Thema:
Re:Wissenschaft oder Wettergott - Rationaler Klimaschutz flat
Autor: Telemesse
Datum:26.07.21 17:27
Antwort auf:Re:Wissenschaft oder Wettergott - Rationaler Klimaschutz von token

>Mal vorweg zur Person.
>Ich kann nicht feststellen dass sich da jemand Sachen aus dem Hintern zieht, aber würde den Herrn Professor von der Credibility auf Augenhöhe mit intelligenten und gut recherchierenden Kolumnenschreibern sehen.
>Das liegt an der schieren Bandbreite seiner Analysen, als Youtube-Professor ist er halt Experte für Alles, als Experte für Alles fehlt aber einfach naturgemäß auch die Expertise, und zwar in Allem ;)
>Diese Vogelperspektiven die dann mit starken Vereinfachungen arbeiten oder sich andere Blickwinkel aufsetzen sind dennoch wichtig. Dennoch fällt mir auf dass die Modelle hinsichtlich Vereinfachung auf reine Gerippe verkürzt werden, und vorangestellte Prämissen oftmals eher zweifelhaft sind.
>

Ich habe nicht den Eindruck als ob er sich als Experte in Sachfragen darstellt. Es geht letztendlich um zu erwartende Verhaltensweisen national als auch international unter prognostizierten Szenarien. Und da geht es eher um die ankommende Kernbotschaft, wie diese aufgenommen wird und was diese für Reaktionen hervorruft. Es ist also vielmehr eine psychologische Analyse als eine detaillierte Sachdiskussion.

>Ich will jetzt nicht auf noch andere Videos von dem Herrn eingehen, aber mal ein konkretes Fallbeispiel.
>
>Verkürzte zusammengefasst zu Punkt 1:
>Wir müssen mit der Kriegsrhetorik aufhören, gesellschaftliche Abwehrhaltungen gegen wissenschaftliche Belege speisen sich auch aus hysterischen Drohszenarien, ein Deadlock im Projekt Klimaschutz mit zerfahrenen Gräben ist also direkte Konsequenz und somit auch Teilschuld des aktivistischen Vorgehens, speziell in seiner bestehenden rhetorischen Form.
>
>Ist dem so?
>Nun, das können wir tatsächlich backtesten, denn das Projekt Klimaschutz ohne Kriegsrhetorik ist kein hypotethisches Szenario sondern ein äußerst konkretes, nämlich die Geister unserer Vergangenheit.
>Schauen wir darauf lässt sich jedoch kaum feststellen dass der nüchterne Umgang mit der Problematik zu mehr Konstruktivität geführt hätte, sondern sich lediglich in Handlungsarmut, Kleinreden und Stillstand entlud.
>
>Das akut größte Problem ist nicht dass wir nicht wüssten wie wir konsequenten Klimaschutz betreiben könnten, die Lösungen sind seit Jahrzehnten bekannt, genau wie die hierfür erforderlichen Technologien, die sind ja allesamt nicht neu. Sondern dass die Verschleppung den zeitlichen Umsetzungsrahmen derart abgeschnürt hat, dass ein moderater Fahrplan nicht ausreicht um den notwendigen Umfang der Maßnahmen zu gewährleisten.
>
>Heißt, diese Grube in der wir sitzen haben wir uns als Gesellschaft selbst geschaufelt. Wir haben sie genau in dem Rahmen geschaufelt der hier als das was als zielführend benannt wird, bestehendes Vorgehensmodell war.
>Wenn ich Annahme für die Zukunft aufsetze, dann kann ich das natürlich tun und auch sauber verargumentieren. Die Argumentation arbeitet auch wieder Annahmen, und wenn ich für so ein Szenario kein Vergleichsszenario habe, dann ist das okay so. Habe ich jedoch faktische Vergleichsszenarien die der Projektion widersprechen, hab ich eine kaputte Prämisse und alles was auf dieser aufsetzt wird obsolet.
>
>Das ist nur ein Punkt von vielen.
>Natürlich haben wir hier ein Projekt bislang unbekanntes Ausmaßes. Die Herausforderung ist riesig, das ist größer als ein Gesellschaftsprojekt, größer als ein Generationenprojekt, es ist ein Zivilisationsprojekt der gesamten Spezies Mensch. Natürlich ist das Hardcore, natürlich erfordert das einen Konsens, einen anderen Umgang mit Differenzen als wir ihn aktuell pflegen und sehr vieles mehr. Und zu diesem mehr gehört auch sich nicht weiter in die Tasche zu lügen und den Zeitfaktor anzuerkennen wozu auch gehört anzuerkennen dass bisherige Innovationsmetamorphosen wo das Neue das Alte abtreibt nicht mehr zielführend sind, da man Fick, Schwangerschaft, Geburt und Abtreibung parallel vorantreiben muss, wenn man seine Ziele erreichen möchte.
>Und wo man anerkennen muss, dass Innovation allein nicht ausreicht, also eine Konservierung von Komfortzuständen bis zur Konsolidierung nicht möglich ist, sondern dass es auch einen temporären Rückbau von Komfortzuständen einfordert weil die Uhr tickt und nicht mit sich verhandeln lässt.
>

