Thema:
Ampel ist die einzige für alle gesichtswahrende Option flat
Autor: deros
Datum:27.09.21 11:57
Antwort auf:Politik in Europa, Deutschland und Ländern - Teil XVIII von Pezking

Mein Hot-Take zum Mittag: Nur in der Ampel können alle an der Koalition beteiligten Parteien ihr Gesicht wahren.

Es wurde in den vergangenen Stunden gerne die These aufgestellt, dass die Grünen einer Jamaika-Koalition besonders viele Zugeständnisse heraushandeln könnten. In den Positionen und Lösungsansätzen der Grünen und der FDP gibt es allerdings wenig Überschneidungen, oft liegen die Interessen diametral. Ein Zugeständnis an die Grünen kommt daher fast immer auch eine Distanzierung von der FDP gleich und hier stellt sich mir die Frage: Wie weit könnte man den Grünen tatsächlich entgegenkommen, ohne dass die FPD auf die Barrikaden geht? Im Positionengeschacher wurde hier in der Nacht mehrmals angebracht, dass Habeck unter Jamaika Vizekanzler werden könne. Aber dass es als Zugeständnis gelten würde, dass die zweitstärkste Partei naheliegenderweise auch den Vizekanzler stellen dürfte, zeigt vor allem auf wie schlecht die Machtposition der Grünen in einer Jamaika-Koalition wäre. Es ist zudem kein Geheimnis, dass die Grünen und insbesondere Habeck besonders scharf auf das Finanzministerium sind - das wäre ein Entgegenkommen. Es ist jedoch fast unmöglich, dass die FPD/Lindner einer solchen Personalie zustimmen würden. Für die Grünen wäre eine solche Koalition zudem unglaublich schwierig der Wählerschaft zu verkaufen, der Vorwurf des Verrats würde ohrenbetäubend laut. Es ist fast egal wie viele klimapolitische Zugeständnisse die Grünen der Union und FDP entlocken könnten, die Wahrscheinlichkeit, dass die ihre Wählerschaft diese Zugeständnisse für glaubhaft hält, ist gering. Für den typischen Grünenwähler, der mit Schwarz/Grün liebäugelte, weil er Merkel ganz in Ordnung fand, aber Laschet nicht ausstehen kann und die FDP sowieso hasst, ist Jamaika unglaublich unattraktiv. Die Grünen würden neben Union und FDP ihr Gesicht verlieren.

Wenn Zugeständnisse für die Grünen auf Lasten der FDP gehen, stellt sich im gleichen Atemzug die Frage: Wie attraktiv ist diese Konstellation dann am Ende überhaupt noch für die FDP? Ich halte die Wahrscheinlichkeit für hoch, dass die Grünen unter einem roten Kanzler deutlich bereiter wären, Zugeständnisse an die FDP zu machen, da sie - selbst wenn das Ergebnis unterm Strich nicht besser ist - vor ihrer im Kern sehr SPD-nahen Wählerschaft mit Scholz keine Angst haben müssten, dass Gesicht zu verlieren. Die Bereitschaft für Zugeständnisse halte ich bei Laschet und Scholz dabei in allen Richtungen für gleichermaßen gegeben: Ohne Kanzlerschaft geht keiner von beiden als Gewinner nach Hause, beide sind da im selben verzweifelten Boot, dass sie gar nicht anders können als um die Gunst der potentiellen Koalitionspartner mit allen Mitteln zu buhlen. Ich halte hierbei die SPD auch für verzweifelter als die Union: Man darf nicht vergessen, dass die Partei bis vor zwei Monaten konstant bei 15% rumdümpelte. Sie waren die Lachnummer der Nation. Wenn sie sich die Hoffnung aufrecht erhalten wollen, das aktuelle Ergebnis halten zu können, müssen sie die Regierung stellen.  Ich halte die Oppositions-Gefahr für die Unionsparteien in der Hinsicht geringer: Während die SPD overperformte, hat die Union im Vergleich zu früheren Beliebtheitswerten underperformt. Die Chancen, dass sie sich mit einem beliebteren Kandidaten als Laschet direkt wieder spürbar erholen, sind hoch. Ergo hat die SPD in meinen Augen ein größeres Interesse der FPD zu gefallen als die Union den Grünen (hier frage ich mich auch, ob in den kommenden Tagen die Unions-Schreie lauter werden, die aufforden auf die Kanzlerschaft zu verzichten: hilft es der Union tatsächlich nun eine unbeliebte Personalie ins Kanzleramt zu hieven? Wäre es nicht vielleicht besser, Laschet fallen zu lassen und sich in der Opposition zu heilen? Ein Ende mit Schrecken statt Schrecken ohne Ende?). Scholz ist für FDP-Wähler auch bei Weitem nicht das Schreckensgespenst, dass Laschet für Grünenwähler ist. Also auch in der Hinsicht einfacher zu verkaufen.

Dazu kommt, dass sowohl FDP wie auch die Grünen im Wahlkampf stets heraufbeschwörten, dass dieses Land einen Aufbruch braucht. Wir seien am Scheideweg und es seien neue Impulse nötig, um die Risiken der Zukunft zu umschiffen und die Chancen zu ergreifen! Das klingt poetisch und schön. Lässt sich allerdings kaum glaubwürdig verkaufen, wenn die beiden Parteien ihre neugefundene Kraft und Aufbruchswillen dazu nutzen, den unglaublich unbeliebten Kanzlerkandidaten der Partei mit dem mit Abstand größten Wahl-Verlusten, der Partei die bereits 16 Jahre lang die Kanzlern stellte auf Brechen und Biegen ins Amt zu hieven. Das ist nicht mutig, das ist nicht disruptiv, das ist kein Aufbruch, das ist Aufrechterhalten des Status Quo.


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