Thema:
Re:Uns geht's zu gut (sehr subjektiver, persönlicher Post) flat
Autor: Joschi
Datum:18.05.21 11:23
Antwort auf:Uns geht's zu gut (sehr subjektiver, persönlicher Post) von Guy

>Ich behaupte nicht, Politikexperte (gerade nicht, was Innenpolitik angeht) zu sein, im Gegenteil, bin da ziemlich verdrossen.

Hmm, warum bist Du denn so verdrossen? In der Politik engagieren sich viele Leute und mit wenigen Ausnahmen nicht für die eigenen Interessen, sondern für die von anderen. Wir leben ja in einer repräsentativen Demokratie.

>Ich äußere mich auch sehr selten überhaupt zu politischen Themen.
>Dieser Post ist daher rein subjektiv und erhebt keinerlei Anspruch auf Alleingültigkeit oder vollkommener Objektivität.
>Ich sympathisiere auch nicht partout mir einer speziellen Partei, mich interessieren eigentlich nur die Ergebnisse, primär natürlich die für mich persönlich, wielviel Kohle ich im Portemonnaie habe, wie teuer alles ist, was ich zum Leben brauche und gerne mag (damit meine ich nicht Dinge wie z.B. Rauchen) und wieviel mir verboten oder erschwert wird.


Ich finde so eine subjektive Denkweise einfach zum Kotzen. Nach mir die Sintflut... Du wurdest selbst geboren und großgezogen unter einiger Selbstaufgabe von anderen. All die Resourcen und Technologien, die Du benötigst für Dein Leben und Deine Hobbies haben andere in den Generationen vor uns oder in anderen Ländern mit Schweiß und Blut erarbeitet, die niemals von den Privilegien und Freiheitsrechten profitieren können, die Du erlebst, selbst wenn irgendwelche Verbote kommen sollten. Interessiert Dich überhaupt nicht, wie es weiter geht? HAst Du kein Interesse daran, dass es späteren Generation weiter gut geht, sogar mehr MEnschen auf unserem Planeten Wohlstand bzw. Fehlen von Hunger, Krieg, usw. erleben können?

>Der letzte Regierungswechsel (CDU>SPD, Kohl>Schröder 1998) ist mir aber jedenfalls als einer in Erinnerung, der uns ziemlich viel Scheiße eingebrockt hat, mir fallen da spontan Steuererhöhungen an allen möglichen Ecken und Enden (gab's sogar nen Verarschungssong zu) und Hartz IV ein.

Das Kriterium "gab's einen Verarschungssong zu" ist jetzt nun wirklich kein Alleinstellungsmerkmak. Man kann über die Agenda 2010 viel streiten. Insbesondere hat sie zur Belebung des Arbeitsmarkts beigetragen (vgl. [https://www.bpb.de/apuz/250663/agenda-2010-und-arbeitsmarkt-eine-bilanz?p=3], aber auch zur Beschleunigung der Leistungsgesellschaft und der damit verbundenen Wahrnehmung einer Prekarisierung. Ich persönlich glaube, dass diese Abwegung zwischen Fördern und Fordern was ganz schwieriges ist, begrüße aber insgesamt die resultierte Modernisierung der Arbeitsvermittlung. Gleichzeitig bin ich überzeugt, dass hier noch einiges zu verbessern ist, insbesondere was das Verhältnis der oberen Renditen zu den unteren Lohnbereichen angeht, so dass die unteren Lohngruppen auch in der Rente später ohne soziale Zusatzsicherung auskommen sollten. Die Einführung des Mindestlohns haben wir z.B. Andrea Nahles (SPD) zu verdanken und finde das arbeitspolitisch einen bemerkenswert großen Schritt in diese Richtung.

Kurz: hier gibt es viel zu verbessern, aber es war immerhin auf Betreiben der SPD die größte Modernisierung unseres Landes der letzten Regierungen. Aus der CDU kommt dazu nicht mal eine Vision und die SPD wagt gar nicht mehr irgendwas mit Agenda auch nur zu träumen.

Dazu kommt das historische Nein zum Irak-Krieg von Schröder. Das hätten wir unter Kohl/Merkel/Stoiber sicher nicht gehabt. Ok vielleicht auch nicht die anschließende Anbiderung an Putin und die russischen Oligarchen, aber die Bilanz bleibt trotzdem eher posiitiv.

>Da ich mich seinerzeit noch viel weniger für Innenpolitik interessiert habe als heute, sehe ich da vielleicht nicht das Positive, was wir dieser Regierung zu verdanken haben (so es denn überhaupt etwas gab), man möge mich da also gerne korrigieren.
>Und ebenso werden nun viele daherkommen und herausstellen, was die Regierung Kohl zuvor alles versaubeutelt hat und wie viel besser das doch unter Schröder geworden ist.
>
>Wenn ich aber meiner Erinnerung und meinem Bauchgefühl folge, und dann das Programm der Grünen als Zukunftsperspektive dazunehme, komme ich zu dem Schluss, dass es uns unter der CDU eigentlich immer ganz gut ging und wir von Wohlstand und Wachstum profitieren konnten. Sowohl seinerzeit unter Schmidt, unter Kohl, wie auch unter Merkel.


