Thema:
"Es steht nicht im Duden, also ist es falsch" flat
Autor: Faerun
Datum:19.06.21 22:31
Antwort auf:Boris-Schneider Johne - OMYAC von Pascal Parvex

Man kann zum Gendern sicherlich stehen, wie man möchte, aber ein Eintrag im Duden macht einen Ausdruck weder automatisch falsch noch richtig und zeugt meines Erachtens von einer sehr eindimensionalen Sicht auf Sprache.

Wörterbücher können theoretisch präskriptiv (d.h. sie machen harte Vorschriften und präservieren Sprache) und/oder deskriptiv sein (sie spiegeln den zeitgenössischen Wortschatz wieder). Wenn ihr in der Schule ein Diktat schreibt oder eine Pressemeldung veröffentlicht, dann erfüllt der Duden sicherlich eine verordnende Rolle. Man kann "Fehler" machen (Fehler = Abweichung vom Duden), die eventuell peinlich oder unangenehm sein können, weil man vom vereinbarten Standard abweicht und evtl. z.B. einen Mangel an Professionalität signalisiert.

Insgesamt allerdings sind Wörterbücher ganz klar auch (und meiner Ansicht nach hauptsächlich) deskriptiv (denn wie kommt dieser "vereinbarte Standard" zustande?). Sie verändern sich zunehmend, sowohl im Deutschen als auch im Englischen und womöglich in allen anderen Sprachen auch. Ein bekanntes Beispiel ist das wort literally, welches in den letzten Jahren "fälschlicherweise" anstelle von figuratively genutzt wurde. Dies hat sich derartig im Sprachgebrauch etabliert, dass Merriam Webster die umgangssprachliche Benutzung des Wortes in die Definition von literally aufnahm:

[https://www.merriam-webster.com/words-at-play/misuse-of-literally]

Von heute auf morgen wurde also die falsche Benutzung von literally korrekt. Es gibt sicherlich auch deutsche Beispiele, aber das Beispiel verdeutlich sehr leicht, wie Wörterbücher funktionieren. Wenn Boris sich über eine nicht-Duden-konforme Benutzung des Genderns beschwert, würde er jenes auch tun, wenn sich das Gendern im Sprachgebrauch etabliert und im Duden aufgenommen wird? Oder würde er argumentieren, dass der Duden damit einen Fehler gemacht hat? Either way, er müsste zugeben, dass für seine Einstellung die Duden-Konformität egal ist und ihn offensichtlich etwas anderes am Gendern stört.


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