Thema:
Re:scheint Dir ja eine Herzensangelegenheit flat
Autor: token
Datum:21.07.21 13:10
Antwort auf:Re:scheint Dir ja eine Herzensangelegenheit von Pezking

>>Aktuell spaltet es, sorgt für Streß und Anfeindungen und die überwältigende Mehrheit hat keinen Bock drauf.
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>Aber hat sie das wirklich?
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>Wir haben hier Leser, die sich gerne über jeden Pups aufregen und wegen einzelnen Rechtschreibfehlern in der Zeitung extra Montagfrüh im Verlag anrufen. Und der Altersschnitt unserer Abonnenten liegt überdeutlich im Boomer-Bereich und darüber.
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Wie die Gesellschaft tickt kann ich nicht beurteilen, aber sehe schon dass das Thema durchaus auch in den privaten Wahrnehmungsraum schwappt.
Da wäre meine Tochter, 13, und bedient alle Klischees des Gendernazis.
Das muss ich hier tatsächlich erziehungstechnisch abkochen und in vernünftige Bahnen lenken. Und das gelingt auch sukzessive. Ist halt ein Kind, erste Berührungspunkte mit Politthemen, und wie für Kinder nicht untypisch bei allem was sie macht immer ein wenig too much, egal ob es Schule oder Hobbies sind, oder solche ersten Gehversuche beim eigenen politischen Profil und der Reflektion von Politthemen aus ihrer Umwelt.

Auf der anderen Seite ERWACHSENE die sich dann genauso benehmen, nur mit umgedrehten Vorzeichen bei der Haltung. Aber auch da, keinerlei Fahrgefühl für sowas wie Augenmaß. Trennung von Sachverhalt und Personen die für sowas einstehen oder dem entgegenstehen nicht vorhanden, es ist immer Krieg und dabei gibt es nur zwei Gruppen von Soldaten. Was die Meinung bestätigt wird rausgefischt, was dieser widerspricht ausgeblendet und die eigene Haltung emotional immer weiter und weiter hochgeschaukelt, kombiniert mit über Kreuz wichsen bei den vermeintlich Gleichgesinnten.

Auch geil, kleine Anekdote von der letzten Betriebsversammlung. Dreistellige Anzahl an Teilnehmern. Vorstände schildern die Lage, hartes Jahr, extrem viel los, sowohl was die Situation des Unternehmens anbelangt als auch was das für die Mitarbeiter bedeuten wird, Stichwort Stellenabbau. Dann ist die Vorstellung vorbei und Mitarbeiter können Fragen stellen. Und was ist die erste Wortmeldung als es in die Fragerunde geht? Ein Typ der sich wirklich aufgebracht darüber auslässt dass im Intranet gegendert wird. Hinter dem Rant auch so aufgebrachte Fragen wo das "alles noch hinführen soll?!!11". Ob er dann in Bälde Abnahmungen bekäme wenn er bei seinem persönlichen Mailverkehr im Unternehmen nicht gendern würde.
Komplett durchgescheppert.
Da packst du dir an den Kopf welchen Stellenwert so ein Thema im Kopf von jemanden hat, wie er sich in komplett hanebüchene Drohszenarien reinsteigert und meint mit sowas in so einem Kontext vor die versammelte Mannschaft treten zu müssen.
Der Vorstand hat das natürlich gerne und ausladend aufgegriffen, ist ja schon komfortabel die begrenzte Zeit in sowas zu tanken statt sich mit wirklich unbequemen Fragen und echten Problemen beschäftigen zu müssen

Wo sind die Eltern die diese Menschen erziehen und ihren Restverstand reaktivieren? Nee, da ist Hopfen und Malz verloren und diese bekloppten Grabenkämpfe wohl fortan stetiger Begleiter eines jeden Diskurses mit Konfliktpotenzialen. Wie da ein Dialog enstehen soll? Gar nicht.
Zwei Flanken schreien sich an während man nur noch kopfschüttelnd dazwischen hockt. Und in sich hineinweit und sich fragt wann genau alle verrückt geworden sind und verlernt haben sich mit Verstand und Argumenten um Sachpunkte zu streiten statt für jeden Pups schon im Aufsatzpunkt komplett zerfahrene Konflikte anzuzetteln und dann an dieser Müllhalde un-er-müd-lich rumzuzündeln.

Zum eigentlichen Thema.
Ich bin selbst jemand der einen gewissen Wert auf guten Sprachklang und Lesbarkeit setzt. Die Standardregelung in der deutschen Sprache ist imo ein Alptraum für offizielle Schreiben. Da braucht mir echt niemand was von "Musikalität" erzählen. Solche Schreiben musste ich in meiner beruflichen Anfangszeit des öfteren verfassen mit großen Verteilern. Da ging es unter anderem um Prozessbeschreibungen mit mehreren Gruppen die eigene Bezeichnungen haben, und wie die ineinander greifen.

