Thema:
Lehrer am Gymnasium - JA! Aber sie kostet Kraft (lang) flat
Autor: Maio4c
Datum:09.10.21 14:08
Antwort auf:"Macht dir deine Arbeit Spaß?" von 677220

Ich bin 39, Lehrer an einem Gymnasium in Bayern und unterrichte seit 12 Jahren die Fächer Chemie und Biologie.

Und ja, ich muss gestehen, ich freue mich fast jeden einzelnen Tag auf meine Arbeit in der Schule. Klar gibt es ab und zu Stressspitzen (Abiturzeit, auch mal Stress mit Schülern und Eltern), aber es war definitiv die richtige Berufswahl für mich.

Das liegt zum einen an meinen Fächern. In Bio und Chemie macht man abseits des klassischen Unterrichts mit seinen Schülern Experimente, probiert neue Sachen aus, nutzt neue Medien (z.B. Simulationen), lädt externe Partner ein, macht jede Menge Exkursionen und begleitet Schüler durch Wettbewerbe. Dazu sind es einfach spannende und aktuelle Fächer, bei denen die Schüler von Genetik über „wie jagt eine Katze“, medizinische Themen bis hin zur E-Mobilität häufig sehr motiviert sind.

Dazu kann ich mir noch AGs nach meinem Geschmack aussuchen, die auf meine Unterrichtszeit angerechnet werden, wie z.B. "AG Aquarium", "AG Minecraft", "AG 3D-Drucker". Das passt total zu meinen Hobbys und macht gleich doppelt Spaß.

Zum anderen liegt es, glaub ich auch an meiner Einstellung. Ich kenne Lehrer, auch in meinen Fächern, die an dem System Schule, Leistungsdruck und vor allem auch an ihrem Anspruch an ihren Perfektionismus regelrecht zu Grunde gehen.

Ich war in meinem Studium sicher nicht der Jahrgangsbeste, habe fachlich solide abgeschnitten. Aber das alles zählt im normalen Schulbetrieb eher wenig (imo). Ich denke, es geht eher darum wie man den Stoff vermittelt, sei es die Didaktik aber auch das Zwischenmenschliche ist da entscheidend und man muss sich vom Wort „Perfektionismus“ verabschieden.

Bei mir wird in jeder Stunde gelacht, ich will auch meinen Spaß im und am Unterricht haben, für mich ist Unterricht tatsächlich eine Bühne, auf der ich gerne liefere. Ich mach Scherze, wir feixen rum, schaun auch schon mal ein paar Memes oder ein absurdes Youtube Video an. Dennoch muss man die Kurve bekommen, den Stoff zu vermitteln und immer über der Linie des sinnvollen und anspruchsvollen Unterrichts zu bleiben und nicht nur Klamauk zu machen. Das ist etwas, dass man nicht an Examensnoten oder durch Studium von Didaktik- oder Pädagogikliteratur hinbekommt.

Man muss sich auch ganz realistisch von der Einstellung verabschieden, dass man „jeden Schüler begeistert“, jeder Schüler Bock auf sein Fach hat und das jeder Schüler meinen Unterricht auch genießt und würdigt – wenn man das akzeptiert, gewinnt man Souveränität und Gelassenheit.

Mit dieser Einstellung bin ich bisher sehr gut gefahren, habe zig Jahrgänge sehr erfolgreich durch das Abitur gebracht und so habe ich mir in meiner Schule auch bereits eine Position erarbeitet, die mir Personalverantwortung, Verantwortung für ein Budget und viele Freiheiten ermöglicht. Auch die Beförderung auf eine A15 Stelle wird in den nächsten 5 bis 6 Jahren einfach automatisch erfolgen...was einfach sehr nett ist.

Trotzdem muss ich auch eingestehen, dass es vor allem in den letzten 4 Jahren deutlich härter und anspruchsvoller geworden ist. Die Aufgaben der Lehrkräfte wachsen mit jedem Schuljahr, das Stundendeputat bleibt aber gleich. Der Anspruch der Eltern, was Kommunikation betrifft, der Anspruch was „ein Lehrer gegenüber ihrem Kind zu leisten hat“ wird höher, der Druck von Schullleitung und Ministerium wächst ständig. Alles muss evaluiert, dokumentiert werden. Zig Projekte, teils wenig nachhaltig, zum Thema Inklusion, Digitalisierung etc... müssen auf Teufel komm raus durchgezogen werden...

Allgemein ist meine Beobachtung, dass der Frust steigt und ich merke auch, dass meine Stress-Tage mehr werden. Ich bin jetzt fast 40 und noch motiviert und gesund, da ist das Fell noch sehr dick und die Maschine läuft jeden Tag auf 100% – für viele Kollegen die älter sind, oder die mit Störfaktoren wie Krankheit, Scheidung o.ä. zu kämpfen haben, fällt das fragile Kartenhaus aber zusammen und sie leiden am Burnout, der so schnell nicht zu beheben ist...

Ein weiterer Faktor, die mir in meinem Job Zufriedenheit schenkt, ist die tolle Work-life Balance. Klar schränkt der Stundenplan die Tagesplanung (v.a. am Vormittag) ein, aber abseits davon kann ich mir meine Zeit frei einteilen. Ich bekomme fast täglich mit, wie meine Kinder von der Schule kommen, wir machen zusammen Hausaufgaben, ich begleite sie zum Schwimmkurs, Kindersport und bin jeden Abend da um sie ins Bett zu bringen. Dann muss ich mich halt mal am Wochenende, oder bis spät nachts hinsetzen, das nehme ich aber gerne in Kauf.

Dazu natürlich die viele gemeinsame Familienzeit in den Ferien und die Sicherheit, dass uns als Beamtenfamilie (meine Frau ist auch Lehrerin am Gymnaisum) Wirtschaftskrisen, Bankenkrisen oder Insolvenzen wohl nicht so stark treffen werden, wie andere Berufszweige.

Der einzige Wehrmutstropfen ist ab und an, dass finanziell die ganz großen Sprünge, wie sie in der freien Wirtschaft möglich sind, einfach niemals stattfinden werden, obowhl man tolle Leistungen erbringt. Aber das ist wirklich jammern auf sehr hohem Niveau, ich finde die Bezahlung sehr, sehr gut.

Das alles ist natürlich meine subjektive Meinung,
vielleicht gibt es ja noch mehr Lehrende hier, die eine ganze andere Meinung zu dem Beruf haben.


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