Thema:
Re:Ein Versuch einer Antwort flat
Autor: Bullitt
Datum:27.05.21 14:59
Antwort auf:Ein Versuch einer Antwort von Nightmaro

Grundsätzlich schöner Beitrag von Dir, der Vieles anspricht und vielleicht auch in den alten Bundesländern den einen oder anderen interessierten Leser findet.
Vor allem den Schluss kann ich nur unterstützen:
>Jetzt zu sagen: "Ich fahre nicht in den Osten" kommt zu kurz. Eigentlich müßte man einfach mal in den Osten fahren und sich die Situation ansehen und mit den Menschen sprechen und dann dafür eine realistischen Aufbau-Ost-Plan schmieden. Aber solange man unter sich bleibt und den Osten abtut, wird sich nichts ändern an den katastrophalen und beängstigenden Wahlergebnissen im Osten.

Wichtig ist, sich auf Augenhöhe zu begegnen, dann fallen auch die Vorurteile auf beiden Seiten weg. Augenhöhe bedeutet hier: Was man zu wissen glaubt einfach mal zurückstellen und den Anderen zuhören. Wie gesagt, das gilt für beide Richtungen. Ich habe auf Arbeit sowohl reine Ossi-Teams erlebt als auch "gemischte" Teams. Vorurteile waren in letzterem quasi nicht mehr vorhanden.
Aus naheliegenden Gründen kann ich nicht sagen wie es in reinen West-Teams so aussieht, Kolleginnen berichten aber von sehr ähnlich starken Vorurteilen, in dem Fall halt gegenüber den Ossis. Nachdem man aber täglich zusammenarbeitet, merkt man dass es auch ganz "normale" Menschen sind mit größtenteils den selben Problemen und Ansichten.

Auch wenn ich das nicht mit Zahlen belegen kann, sagt meine persönliche Beobachtung: Wer sich als Teil des vereinten Deutschlands sieht - und sei es "nur" deshalb, weil man einen gemeinsamen Alltag hat - ist in aller Regel nicht radikal und wählt auch nicht rechts.

Die Zielgruppe der hiesigen Afd sind Menschen, die sich vom Westen abgehängt fühlen. Das betrifft nicht nur die wirtschaftliche oder soziale Situation, sondern häufig ist es auch ein gefühltes abgehängt-sein. Dem kann man entgegen wirken, indem man uns Ossis zeigt, dass wir nicht komplett abgehängt sind. Das funktioniert nicht durch belehrende Worte, sondern durch Zuhören und Interesse zeigen.

Ein Punkt deines Beitrags ist aber imho auf mehreren Ebenen falsch:
>Jeder der was konnte und Ahnung hatte, ging in den Westen und blieb dort.

Warum das inhaltlich falsch ist, hat Transistor bereits erwähnt.

Allerdings ist die Pauschalität der Aussage auch in ihrer Wirkung gefährlich: Indem man behauptet, dass JEDER mit Ahnung weg sei, wird der Umkehrschluss eingeführt, welcher bis heute ein gängiges Vorurteil bedient: "Jeder, der im Osten geblieben ist, ist dumm und rechts".
Das ist nicht nur falsch, sondern auch gefährlich, weil es pauschal alle Ossis in die rechte Ecke drängt. Je häufiger man in eine Ecke gestellt wird, desto weniger wird man sich die Mühe machen, sich aus dieser Ecke selbst wieder zu entfernen.
Was ich schon häufiger gehört habe: "Ist doch egal was ich wähle, die Wessis halten mich doch eh für Rechts."
Kurz: Dieses Vorurteil "nur die dummen rechten sind übrig geblieben" kann gewissermaßen zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung werden, weil dadurch die Hemmschwelle zur Afd weiter abgebaut wird.

Wenn ihr Schuld verteilen wollt, dann gebt die Schuld den Afd-Wählen, nicht den Ossis generell. Aus westlicher Sicht mag das kleinlich erscheinen, aus eigener Erfahrung aber weiß ich, dass Pauschalurteile die Überzeugung einiger Menschen stark beeinflussen können.

Christian


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