Thema:
Re:Pfui: Familie flat
Autor: token
Datum:09.08.21 10:12
Antwort auf:Pfui: Familie von Bomber

Erstmal wünsch ich dir dass der ganze Vorfall deinen Gedankenhaushalt nicht in Geiselhaft nimmt. Dort wartet nämlich weder ein Erkenntnisgewinn noch irgendeine Redemption. Zwar kann es durchaus helfen mal Dampf abzulassen mit Schimpfereien, aber oftmals ist da wo der Druckablass winkt am Ende des Tages nur ein Rührstab der alles wieder aufwirbelt.

Das worum es jetzt _einzig und allein_ gehen sollte, seid ihr selbst und wie es möglich ist euch in so einer emotionalen Müllhalde dennoch kurzfristig noch was Gutes zu tun. Der ganze Rest kann auf den Speicher und dort erstmal warten, das läuft nicht weg. Den Gefallen tun einem solche Probleme nie.

Davon ab ein gut gemeinter Ratschlag. Von dem was du hier äußerst scheinen vermeintlich gewisse Charakterzüge durch die mir bekannt vorkommen. Hilferufe vom Körper, Unfähigkeit Arbeit zum Privatraum abzugrenzen, ein persönliches Überschuften, sich selbst immer hinten anstellen, es anderen Recht machen und eigene Interessen dann flexibel eingliedern statt sich eigene Wünsche transparent zu machen und dann Grenzen zu setzen, sprich, sich die Räume die man braucht aktiv zu schaffen statt sich immer nur einzuschlüpfen.

Da wo das Stechen in der Brust herkommt warten noch andere Überraschungen, und das Stechen in der Brust ist nicht harmlos sondern SCHLIMM. Nein, das geht nicht schon, und nein, ein wenig Schonung allein wird die Grundsatzprobleme wo das herkommt erstmal nicht lösen, sondern bestenfalls temporär mildern. Wenn überhaupt.

Auch wenn du es nicht hören willst, aber die ganze Unternehmung war von ihrem Verlauf bescheuert. Du sagst, ich bin durch, ich brauche Urlaub.
Also was ist der Plan? Was willst du? Was willst DU?
In Ruhe das noch ziemlich frische Familienleben genießen?
Dann haben da die Schwiegereltern nix zu suchen, die sind erwachsen, die sollen sich um sich selber kümmern und können das auch. Oder sind sie pflegebedürftig? Die haben selbst Kinder großgezogen und bis heute irgendwie überlebt. Wenn die ihren Krempel nicht auf Kette kriegen ist das erstmal nicht dein sondern ihr Problem, wenn du selbst gerade auf dem Zahnfleisch läufst.

Oder willst du einen Mischurlaub aus Familienzeit aber mit der Option normal auszugehen, also quasi stets verfügbare Babysitter einpacken? Dann mach klare Ansagen, Großeltern nehmen die Rolle in der Regel an, euch kennen sie, ihr seid langweilig! Die haben normalerweise Bock auf Baby, und zwar auch gerne so dass ihnen Eltern dabei nicht dauernd reinfunken mit ihren eigenen Regeln und sie ständig beobachten.

Oder willst du mal von allem für zwei Wochen weg. Wieder frei und losgelöst Unternehmungen machen, mal gemeinsam durchschnaufen und vielleicht auch wieder mehr bumsen? Dann das Baby bei den Schwiegereltern parken, und mit deiner Lady alleine abzischen.

Aber so eine Dynamik? Was ist da denn der Plan? Es gibt keinen Plan, denn wenn es einen gibt passiert sowas nicht.
Mit so einem Verhalten ist man ein Stück Treibholz, und die Interessen der anderen sind die Wellen. Da wirst du halt irgendwo angespült, und mit Glück irgendwo wo du dich eingerenkt bekommst, aber sehr viel wahrscheinlicher ist dass du halt "irgendwo" landest, wo du gar nicht hin wolltest. Was soll sowas? Eigenes wellbeing darf keine Glückssache sein, sei selbst die Welle.