Schmidt war SPD. Gerade Merkel hat doch kaum selbst was initiiert sondern immer nur Änderungen mitgetragen, wenn der Druck aus Koalitionspartner, Opposition und Gesellschaft zu groß wurden oder Weltgeschehen das verlangte, siehe Atomausstieg, Homoehe, Mindestlohn, Inlandsmaut. Ohne diese Tätigkeit wäre nix passiert bzw. viel Mist. Das einzige, was sie progressiv vorangebracht hat, war der mutige und klare Umgang mit Geflüchteten. Das verdient volle Anerkennung. Davon wurde zwar die AFD und verwandte Bewegungen gestärkt, aber das hat ja auch andere Gründe und wäre wohl ohnehin geschehen. Auch im Umgang mit Trump blieb sie sourverän, auch wenn es nichts lösen konnte.

>Klar gibt es immer mal Umstände, die gemeistert werden wollen und müssen (Wiedervereinigung, Flüchtlinge, nun Corona), doch auch da wüsste ich persönlich unterm Strich nicht, wie man all das großartig besser und ausgewogener hätte lösen können.
>
>Die Coronakrise wird jedem Einzelnen von uns in den nächsten Jahren und Jahrzehnten noch richtig viel Kohle kosten - die Ausgaben, Hilfen und Subventionen müssen schließlich wieder reingeholt werden, natürlich vom Steuerzahler, woher auch sonst.


Äh, von den oberen paar Prozent, wie es einige Oppositionsparteien vorschlagen? Du sagst, auch wenn ich diese Parteien wähle, das kommt eh nicht. Deshalb wähle ich die, die das gar nicht erst versuchen wollen? Hmm.

>Wenn wir dann noch eine Regierung haben, die zusätzlich Urlaube, das Autofahren, das Heizen, Strom und Energie, ja somit das gesamte Leben massiv verteuert und dadurch und durch zusätzliche, teilweise abstruse, weltfremde und nicht zu Ende gedachte Regulierungen, Einschränkungen und Verbote (gerne selber informieren, würde hier jetzt zu weit führen, einfach mal das Programm lesen, aber mit Verstand) weniger lebenswert macht, laufen wir große Gefahr, dass sich eine Art Massendepression ausbreitet, bei der sich viele fragen werden, wofür sie überhaupt noch arbeiten gehen. Die Folgen davon kann man erahnen.

Es geht doch gerade darum, das Leben lebenswert zu erhalten. Verbote und Preisaufschläge in einigen Bereichen werden zu Innovationsdruck auf eben diese Bereiche führen. Bist Du schon mal eAuto gefahren? Weißt Du wie geil das wäre, wenn wir eine flächendeckende eAuto-Infrastruktur hätten? Wenn das auch noch ohne unendlich kostenden Atomstrom und Kohlekraftwerke ginge. Aber wenn man immer nur sagt, das geht nicht, da wird ja alles teurer, werden wir nie dahin kommen.

>Vielleicht fehlt einer Frau Baerbock, die noch nie in ihrem Leben richtig gearbeitet hat, dafür auch einfach das Verständnis.

Wie kommst Du darauf, dass die Frau noch nie richtig gearbeitet hat? Was ist denn Deiner Meinung nach richtige Arbeit? Warum ist politische Arbeit keine richtige Arbeit?
>
>Auf den ersten Blick haben die Grünen zweifellos augenscheinlich hehre Ziele: Die Rettung des Planeten (oder besser die Rettung der Menschen auf dem Planeten - der Planet braucht uns nicht und wird uns LANGE überleben).


Was dir ja egal ist.

>Diese aber ohne Rücksicht auf Verluste mit der Brechstange durchzusetzen und dabei nicht mal bis 3 zu denken (möglichst schnelle komplette Elektrifizierung der Autos bei gleichzeitiger Abschaffung der (von mir auch nicht geliebten) Atomkraft - wo soll der Strom herkommen? Aus Deutschland jedenfalls nicht. Dass die Elektrifizierung noch ganz andere, neue Umweltbelastungen mit sich bringt - geschenkt!) - und auf dem Altar dieser unsere Wirtschaft, unseren Wohlstand und unsere Lebensqualität zu gefährden halte ich persönlich für den falschen Ansatz.

Ja einiges ist ungelöst. Aber der Atommüll ist weiterhin ebenso ungelöst, der Klimawandel bleibt sonst ungelöst, die deutsche Wirtschaft wird ohne Innovationsdruck doch gnadenlos abgehängt. Warum kannst Du da nicht mal bis 4 denken? Die kapitalgetriebene Wirtschaft denkt in kurzfristigen Renditenzuwächsen. Wo wäre die Elektrifizierung bzw. Abgasreduktion der deutschen Automobilindustrie ohne Tesla und ohne den radikalen Umbauten die im größten Markt China gerade statt finden? Die lachen doch über unser Schneckengestolper beim notwendigen Umbau von Markt und Wirtschaft.