Das Aktivisten schreien müssen um gehört zu werden ist klar. Ebenso ist aber auch klar das von dieser Seite eben immer vom worst case Szenario ausgegangen wird und Maximalforderungen aufgestellt werden unabhängig eines Realitätschecks auf Umsetzung. Das ist aber eben auch legitim. Denn wer 100 erreichen will muss 130 fordern um notwendige Kompromisse eingehen zu können.
Die Umsetzung liegt aber bei der Politik. Da muss eben ein Konsens aus Erfordernissen, Möglichkeiten und Zeitdauern gefunden werden; und egal wer und wo auf der Welt gewählt wird, dieser Konsens wird niemals im Bereich der Maximalforderungen liegen. Genausowenig wie es nur einen einzigen, angeblich alternativlosen Weg geben wird. Nichts ist alternativlos und es wird vielfältige Ansätze geben; Und eines ist auch klar. Es wird weiterhin Katastrophen geben müssen um Maßnahmen zu beschleunigen. Je mehr in China absäuft umso schneller wird man handeln und je mehr in USA oder Australien der Busch brennt umso mehr wird dort passieren.

>Und zuletzt muss man anerkennen dass bestehende Machtgefüge aus niederen Motiven (Gier) gegen diese Prozesse wirken, seien es Wirtschaftsmächte aber eben auch Populisten wie Bolsonaro oder Trump, die gerade jetzt wo es noch geht den Menschen das erzählen was sie hören wollen, damit erfolgreich sind, und so noch schnell die letzten Fitzelchen an Raubbau auf Kosten der Gesellschaft betreiben möchten um sich und andere Nutznießer zu bereichern solange das so noch geht, das Kosten die der Spezies entstehen nicht den Verursachern in Rechnung gestellt werden, und diese so richtig dick absahnen können, weil die Schäden daraus zahlt ein anderer.
>

Die gesamte Welt ist in solchen Machtgefügen aufgeteilt. Das muss man nicht gut finden aber man sollte es vielleicht zur Kenntnis nehmen und es wäre imo völlig absurd zu glauben das sich daran irgendwann mal generell etwas ändern wird. Russland, China, Afrika, Indien, USA. Diese Länder sehe ich jetzt nicht so an als ob die sich die Rettung der Welt ganz oben auf die Agenda geschrieben haben. Da gehts es in erster Linie um Sicherung des eigenen nationalen oder internationalen Machtanspruches . Insofern finde ich die These von Rieck recht interessant das grüne Technologien auch zur persönlichen Bereicherung taugen müssen. D.h. es muss attraktiver sein in Afrika Solarenergiegewinnung zu betreiben als Kohle aus der Erde zu schaufeln.

