Thema:
Ein Versuch einer Antwort flat
Autor: Nightmaro
Datum:27.05.21 10:07
Antwort auf:Wieso ist der Osten so braun? von Fritz Schober

>Mangelnde Aufarbeitung der NS Zeit in der DDR so dass diese Denkweise dort als legitimer akzeptiert wird oder wie erklärt sich der deutlichere Hang zur blau-braunen Fraktion?

In meiner Schulzeit waren Antifaschismus und die NS-Zeit omnipräsent. Ich habe in meinen ersten 7 Schuljahren sehr viel über die Zeit gelernt und es wurde intensiv in der Schule behandelt. Daran kann es nicht liegen.

Meine Vermutungen: fehlende "Intelligenz" (im Sinne von Führungsposition), fehlende Industrie (-> geringes Gehaltsniveau), Versagen im "Aufbau Ost" und fehlendes Gespür für all dies

Meine Einschätzung als einer von dort ;-)

Der Brain-Drain kurz vor und nach der Wende war sehr schwierig. Jeder der was konnte und Ahnung hatte, ging in den Westen und blieb dort. da er dort etwas erreichen konnte. Im Osten gibt es abseits der großen Städte nur das Notwendigste. Eine gesunde Industrie mit all ihren Seiteneffekten gibt es nicht. Es gibt nur Handel, Handwerk und kommunale Infrastruktur. größere mittelständische Industrieansiedlungen gibt es nur sehr punktuell und die sind dann Ansiedlungen von Unternehmen aus den westlichen Bundesländern. Gewachsene Industriestruktur gibt es nicht. Selbst die Chefs sind i.d.R. "importiert".

Die Straßen und Marktplätze sind zwar hübsch, aber der Aufschwung geht an den Menschen vorbei. Es gibt nur einen Niedriglohnsektor und mit einem Einkommen von 35.000 Euro im Jahr ist man schon gutverdienend. Entsprechend sind die finanziellen Verhältnisse. Die Lebenshaltungskosten sind aber nicht viel anders als in vergleichbar großen Orten in andren Teilen Deutschlands. Insofern spielt das "Geld" und was man sich davon leisten kann, eine entscheidende Rolle. Man lebt den Underdog. Wer jetzt mit Neiddebatte und "die da Oben" punkten will, schafft das ...

In den Ballungszentren sieht das anders aus. Die großen Leuchttürme sind zwar hübsch und bringen den Städten Ansehen, aber letztlich sind in den großen Firmen nur ein überschaubarer Anteil "Einheimische" beteiligt. Das "gute Geld" machen aber nicht die in der Region großgeworden sind. Führungspositionen werden nach Qualifikation vergeben, und da hat der Osten leider wenig zu bieten. Die notwendige Erfahrung konnte nur in den alten Bundesländern gemacht werden. Die Ü40 Generation hatte keine Chance das im Osten zu erreichen, weil es keine Industrie gab und die Ü50 ist im Osten groß geworden, und kann seitens der Ausbildung nicht punkten.
Städte wie Leipzig haben ihren Bevölkerungsboom hauptsächlich durch Zuzug erhalten. Dort sind hunderttausende gut gebildeter Menschen (meist aus dem Westteil) zugezogen, um in den Ansiedlungen von großen Unternehmen einen Job zu finden. Sie verdienen deutlich besser als der Durchschnitt. Sie bleiben aber unter sich. Sie bringen ihre politischen Meinungen mit und wählen anders.
Ebenso stark ist der Zuzug von Studenten zu sehen. Die Intelligenz wandert vom Land in die Stadt und bleibt dort, da es auf dem Land keine Perspektive gibt. Auch hier wird anders (meist grün) gewählt.
Entsprechend sind die Wahlergebnisse in den großen Städten einzuordnen. Die Wahlergebnisse der Städte werden maßgeblich von zugezogenen und Besserverdienenden und Studenten beeinflusst. Man sieht das an den Wahlergebnissen in den "besseren Vierteln" von Leipzig. Diese gleichen mehr den Ergebnissen aus München oder Hamburg und nicht Stendal oder Bautzen.

Sprich: der Aufschwung kommt bei Jaqueline und gar nicht an. Und dann sind wir wieder bei der gefühlten Schuld. Da wird eben Protest gewählt und da ist es völlig egal, ob das Rechtsradikale sind oder nicht.

Wenn man nichts zu verlieren hat, warum soll man nicht den "Wechsel" sich wünschen. Natürlich ist das Mist und jammern auf hohem Niveau. Natürlich ist jeder selbst seines Glückes Schmied, aber nach 40 Jahren Mutti von Oben, geht das aus den Köpfen nun mal schwer raus. In der DDR hatte jeder seinen Platz bekommen und alle waren gefühlt gleich. Es gab die Partei und die war böse und ALLE anderen waren gleich (bis auf die die Westverwandschaft und Westgeldquellen hatten – die waren gleicher – aber dennoch auf gleicher Stufe des Leidens)

Die AfD gibt sich volksnah. Sie wiederholen stets das Mantra "von hier" und faseln vom Trumpschen Brechen mit den bestehenden Strukturen, stellen einen Ostdeutschen als Spitzenkandidaten auf und sprechen den Menschen die Stammtischparolen nach. Sie lassen die guten alten Zeiten hochleben und kungeln mit der neuen Sowjetunion, da sie sich Hilfe erwarten - wie "früher".

Und was machen die großen Parteien? Parteiposten, Ministerämter und Staatssekretäre werden anhand von Kungeleien vergebe und nicht nach Kompetenz, da immer jemand zufrieden gestellt werden will. Der Osten hat da leider wenig Strukturen, um mit diesen Machtspielen mitzuhalten. Die Spitzenkandidatenkür der CDU war ein Schlag ins Gesicht
Ein Herr Laschet der im Kopf noch die "Zone" hat, hat im Vergleich zu einem Herrn Chzupalla mit ostdeutscher Biografie keine Chance.

Jetzt zu sagen: "Ich fahre nicht in den Osten" kommt zu kurz. Eigentlich müßte man einfach mal in den Osten fahren und sich die Situation ansehen und mit den Menschen sprechen und dann dafür eine realistischen Aufbau-Ost-Plan schmieden. Aber solange man unter sich bleibt und den Osten abtut, wird sich nichts ändern an den katastrophalen und beängstigenden Wahlergebnissen im Osten.


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