Thema:
Pfui: Freewriter (Distractionless Writing Tool) flat
Autor: BOBELE
Datum:22.09.21 15:24
Antwort auf:Hui oder Pfui #95 von Bandit

Wer häufiger lange Texte schreiben muss, der kennt das Problem vielleicht: Man lässt sich nur allzu schnell von irgendwas ablenken, wenn man mit einem auch noch mit dem Internet verbundenen Computer schreibt. Mal schnell was zum Thema googlen, kurz auf die eingehende Mail klicken, vielleicht ein bisschen Musik dazu, oder doch lieber andere? Huch, Iron Maiden hat ein neues Album raus? Entweder man hat eiserne Disziplin, oder man muss sich technisch behelfen. Es gibt ja Apps für "Distractionless Writing", die das alles ausblenden sollen, aber funktionieren tut das nur so lala. Deshalb gibt es schon seit Jahren immer mal wieder Geräte, die genau das Problem adressieren. Elektronische Schreibmaschinen quasi, die zum seriellen Rauspumpen von Wörtern zwingen sollen, meist sogar ohne die Möglichkeit zum Editieren ausser vielleicht einer Backspace-Taste, damit man sich nicht auch noch wegen dem Drang, dauernd was an dem schon Geschriebenen verbessern zu wollen, aus dem Schreibfluß bringt. Manche Leute brauchen sowas. Ich zum Beispiel.

Eben darum erfasse ich schon seit Jahren (im Grunde seit 35 Jahren) Texte auf einem TRS 80 Model 100. Ich habe immer wieder mal was anderes versucht... iPad mit Tastatur-Cover, Surface Go, Chromebook. Alles viel besser handhabbare Hardware, aber das fuktioniert einfach für mich nicht. Ich bin immer wieder zu dem alten Klumpen zurückgekommen. Und vermutlich würde ich den auch heute noch benutzen wollen, würden nicht nach 35 Jahren nun die Tasten anfangen zu prellen und ich selber auch die Geduld damit verlieren, immer umständlich meine Texte über ein Nullmodemkabel und die eingebaute Terminalsoftware an einen eigens dafür vorgehaltenen Uraltrechner mit serieller Schnittstelle zu übertragen und dann im Word mit Makros die Umlaute gerade zu ziehen. Ganz davon abgesehen, dass das Teil ein verdammter Flugzeugträger ist. Und in einer Bahn voller Leute mit Macbooks wird man angestarrt wie ein rosa Elefant, wenn man auf diesem vergilbten Klickidiklack-Bastard zu tippen anfängt.

Ich brauchte also eine neue Hardware und eigentlich gibts da nur den Freewrite Traveler im Moment (es gibt noch einen großen Bruder, aber der ist eigentlich nie wirklich verfügbar). Und jetzt fängt das Pfui an:

Einige Mankos waren mir vorher bekannt. So vertreibt der Hersteller das Gerät zwar weltweit und es lassen sich auch internationale Keyboard-Layouts einstellen, aber die Hardware selber gibt es ausschließlich mit einer US-Tastatur. Für Blindschreiber wie mich ist das kein wirkliches Problem, wegen mir könnten die auf bedruckte Tasten komplett verzichten. Auch das nur langsame reagierenden E-Ink Display war mir bekannt. Bei Schnellschreibern wie mir ist das dann gerne schon mal ein paar Worte zurück. Und natürlich war mich auch der völlig irrationale Preis von 450 Euro bewusst, der hier für Hardware aufgerufen wird, die vermutlich in der Herstellung keine 30 Euro kostet. Aber es ist eben ein extremes Nischenprodukt, da ist das wohl einfach so.

Es gibt allerdings so ein paar Details, die sind dermaßen bescheuert und erinnern mich an die Gameindustrie, da musste ich mich ein paar mal versichern, das nicht falsch verstanden zu haben. Nochmal zur Erinnerung: Es ist ne Tastatur mit eingebautem E-Ink Display, auf dem man Texte erfassen und speichern kann. Die einzige weitere Funktion ist ein automatischer Sync der Texte per WLAN auf einen Server des Herstellers oder auf Dropbox und ein paar andere Anbieter.

Und das Gerät hat einen ONLINEZWANG!!

Also natürlich nicht während des Schreibens, und tatächlich noch nicht mal zum abziehen der Texte, was auch über USB funktioniert. Aber man kann keinerlei Einstellungen auf dem Gerät selber vornehmen. Zum Beispiele Zeit und Datum, oder die Schriftgröße, oder die Sprache und damit das Tastaturlayout. Für alle das muss man ein Konto auf dem Server des Herstellers anlegen, auf der entsprechenden Webseite die gewünschten Einstellungen vornehmen und bei der nächsten Synchronisation werden die dann auf dem Gerät gespielt. Unterwegs ohne WLAN mal eben die Schriftgröße ändern ist also nicht möglich. Wie bescheuert ist das denn?

Und wenn man jetzt die nicht unerhebliche Wahrscheinlichkeit, dass der Hersteller von solch extremen Nischenprodukten mit albern hohen Preisen irgendwann demnächst mal die Geschäftstätigkeit und damit den Betrieb seiner Server einstellen muss, in Betracht zieht, dann kann man sich ausmalen, dass das Teil in Kürze auch ohne jeden Hardwaredefekt zum unbrauchbaren Türstopper wird. Wer denkt sich denn so einen Schwachsinn aus?

Jetzt sitze ich also hier, mit einem Gerät, dass eigentlich genau das macht, was ich brauche und gerne hätte, und überlege, ob ich das zurückschicken muss, weil 450 Euro zwar für eine Investition in lange Nutzung so gerade noch vertretbar sind, für totgeweihten Technikrümpel aber nicht. Argh.

Hat irgendjemand hier, der vielleicht mit Schreiben seinen Lebensunterhalt verdient, irgendeins der Freewrite-Geräte in Benutzung und sich darüber schon mal Gedanken gemacht?


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