>Da kann man so klug daher reden wie man möchte, schaut man zurück kann man feststellen dass erst ein sich zunehmend verschärfernder Aktivismus das gesellschaftliche Problembewusstsein erzeugte, etwas was Jahrzehnte nüchterner Diplomatie nicht auf den Weg bringen konnten. Und dieser auch in der Politik Wirkungsimpulse gesetzt hat die vorher ausblieben.
>
Absolut. Von der Politik erwarte ich dennoch agieren mit Ratio und keinen blinden Aktionismus. Da kann man dann zumindest mal darüber nachdenken ob der überhastete Atomausstieg für  Decarbonisierung der Energiegewinnung nicht ein großer Stolperstein war/ist.

>Und dass der dysfunktionale gesellschaftliche Diskurs nicht der Sache in die Karten spielt, sondern der Schindluderei. Und genau darum haben eben diese Fraktionen die Destabilsierung von Diskurs entsprechend professionalisiert und sind in Sachen Grabenkämpfe das Hauptproblem, weil sie es gezielt und gut organisiert befördern. Dass sich Aktivisten auf dieses Affentheater einlassen und in die gleichen Hörner blasen, verschärft das Problem und ist ein Bärendienst, es ist aber nicht die Quelle der Problematik. Und dort wo ein Problem nicht herkommt, da findet man auch kein Lösungsangebot für das Problem.
>
>Tatsächlich sehe ich auch keinerlei Lösungsangebot für das Problem, solange man sich weiter in die Tasche lügt und des Pudels Kern weiter ausblendet.
>Welcher ist:
>Dieses Projekt hat ein Budget. Kein finanzielles sondern ein natürliches, nämlich nicht "was muss ich investieren" sondern "was kann ich noch verfeuern".
>Und die aktuellen Vorgehensmodelle brauchen dieses Budget um ein vielfaches auf. Sie werden also nicht gelingen, wenn man nicht das Vorgehensmodell justiert. Da es aber ein natürliches Budget ist, kann man dieses Projekt nach dem Scheitern eben nicht verlängern und vom Budget aufstocken. Scheitern heißt Scheitern und Punkt.
>
>Wenn Scheitern keine Option ist, müssen wir aufhören von Innovationen zu träumen, den status quo nehmen, Arschbacken zusammen kneifen und das tun was notwendig ist. Oder wir machen jetzt halt weiter so Alibigezeter, ficken uns selbst, ficken unsere Kinder, ficken die Kinder unserer Kinder, deren Kinder, deren Kinder, deren Kinder, deren Kinder...
>Es ist komplett Wuppe woher die Prognosen kommen, Wissenschaftler, Umweltschützer, Humanaktivisten oder Wirtschaftsforum, die Drohszenarien sind echt, belegt und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zutreffend, die einzige Konstante bei diesen Prognosen ist dass man mit jedem Jahr wo man sich der Eskalation nähert nur feststellt dass man eigentlich noch zu optimistisch war und die Szenarien sukzessive verschärft. Und das was heute schon bekannt ist, ist mit dem Wort Katastrophe noch schmeichelhaft umschrieben.


Wir sind aber nicht das Maß der Dinge und auch nicht der Mittelpunkt der Welt. Wir können hier die Arschbacken zusammenkneifen wie wir wollen ohne das es irgend etwas bringt wenn man nicht parallel einen international praktikablen Fahrplan auf den Weg bringt. Und ich bin fest davon überzeugt das uns ohne Innovation ohnehin die Scheisse um die Ohren fliegt. Innovation heißt dabei sowohl in Energetischer Hinsicht (Erzeugung, Verteilung, Speicherung) als auch in infrastruktureller und baulicher Hinsicht was heißt lernen mit sich ändernden Bedingungen umzugehen.

Edit: Danke übrigens für deinen Beitrag. Ich finde diesen sehr interessant und konstruktiv.


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