Thema:
Re:Ich habe Klima-Depression. Wer noch? flat
Autor: Pezking
Datum:02.11.21 11:19
Antwort auf:Ich habe Klima-Depression. Wer noch? von thestraightedge

>Ich weiß nicht, ob Depression das richtige Wort ist. Vermutlich ists ein wenig pathetisch, aber in den letzten Jahren hat sich bei mir was gewandelt. Im Umwelt-Thread #1 dachte ich: chaka, wir schaffen das. In Umweltthread 8 denke ich: bringt alles nix mehr. Das veranschaulicht den Wandel im Kopf ganz gut. Und mit diesen Sorgen und einer daraus resultierenden Dauer-Anspannung, auch mit Blick auf meine Kinder, versaue ich mir auch diesen freien Tag heute.
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>Wie kann der Weg daraus aussehen, hin zu einer wieder anderen Wahrnehmung, Motivation? Wer sieht im Moment den eigenen Kampf fürs Klima als sinnvoll und aufbauend an, wer glaubt dass sich wirklich was tun wird?


Ich glaube schon, dass Depression hier genau das richtige Wort ist, wenn Du Dich von dieser Sorge kaum noch erfolgreich ablenken kannst.

Ich kann Dir dazu keine Tipps geben, außer meine eigene Sicht der Dinge mal zu beschreiben. Vielleicht hilft Dir ja diese andere Perspektive etwas weiter. Und wenn es nur dazu dient, Deinen Blickwinkel etwas aufzuweichen und die übelste Schwarzmalerei ein Stück weit abzustellen.

Ich formuliere das mal in Thesen, weil es mir schwer fällt, daraus einen zusammenhängenden Text zu verfassen. Und weil ich eh glaube, dass das ganze Thema viel zu komplex und vielschichtig ist, als dass man da als Einzelperson irgendwie eine runde Sache aus dem ganzen Paket machen kann.

- Die Erderwärmung ist real. Ist im Gange, wird schlimmer werden. Auf dieser Schiene bewegen wir uns.

- Als Einzelperson kann man daran herzlich wenig ändern. Als Teil einer "Bewegung" oder eines gesellschaftlichen Umdenkens jedoch schon. Das bedeutet jedoch nicht, dass man jedes Fitzelchen des eigenen Handelns auf die Klimaprobe stellen muss. Es ist eine Einstellung, eine Sensibilisierung, eine Vergegenwärtigung. Je stärker sich diese verbreitet, desto stärker und effektiver fordert man deren Berücksichtigung auch ein.
Und hier sehe ich laufend Fortschritte. Ob diese schnell genug sind, ist mir erst einmal egal. Ich ziehe genug Optimismus daraus, dass immer mehr Leute diesen Weg einschlagen. Egal wie konsequent - es ist und bleibt immerhin ein Fortschritt. Und das macht mir Mut.

- Dieses Umdenken seitens der Bevölkerung reicht natürlich nicht aus. Die richtigen Hebel sind in der Industrie zu finden. Und ein Großteil der weltweiten Industrie liegt außerhalb Deutschlands.
Aber dennoch erkenne ich da eine notwendige Reihenfolge, die von uns selbst ausgeht. Es ist wie eine Art "Grassroots-Bewegung". Die Leute erkennen den Klimawandel zunehmend als Gefahr an, und daraus resultieren Forderungen. Erst wenn diese laut genug hörbar werden und das Konsum- und Wahlverhalten von immer mehr Leuten ändern, werden immer mehr Politiker und größere Teile der Industrie Handlungsbedarf sehen.
Wir haben es in der Hand, dafür zu sorgen, dass Klimaneutralität profitabler erscheint. Niemand stoppt den Klimawandel im Alleingang. Aber jeder kann dafür sorgen, dass die größten Verursacher von CO2-Emissionen aus immer mehr Richtungen sturmreif geschossen werden.

- Et hätt noch immer jot jejange. Damit will ich den Klimawandel keineswegs verharmlosen oder Bemühungen zu dessen Bekämpfung ausbremsen. Aber die übelsten Prognosen sind noch lange nicht in Stein gemeißelt.
Ich denke da immer wieder gerne an die Ende der 80er bis in die 90er Jahre hinein riesig und furchtbar fatal erscheinende Drohkulisse der Überbevölkerung. Der damals prognostizierte Trend stimmt zwar - ja, die Weltbevölkerung nimmt laufend zu. Aber 1996 sang Bad Religion von "Ten in 2010". Und wir liegen jetzt in 2021 noch nicht mal bei acht Milliarden.
Sprich: Es ist nicht zu spät bis es zu spät ist. Wir haben in Sachen Klimawandel längst noch nicht den Punkt erreicht, an dem wir aufgeben und die weiße Flagge hissen müssen. Weiterkämpfen lohnt sich, und selbst zu langsam erscheindende Veränderungen können viel bewirken - und garantiert mehr, als zynisch auf alles zu scheißen und fortan frei nach Göring zu leben: "Hauptsache zwölf Jahre anständig gelebt!"

- Askese war noch nie hilfreich.

- Ich glaube, dass wir noch irgendwie die Kurve kriegen. Das vielleicht schlechter als nötig, aber der Klimawandel wird uns auch keine postapokalyptische Welt á la Fist of the Northstar bescheren.

- Ich wäre sicher noch eine ganze Spur unentspannter, wenn ich Kinder hätte. An meiner grundsätzlichen Sicht auf die Dinge würde sich aber auch dann nichts ändern. Ich bin halt eher ein Glas-halbvoll-Mensch.


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