Thema:
Millionenerbin: "Besteuert mich endlich!" flat
Autor: Atlan
Datum:26.05.21 15:20
Antwort auf:Die M! Tageszeitung - Journalismus Ausgabe #9 von K!M

Die 29-jährige Wienerin erklärt, warum sie mindestens 90 Prozent ihres Erbes spenden und keinesfalls als Philanthrokapitalistin à la Gates und Co enden will.

Das ist in meinen Augen keine Frage des Wollens, sondern eine Frage der Fairness. Ich habe nichts getan für dieses Erbe. Das ist pures Glück im Geburtslotto und reiner Zufall. Die Menschen, die das eigentlich erarbeitet haben, hatten in der Regel wohl nicht sehr viel davon. Es kommt somit eigentlich aus der Gesellschaft, und dorthin soll es zurück. Als die Ankündigung kam, habe ich gemerkt, ich kann mich nicht so recht freuen, und ich habe mir gedacht: Etwas stimmt nicht, es muss was passieren! Mir fällt da immer Bertolt Brecht ein: "Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich." Dann habe ich begonnen, mich ernsthaft damit zu beschäftigen. Das reichste Prozent der österreichischen Haushalte besitzt fast 40 Prozent des gesamten Vermögens. Individueller Reichtum ist in unseren Gesellschaften strukturell mit kollektiver Armut verknüpft. Da wollte ich nicht mitmachen.(...)

Mein voraussichtliches Erbe spiegelt in keinster Weise wider, was eine Einzelperson geleistet haben mag oder nicht. Da kann ein Manager in seinem Büro die besten Entscheidungen treffen, auf ihn allein kommt’s nicht an. Wenn es niemanden gibt, der die Produkte erfindet, erarbeitet, rumtüftelt, verkauft, dann gibt’s keinen Gewinn. Wir arbeiten in unserer Gesellschaft arbeitsteilig, anders würde es gar nicht funktionieren, und dass einige so viel erwirtschaften können, wie andere durch Erwerbsarbeit niemals bekommen, spiegelt nur wider, dass wir manche Arbeiten als wertvoller erachten. In der Regel ist das die Arbeit von jenen, die ohnehin schon reich sind, und von sich behaupten, ihre Arbeit sei wichtiger. Dann liegt das Geld meist seit Jahren in Anlagen herum und wird von alleine mehr, da muss man nur warten, während andere Menschen jeden Tag arbeiten und besteuert werden.

Wer 11.000 Euro Nettoeinkommen pro Jahr hat, zahlt 20 Prozent Steuern – und dann bekomme ich wahrscheinlich ein Vermögen von mehreren Millionen und muss nichts dafür zahlen. Dabei habe ich nichts dafür getan. Und das soll richtig sein so? (...)

Ich könnte ja auch nicht in die Öffentlichkeit gehen mit meinen Anliegen für mehr Steuergerechtigkeit, sondern in ein Hinterzimmer laden. Ich könnte es mir ganz leicht machen und mit großzügigen Spenden dafür sorgen, dass eine Partei tut, was mir wichtig ist. Da wäre ich bei weitem nicht die Erste, und solange wir diese Praxis nicht abstellen, ist klar: Meine Stimme ist mehr wert als ihre. Mit Demokratie hat das aber nichts mehr zu tun. Das ist neofeudalistisch. Wer das akzeptiert, sogar gut findet, jedenfalls aber an der extremen Vermögenskonzentration nichts ändern will, ist im Kern kein echter Demokrat. (...)

Mit Wegnehmen hat das nichts zu tun. Wieso fragen wir nicht, wo das Geld herkommt? Wer hat es erwirtschaftet? Ein Mensch ganz allein? Alexandria Ocasio-Ortez, demokratische US-Kongressabgeordnete, hat es wunderbar gesagt: "Every billionaire is a policy failure." Jeder Milliardär ist ein politisches Versagen. (...)

Die Gesellschaft sollte sich aber nicht darauf verlassen müssen, dass einzelne Superreiche ihr gegenüber wohlwollend eingestellt sind, das ist Neofeudalismus: gönnerhaft von oben herab spenden. (...)

Wenn Privatpersonen so viel geopolitische Macht bündeln, ist das hochproblematisch, undemokratisch und brandgefährlich. MacKenzie Scott hat in kürzester Zeit das, was sie so großzügig hergegeben hat, über ihre Kapitalerträge aus ihren Amazon-Anteilen wieder erwirtschaftet, und Amazon, wissen wir, beutet Menschen und Klima systematisch aus. Das ist total unehrlich.

Es kann nicht sein, dass man zuerst weltweit an allen Ecken und Enden Steuern spart und dann demonstrativ wohltätig wird und einen Bruchteil des Vermögens spendet. Ganz oft sind diese Stiftungen nichts anderes als eine Möglichkeit, Vermögen zu verschleiern. Da wird mit einem winzigen Teil des Kapitals ein bisschen wiedergutgemacht, was diese großen Anlagen an Mist verbocken. Das ist Philantrokapitalismus. Es ist einfach nicht in Ordnung, dass wir abhängig sind vom Wohlwollen der Superreichen. (...)


[https://www.derstandard.at/story/2000126792517/millionenerbin-marlene-engelhorn-besteuert-mich-endlich]

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