Du bist nicht Schuld daran dass andere Menschen eben nicht "mitdenken", aber du breitest so einer Dynamik den roten Teppich aus, du lässt ein Stück weit zu dass sowas überhaupt geschehen kann, und dafür bist dann durchaus selbst verantwortlich, weil das "nicht zulassen", das nimmt dir keine höhere Macht oder der Zufall ab, das hast nur du selbst in der Hand, und da muss man auch aktiv sein, und nicht passiv.

Und ist alles fucking viel und die körperlichen Zipperlein gehen los, das, da spreche ich aus leidlicher Erfahrung, ist nur die Spitze des Scheißbergs und schon längst Alarmstufe dunkelgelb bis rot. Redest du mit deiner Frau darüber wie du dich fühlst? Fragst um Hilfe? Bindest sie mit ein? Delegierst du Aufgaben und trittst diese teilweise vollständig ab? Oder bist du der Kümmerer der die Familie managt?

Falls letzteres, überleg mal wie du dich bei vertauschten Rollen fühlen würdest. Was würdest du dir denken wenn deine Frau um dich zu schützen sich selbst viel zu viel aufhalst und dich nicht einbindet und nicht darüber redet sondern gute Miene zum bösen Spiel macht? Wäre das ein Bärendienst? Wärest du vielleicht sauer weil sie nicht mit dir redet, weil sie meint, sie müsse für dich mitdenken?

Familie ist Team, sich voreinander zu öffnen schafft nur noch mehr Nähe und Vertrauen, schweißt zusammen. Alles nur immer mit sich selbst auszumachen schafft Distanz, schadet einem selbst, und ist auch hochgradig unfair dem Partner gegenüber der einen liebt und für einen da sein möchte. Und man lässt sowas nicht zu, weil man denkt, ach, das ist mein Bier. Das ist nicht altruistisch, es ist dumm. Das ist kein Schützen, das ist ein Ausschließen. Auch dieser Mensch ist erwachsen, im Team ist man füreinander verantwortlich, das ist keine Einbahnstraße, und so ein Wunsch wie "lass mich mit deinem Scheiß in Ruhe" ist in der Regel nie kommuniziert worden und markiert in der Regel das Gegenteil von dem was sich ein Partner wünscht. Wenn die Batterie in der Karre schlapp macht kannst du nicht gleichzeitig anschieben und den Motor starten.

Whatever, Fernpsychologie ist immer so eine Sache, aber das sind keine Muster die man irgendwie exklusiv hätte sondern Fließbandbetrieb in Therapiepraxen.
Und ich schreib es nur offen, weil ich denke, hätte ich das was ich heute verstehe schon damals für mich verstehen können, dann wären viele dann daraus erwachsende Dynamiken wahrscheinlich gar nicht passiert. Als ich es kapiert habe, war es dafür zu spät. Und das Leben hat keine Rückspultaste, nicht alles was zerbricht lässt sich wieder zusammen kleben. Ich hielt mich lange für superschlau und war komplett betriebsblind für die eigene Trotteligkeit.
Wer sich in sowas auch nur ansatzweise wiederfindet ist imo gut beraten einen anderen Weg einzuschlagen, denn diese Abzweigung liegt auch nicht ewig vor einem, irgendwann ist man dran vorbei, und wie gesagt, das Leben hat keinen Rückwärtsgang.  

Euch jedenfalls alles Gute, krieg das alles bitte nicht in den falschen Hals, der Text geht auch nicht nur in deine Richtung, sonst käme er als pm. Ich denke einfach, das sind keine exotischen Verhaltensmuster sondern recht typische Probleme die man in unserem Alter häufiger mal hat, und wenn man die hat, dann kann ein kleiner Denkanstoß nicht schaden. Ob man sowas für sich annimmt oder komplett anders sieht, ist ja jedem selbst überlassen.


< antworten >