Gendern und Emanzipation war für mich da kein Thema, sehr wohl jedoch simple Höflichkeit in der Formulierung, die nach "Sehr geehrte Damen und Herren" in meinen Augen nicht erledigt war, weil dann brauche ich auch keine "Damen und Herren" wenn es eh egal ist.

Was ich da rumfunzeln musste um sowas einzufangen, "x und y" beim Ausschreiben zu nutzen hat nix mit Wohlklang zu tun, es ist ein einziger Schmerz im Arsch der dir jeden Satz zerstört wenn du da mal gleich zwei unterschiedliche Gruppen oder gar drei unterbringen musst, weil du präzise einen gezwiebelten Prozess beschreiben willst und es dabei darum geht welche Rolle gerade gemeint ist.
Allein eine Gruppenmischung in einem Satz? Alter!
Aber es ist nicht nur die Mischung sondern auch die häufige Wiederholung solcher klobigen Bausteine die alles aufblähen.

Das in ein lesbares Format zu bringen war immer ein Gefrickel, dann halt umgekehrt, statt zu schreiben ReiterInnen haben ans Möhrchen für's Pferd zu denken, die kontextuelle Brücke mit "Wer auf einem Pferd sitzt hat ans Möhrchen zu denken" usw. usf. bis das halbwegs passt und sich nicht liest wie Scheiße vom Arsch. Gestaltungsräume werden dabei abgeschnürt, Präzision geht verloren, statt klarer Formulierungen von hinten durch die Brust ins Auge um Texte aufzulockern. Und alles nur weil ein verfickter neutraler Sammelbegriff fehlt.
Daran ist nichts elegant, wohlklingend oder schön, das ist einfach eine Lücke im System die man meinethalben schon allein aus Liebe zur Sprache füllen sollte.

Wie, darüber lässt sich vortrefflich streiten. Was klar ist, alles was anders ist, ist intuitiv erstmal Scheiße. Sieht komisch aus, klingt komisch.
DAS IST NORMAL beim Gewohnheitstier Mensch. Egal ob das ein neues Wort oder ein neues Firmenlogo oder eine neue Frisur ist. Gewöhnung und gut ist.
Ich selbst halte nichts von Doppelpunkten, der eingestreute Großbuchstabe ist imo besser. Und diese Vorstöße mit Fantasiesprachen die statt der formalen Vereinheitlichung nur noch weiter fragmentieren sind auch für mich totale Geisterfahrer die nichts verstanden haben. Nämlich dass es bei Gleichbehandlung und Inklusion nicht um explizite Herausstellungen geht und das Bewusstsein für diese Vielfalt und ihre Sprossen eine komplett andere Baustelle ist. Und wo man sich fragt wie viele Buchstaben man noch an LGBT dranflanschen muss bis sie von selbst drauf kommen dass ein Anschreiben in dem die Anrede schon ein Dostojewski ist nicht Sinn der Übung ist und Inklusion im allgemeinen Sprachgebrauch möglichst einfach sein muss, und keine Wissenschaft für sich.

Aber bei solchen Strömungen bin ich entspannt weil ich nicht sehe wie sich sowas durchsetzen soll, weil es _offensichtlich_ keine zu irgendwas kompatiblen Lösungsangebote hat die zielführend sind. Natürlich kann man sich mit Bluthochdruck an genau solchen Ausläufern notorisch abarbeiten.

Naja, meine Tochter bekomme ich mit paar Impulsen noch in geordnete Bahnen gelenkt und muss dabei in erster Linie schauen dass sie sich von dieser hysterischen Stimmung nicht weiter anstecken lässt, denn da kommt dieser Fanatismus bei der Haltung IMO her. Das ist das was ihr unsere Gesellschaft gerade bei bringt, dass man so mit Konflikten umgeht. Denn aus ihr selbst heraus kommt das wohl kaum, das ist einfach das was abfärbt, und die heutigen Konfliktformate die einfach nur noch Trollinggefechte sind halte ich für ein gravierendes Problem wo unsere Gesellschaften mal dringend wieder zu sich finden müssten wenn sie in Zukunft auch ohne "Führer" der sagt wie es ist und SCHNAUZE, noch irgendwas auf Kette kriegen wollen. Aber ganz ehrlich, dass das noch passiert, da habe ich alle Hoffnungen fahren lassen.

Sollen sich doch alle auf dem Feld treffen und das auf die altmodische Art klären, ich hau derweil Bezos an ob er für seinen nächsten Weltraumflug noch ein freies Plätzchen hat, da draußen ist wenigstens Ruhe.

tl;dr:
Ich hasse Menschen.


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