Thema:
Erdogan-Kritik des Westens wird zum Rohrkrepierer... flat
Autor: Kilian
Datum:26.10.21 11:24
Antwort auf:Politik in Europa, Deutschland und Ländern - Teil XIX von Rocco

Eine kurze Zusammenfassung der Ereignisse:

Vor ca. einer Woche kritisieren zehn in der Türkei eingesetzte Botschafter, u.a. Deutschlands, der USA und Frankreichs, den türkischen Staat für seinen Umgang mit einem Geschäftsmann und Philantropen (Kavala), der seit Jahren ohne Verfahren (bzw. trotz Freispruchs vor gut einem Jahr) in der Türkei im Gefängnis sitzt. Grundsätzlich eine mehr als berechtigte Kritik, aber dass Botschafter sich so äußern ist mehr als ungewöhnlich.

[https://www.sueddeutsche.de/meinung/tuerkei-erdogan-kavala-botschafter-diplomatie-1.5447894]

Erdogan, der innenpolitisch aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage unter Druck steht und Mitte 2023 als Präsident wiedergewählt werden will, reagiert äußerst gereizt, kritisiert den Westen für seine Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Türkei und erklärt alle Botschafter zu unerwünschten Personen (was i.d.R. eine Ausweisung zur Folge hat, die aber noch weiterer formeller Vorgänge bedarf). Eine heftige Reaktion, die den Westen erstmal perplex ins Wochenende entlässt.

Nachdem weitere formelle Schritte ausgeblieben sind, entspannen die USA gestern mit einem Tweet (!) die Lage, indem sie erklären, an die Beachtung von Artikel 41 des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen festhalten zu wollen - dieser besagt, dass sich Diplomaten an die Gesetze und Vorschriften des aufnehmenden Landes halten und diese respektieren und sich nicht in die inneren Angelegenheiten einmischen. Der Tweet wird von den anderen neun Ländern retweetet.

[http://twitter.com/USEmbassyTurkey/status/1452616273796419588]

Auch wenn der Tweet auch anders verstanden werden kann, betrachtet sich die Türkei daraufhin als Sieger in der Angelegenheit und erklärt: Wir gehen davon aus, dass diese Botschafter, die ihre Verbundenheit gegenüber Artikel 41 des Wiener Übereinkommens zum Ausdruck gebracht haben, künftig vorsichtiger auftreten werden; dass sie die Souveränität der Türkei, ihre Gesetze und die Ordnung anderer Länder respektieren und sich nicht in innere Angelegenheiten einmischen werden.

Fazit: Keine Ausweisung der Botschafter, aber ein riesen Theater, dass IMHO den Westen in seiner Perplexität nach Erdogans Reaktion ziemlich alt hat aussehen lassen und innenpolitisch Erdogan als siegreichen Streiter für die Angelegenheiten der Türkei dastehen lässt, was ihm somit ein paar Wähler mehr für 2023 eingebracht haben dürfte. Und zu allem Überfluss dürfte Kavala, um den es hier eigentlich ging, nun noch härter als bisher von der türkischen Justiz angepackt werden.

Großartig. :(

Wundert mich, dass das hier noch kein Thema war...


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