Thema:
Re:Ich habe Klima-Depression. Wer noch? flat
Autor: MH
Datum:03.11.21 17:20
Antwort auf:Ich habe Klima-Depression. Wer noch? von thestraightedge

>Ich habe schon immer eine Menge versucht, ohne dass zugegeben die letzte Konsequenz  (unten mehr dazu) vorhanden wäre. Ich bin seit fast 30 Jahren Vegetarier. Ich habe in den letzten Jahren auf Flugreisen verzichtet, trotz langer Gesichter der Familie. Ich versuche, meinen Konsum zu minimieren und vermittle das auch an die Kindern (nein, eine Konsolensammlung und Star Wars Figuren sind da kein Widerspruch). Ich könnte jedes Jahr ein neues iPhone bekommen, umsonst - stattdessen nutze ich die Dinger tlw. 5 Jahre. Ich kaufe keine Klamotten, weil diese Industrie eine Perversion ist. Nur das Nötigste. Ich fahre Hybrid und wohl bald Elektro. Ich habe im Betrieb massiv auf Umweltschutz gesetzt, mit diversen Programmen und Projekten. Ich habe eine Solarthermie auf dem Dach, heize durch lokales Holz zu, eine PV-Anlage ist geplant. Usw usf. Privat liegt unsere Familie inzwischen trotz Haus und Hof unterm Bundes-Schnitt bzgl. CO2-Verursachung, den Rest kompensiere ich mit Ausgleichszahlungen. Vom eigentlich zugeteilten Kontingent bin ich aber weiterhin weit entfernt.
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>Und was bringt das nun alles? Nichts. Überhaupt nichts. Während ich durchs Veggie-Dasein erkenne, dass ich vermutlich schon einer Herde Kühe und einem Stall Schweine sowie hunderten Hühnern das Leben geschenkt habe, wirkt sich meine Bemühung im CO2-Bereich auf gar nix aus.
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>Es reift einfach die Erkenntnis, dass die Klimakatastrophe, die prognostiziert wird (ich habe btw anders als bei anderen Erkenntnissen irgendwie eine unfundierte Hoffnung, dass Menschen und Planet sich irgendwie anpassen und es nicht so schlimm kommt) nur noch durch eine Art zurückbomben in die Steinzeit aufzuhalten wäre. Und das wird nicht passieren. Ich fälle alle meine Entscheidungen konsequent. Wenn ich etwas sammle, muss es groß und gründlich werden. Wenn ich eine Familie gründe, will ich der beste Papa der Welt sein. Und wenn ich die Klimakatastrophe aufhalten will?
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>Dann muss ich raus aus dem 5-Personen Bunker, rein in eine Höhle bzw. sagen wir mal in ein Tiny-House, mit Selbstverpfleger-Garten, Job weg (auch hier habe ich mit Produkten, Importen und damit mit Verursachern zu tun), kein pendeln mehr, kein Auto mehr, keine Reisen mehr. Keine Plastikverpackungen aus den Supermarkt, keine Lebensmittel wo ein LKW für fährt, keine Neuwaren, alles nur noch gebraucht, von Klamotten über Elektronik bis hin zu Haushaltswaren.
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>Und dann lebe NUR ICH in der Konsequenz (natürlich, ein paar Mio andere vielleicht auch, aber der Hebel ist lächerlich), die nötig wäre. Der Rest? Macht nicht mit. Also die meisten nicht, v.a. die dicken Fische nicht. Das sieht man auch im Klimagipfel in Glasgow. Es gibt Lippenbekenntnisse, sonst nichts. Die Wichtigsten Player (Russland, China) sind nicht einmal dabei und machen einfach weiter. Brasilien? Rodet weiter. Die Länder mit Rechtsruck nehmen Umwelt und Co. gezielt von der Agenda (Polen, Ungarn, ...). Selbst im zivilisierten Teil Europas sind Ungeheuerlichkeiten wie Turbomast, Lachsfarmen usw. einfach weiter geduldet, gewollt, protegiert.
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>Und würde ich die Rückkehr in die Höhle machen bzw. schaffen? Vermutlich nicht. Den eigenen Wohlstand über Board werfen wäre das eine - eine komplette Familien mit aller Konsequenz in diese Bahnen bringen ist ein anderes Thema. Wäre ich Single, würde ich vermutlich anders agieren und anders downsizen - glaube ich zumindest.
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>Und dennoch würde es doch eh nichts bringen, der Hebel wäre v.a. fürs eigene Gewissen gut, ohne Auswirkungen auf das Klima.
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>Es gibt so viele Beispiele, wie wenig sich eigentlich tut: für den Regenwald war ich vor 30 Jahren bereits in der Unterstufe demonstrieren. Was ist seitdem passiert? Es wird in Rekordgeschwindigkeit abgeholzt. Corona hat eine Bremse in ALLES gehauen in 2020 - und was passiert? Rekordkonzentration CO2. Elektrobusse, Lastenfahrräder, Öko-Hotels, E-Autos, Bio-Boom, alles egal. Die Menschen beeinflussen offenbar eigentlich kaum etwas, der Krief wird anderswo gewonnen, wo sich gar nix tut. Und selbst der Rahmen meines Lastenfahrrads kommt mit dem Schweröl-Containerschiff aus Taiwan, die Schaltung aus Japan. Ba dum tss.
