich hat da ein Sinneswandel stattgefunden und man will nun auch neue Gaskraftwerke bauen. Denn sollten wir das nicht tun, riskieren wir völlig unsere Versorgungssicherheit, machen uns extrem abhängig von Stromimporten und erhöhen das Risiko eines Blackoutvorfalls massiv.
Dazu kommt noch bei den notwendigen (Gas-) Kraftwerken folgendes. Diese müssen praktisch das Backup für die Energieversorgung darstellen sollten aber eben nur dann einspringen wenn die Erneuerbaren nicht genug liefern. D.h. die werden die meiste Zeit nur einen Bruchteil ihrer möglichen Kapazität bereitstellen. Das ganze macht diese Kraftwerke aus ökonomischer Sicht natürlich höchst ineffizient und ein Betrieb wäre wohl nur höchst defizitär möglich. Insofern wird das mit dem aktuellen Vergütungsmodell, Geld gegen Energielieferung, nicht funktionieren. Man muss das daher eher wie eine (Energie-) Feuerwehr betrachten und es muss ein Vergütungsmodell für die Bereitstellung der Energieproduktion geben. D.h. diese Kraftwerke müssen subventioniert werden und zwar umso mehr je weniger sie tatsächlich Energie produzieren. Diese Kosten sind natürlich unvermeidliche Kosten der Energiewende und müssen bei rationeller Betrachtung den Kosten der Erneuerbaren Energien zugerechnet werden, da diese eben ohne diese „Feuerwehr“ in unseren Regionen nicht praktikabel sind. Insofern macht es natürlich wenig Sinn die zu erwartenden hohen Energiekosten bei solchen Gaskraftwerken als Negativbeleg für deren Errichtung anzuführen. Denn das ist in etwa genauso unsinnig wie der Feuerwehr ihre Kosten vorzuwerfen wenn es kaum oder gar nicht brennt.
Dies bedeutet also das die Hardwarekosten (Kraftwerke, Wind- und Solaranlagen) deutlich steigen werden, die Brennstoffkosten (die ja nur bei fossilen Kraftwerken anfallen) im Laufe der Zeit kontinuierlich sinken sollten. Aufgrund der hohen Anlagenfixkosten (Bau, Instandhaltung, Bereitschaftskosten) ist aber nicht davon auszugehen das Energie billiger wird eher im Gegenteil. Sollten Batteriespeicherlösungen für private und gewerbliche Nutzung merklich effizienter und günstiger werden, was sehr wünschenswert wäre, bedeutet aber eben auch eine Fixkostenverschiebung auf die privaten Haushalte und Betriebe. Man wird also autarker aber wahrscheinlich nicht günstiger, da auch der Backupstrom sicherlich teurer werden wird, insbesondere bei geringer werdenden Abnahmemengen.

Mein Fazit: Das ganze kann durchaus funktionieren. Man sollte das ganze nun einfach mal realistisch betrachten und sich der sachlichen Umsetzung widmen und sich von diesen ganzen infantilen und realitätsfremden Verzichtsforderungen verabschieden und vielleicht auch mal mehr auf die Expertise von Physikern und Netzwerkexperten hören als auf Ideologische Gewohnheitsforderer. Ob das ganze dann für das 1,5 Grad Ziel reichen wird, kann wohl niemand seriös beantworten. Das ist aber imo auch nicht entscheidend, da eben aktuell kein anderes Lösungszenario (Ausser der verpönten Kernenergie) ersichtlich ist. Es gibt also ein realitisches und imo durchaus positives Szenario für die Zukunft. Das sollte man jetzt vorantreiben.
Die Frage aber ob Gaskraftwerke gebaut werden sollen oder nicht, stellt sich überhaupt nicht. Die Gaskraftwerke sind essentielles Backup für die Energiewende.
Und reduziert oder ersetzt werden können die niemals durch Erneuerbare Energien sondern ausschließlich durch bezahlbare, verläßliche und vor allem Grundlastfähige Massenspeichertechnologien.


>Der schnelle Ausbau der erneuerbaren Energien ist realpolitisch selbstverständlich eine riesige Herausforderung. Es braucht sehr viel Geld und viele Flächen, es gibt jede Menge Widerstände gegen neue Windräder, Solarparks und Hochspannungsleitungen. Die Finanzierung soll sozial ausgewogen ablaufen, ein Finanzierung über Schulden oder höhere Steuern ist aber gerade nicht drin. Herstellungskapazitäten für Solarzellen und Windräder sind begrenzt. Wie soll man es hinbekommen, das irgendwelche Produktionsanlagen, die eigentlich noch jahrelange genutzt werden könnten, jetzt schon durch CO2 neutrale Anlagen ersetzt werden, usw. Realpolitisch also durchaus schwierig hinzubekommen. Aber die Technik ist eben nicht das Problem,  sondern nur das der Umbau jetzt ganz wahnsinnig schnell gehen soll/muss.


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