Kurz: Klare Änderungen in der staatlichen Regelung (Besteuerung, Erleichterung, Verbote, Erlaubnisse) gefährden nicht die Wirtschaft, nur die bestehenden Geschäftsmodelle. Sie ermöglichen gleichzeitig geänderte und neue Geschäftsmodelle. Das erzeugt Wirtschaftswachstum - auch abseits der großen bestehenden Konzerne.

>Und zum Thema Lobbyismus:
>IMO ist es gar nicht anders möglich, dass es gewisse... nennen wir es "Synergien" zwischen Politik und Wirtschaft gibt in einem wirtschaftlich so starken Land wie Deutschland.
>Unsere starke Wirtschaft (gerade die Automobilindustrie) sind unser Rückgrat und ein, wenn nicht stärkste Pfeiler unseres Wohlstandes und internationalen Ansehens.
>Auf eine Politik, die darauf scheißt, das verteufelt und mit Füßen tritt kann ich sehr gut verzichten.


Das hat nichts mit Verteufelung zu tun. Dieser Pfeiler blockiert wichtige Bewegungen und Gesetzesänderungen auf europäischer Ebene. Warum sind unsere achso tollen Konzerne denn nicht in der Lage vorab in Änderungen zu investieren und bessere Autos zu bauen? Weil es billiger ist, zu lobbyieren und die gleichen Autos zu bauen! So einfach ist das.

>Zumal auch diese, wenn erstmal an der Macht, sich der Versuchung nicht dauerhaft wird entziehen können. Wer das ernsthaft glaubt, der glaubt auch an den Weihnachtsmann.

Also die treten die Wirtschaft mit Füßen UND können sich der Versuchung nicht entziehen. Sorry, aber DAS ist Verteufelung in Reinkultur.

>
>Ich bin kein Großverdiener, liege im Gegenteil knapp unter dem Bundesschnitt, wohne zur Miete in einer kleinen Dachgeschosswohnung und bin froh, wenn ich mir durch meine Arbeit mein Leben und meine Hobbies finanzieren kann.
>Und da muss ich schon sehr oft zwischen Hobby und Urlaub wählen.
>Und das, obwohl ich noch nicht mal Familie habe.
>Ich gehöre also defintiv nicht zu den oberen 10.000 und es gibt sehr viele, denen es noch deutlich schlechter geht als mir.
>Wenn ich aber die derzeitigen Umfragewerte zu den Grünen sehe, entsteht bei mir unweigerlich der Eindruck: Obwohl viele (gefühlt alle) immer über alles Mögliche meckern und klagen geht es ihnen aktuell definitiv noch viel zu gut in diesem Land und sie verstehen gar nicht, was da auf sie zukäme und wie sehr sie sich dann die jetzige Situation zurückwünschen würden.
>So be it then...


Ich verdiene recht gut und kann mir trotzdem kein Haus leisten, wie viele andere. Daran wie an meinem Lebensstil würde sich auch nichts ändern, wenn ich mehr Steuern zahlen würde. Ich wäre dankbar, wenn es weniger Schrott und mehr gute Produkte gäbe, wenn Firmen an den Renditen der Warenwirtschaft ebenso verdienen könnten wie an Kapitalprodukten, wenn die Ressourcen dazu nachhaltig im Kreislauf verankert werden könnten, selbst wenn ich mir damit nicht mehr all den Krams kaufen könnte, den ich jetzt auch nicht brauche. Statt dessen funktionierenden Infrastrukturen, Kulturangebote und Bildungssysteme und entsprechende Märkte dafür.

>So, nun steinigt mich, belächelt oder beschimpft mich als oberflächlich, unwissend, naiv, egoistisch, blind, einseitig, unprogressiv, rückständig, sonstwas.

Ich kenne Dich jetzt nicht, aber Deine Argumentation ist einiges davon aus meiner Sichtweise. Trotzdem bin ich Dir dankbar, weil Du glaube ich vieles davon widergibst, was große Teile unserer Gesellschaft *hoffentlich nicht mehr lange* so empfinden. Für mich ist das eine kurzsichtige, überegozentrische Sichtweise, voller Widersprüche und selektiver Gutgläubigkeit in etablierte Strukturen. Ich bin nicht dankbar für diese Sichtweise, aber für den Diskurs, der daraus entsteht, weil ich meine eigene Sichtweise daran überprüfen, anpassen und festigen kann

>DIE eine richtige Meinung zu dem Thema gibt es eh nicht und auch gerade hier hat dahingehend auch niemand Anderes die Weisheit mit Löffeln gefressen.

Das ist zwar nicht falsch, aber Du relativierst damit nicht nur Deine eigene Meinung als auch die von anderen. Was bringt ein Meinungsaustausch, wenn allen Seiten nicht wenigstens an der Schaffung von mehr Weisheit gelegen ist?


< antworten >