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>Dazu gibt es irgendwie inzwischen folgende Wahrnehmung:
>- wir könnens eh nur noch durch immense Anstrengungen der ganzen Welt aufhalten, die es nicht geben wird
>- das ständige Mahnen ist vielleicht sachlich richtig, stumpft aber ab - das erkenne ich selbst bei mir. Die Dauerbeschallung, wie schlimm alles wird, und gleichzeitig seit Jahren kaum Veränderung - es ist menschlich, dass die Alarmwirkung da irgendwann nachlässt
>- gleichzeitig reift die Erkenntnis, dass der persönliche Einsatz und Wandel sowieso nichts bringt. Das merkt man auch hier im Forum: geschätzte User, die sich wirklich Gedanken machen, schreiben: we're fucked. Wird nix mehr. Unseren Kids wird noch gut gehen, danach die Generation ist hinüber.
>- Ich kenne inzwischen gebildete, sensible Menschen die sagen: Fuck it, das wird nix mehr, warum soll ich mich nun einschränken wenn mein Hebel so klein ist, die großen Hebel nicht einmal gesetzt werden, und alle Profis eh sagen: wir sind verloren
>- eine konsequente Verbotspolitik wäre das Einzige, was hier was bringen würde, wenn diese weltweit angewendet würde. Verbot aller Autos ohne E-Antrieb. Verbot von Importen aus Asien. Pflicht zur lokalen Erzeugung. Verbot sinnloser Konsum-Artikel. Verbot von Fleisch. Verbot von Fischfang außerhalb des Forellenteichs im Dorf. Verbot von und über und bis. Alles halt. Wird aber nicht passieren. Selbst wenn Länder vorpreschen ziehen 80% der Welt niemals mit.
>- es gibt inzwischen auch die Gefahr von Konflikten, die aus fehlgeleiteter Sorge, Aktionismus o.ä. entstehen. Menschen feinden sich an, weils Auto als zu groß empfunden wird, weil die Familie nach 4 Jahren Bodensee mal wieder in die Türkei fliegt usw. Auch das ist nicht förderlich.
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>Ich bin da irgendwie nur noch niedergeschlagen, ich habe kein Bock mehr auf das Thema, weil nix passiert, weils nix bringt. Die Sau kann man mit der Präsenz doch nicht noch 5 Jahre durchs Dorf treiben, ohne dass die Menschheit sagt: labert ihr halt, die großen Verursacher machen eh weiter, wir können eh nix ändern. 1,5 Grad - gerissen. 2 Grad - gerissen. 3 Grad. Irgendwann auch. Das Leben geht vermutlich weiter-  für die meisten zumindest. Und dann hat niemand mehr die Motivation, irgendwas zu ändern. Ich sehe es also als möglich an, dass durch die fehlende Politik und Perspektive sowie ein "weiter so" auf Ebene der industriellen Großverursacher das Thema irgendwann einschläft und man der Dinge harrt, die da kommen. FFF verliert jetzt schon an Wirkung, Extinction Rebellion war nur ein Aufflackern, die Grünen werden hier auch keine gravierenden Akzente setzen, so wie auch in Glasgow nur Lippenbekenntnisse folgen.
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>Ich weiß nicht, ob Depression das richtige Wort ist. Vermutlich ists ein wenig pathetisch, aber in den letzten Jahren hat sich bei mir was gewandelt. Im Umwelt-Thread #1 dachte ich: chaka, wir schaffen das. In Umweltthread 8 denke ich: bringt alles nix mehr. Das veranschaulicht den Wandel im Kopf ganz gut. Und mit diesen Sorgen und einer daraus resultierenden Dauer-Anspannung, auch mit Blick auf meine Kinder, versaue ich mir auch diesen freien Tag heute.
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>Wie kann der Weg daraus aussehen, hin zu einer wieder anderen Wahrnehmung, Motivation? Wer sieht im Moment den eigenen Kampf fürs Klima als sinnvoll und aufbauend an, wer glaubt dass sich wirklich was tun wird?


Es ist wie es immer war. Nichts bringt soviel Bewegung in die Sache wie eine Krise. Da die Gesellschaft wie ein großer Kindergarten ist funktioniert nur das altbewährte "Lernen durch Fühlen". Es muß also ein paarmal richtig heftig knallen bevor was in Bewegung kommt. Und ja, natürlich wird es dann zu spät sein. Die einzige Lösung die dann noch bleibt ist GeoEngineering. Hoffen wir dann daß wir es nicht versauen. Vertrauen wir auf die Wissenschaft.


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