Thema:
Re:Mich machen solche Menschen wütend flat
Autor: Phil Gates
Datum:21.04.21 17:07
Antwort auf:Mich machen solche Menschen wütend von Telemesse

>Ich hab letztes Jahr meinen Onkel Klaus beerdigt. Der war ein super sympathischer Typ. Hübsch, immer schick gekleidet, eloquent und witzig mit Charme. Der kam überall gut an, ganz besonders bei den Frauen. Dem standen alle Türen offen und er hatte in seinen besten Jahren immer Top Mädels am Start. Zu mir hat er immer gesagt: Telly, wenn du in nem Club bist, sprich immer die heißeste Braut im Laden an und niemals das Mittelmaß. An die Top Frauen traut sich sonst gar keiner ran. Deswegen sind die froh wenn zu denen auch mal einer kommt. Mit der Masche ist er immer gut gefahren. Sein Problem: Er war Alkoholiker. Der hat mit 15 angefangen zu saufen und nie wieder aufgehört. Bis er 40 war hat das keiner so richtig mitbekommen und er hat gut verstanden das geschickt zu kaschieren. Er ist immer wieder aus Jobs geflogen und die Frauen sind ihm davongelaufen. Damals waren immer die anderen dumme Arschlöcher und die Mädels doofe Ziegen. Heute weiß ich das er damals schon mit seiner Sauferei alles kaputt gemacht hat. Das ganze hat sich dann immer mehr gesteigert und zum Schluss hat der sich täglich mindestens 1-2 Flaschen hochprozentiges reingezogen. Der war permanent auf Pegel. Wir haben ihm dann immer wieder geholfen, ihn unzählige male in Rehas, zu Therapien und zu Psychatern gebracht, ihm immer wieder neue Jobs besorgt und ihn bei uns in der Firma beschäftigt weil er sonst nirgends mehr unterzukriegen war. Das hat alles nichts genutzt. Der Suff war einfach stärker. Ich hab so oft mit ihm geredet und hab ihm gesagt das er sich sein Leben kaputt säuft und er kapieren muss das das nicht mehr so weitergeht. Ich habe dann aber gelernt das du solchen Menschen irgendwann einfach nicht mehr helfen kannst. Die haben ihr Leben an den Alk oder die Droge verloren und selbst irgendwann gar nicht mehr den Willen tatsächlich aufzuhören. Die letzten 2 Jahre waren dann ziemlich heftig und ich möchte das hier gar nicht ausbreiten. Schließlich ist er mit 56 Jahren gestorben und es war für alle in seinem Umfeld wirklich das Beste. Denn er hat in den letzten Jahren nicht nur sich selbst kaputt gemacht sondern alle die ihm nahe standen und ihn unterstützten, insbesondere sein Ex Frau und seine Tochter, massiv mit runter gezogen. Und so hart es auch klingt und obwohl das wirklich immer mein Lieblings Onkel war und ich viel mit ihm erlebt und gelacht habe war ich am Ende froh als er gestorben ist. (Ich weiss nicht ob man das nachvollziehen kann wenn man so etwas nicht selbst mal mitgemacht hat.)
>Naja und der Willi Herren war vom Wesen her genau so ein Typ. Der war immer wieder oben, hat immer wieder Chancen gehabt und hat sich selbst immer wieder alles kaputt gemacht. Das hat auch nichts mit Geld zu tun. Ein Willi Herren hatte alle Möglichkeiten gut Geld zu verdienen und hat ja auch immer wieder gute Engagements gehabt. Da spielt es aber keine Rolle ob der 10, 50 oder 100k Gage abgreift. Die Kohle wird genauso schnell rausgeballert wie sie reinkommt. Solche Menschen kommen nie auf einen grünen Zweig. Die sind in den meisten Fällen unheilbar krank. Wenn die selbst nicht den Ernst der Lage kapieren und den Willen nicht aufbringen den Suchtexit wirklich durchzuziehen ist es immer nur eine Frage der Zeit bis sie der Droge endgültig zum Opfer fallen. Beim Willi ist die Uhr nun ziemlich früh abgelaufen. Ob er noch mal die Kurve gekriegt hätte weiß man nicht aber ich hatte immer den Eindruck, das er zu sehr Party Willi war um sich endgültig von Suff und Droge loszusagen. Da schaffst du auch nicht wenn du ohnehin labil bist und immer wieder im Ballermann Milieu unterwegs bist.
>Ich kann da auch irgendwie nicht wirklich Mitleid empfinden, mich macht das eher unheimlich wütend. Ab und zu gehe ich auf den Friedhof. Ich stehe dann am Grab meines Onkels, hab Tränen in den Augen und denke mir: Du dumme Sau, du hättest noch ein so geiles Leben haben können und hättest soviel erreichen können. Stattdessen hast du dich für die Flasche entschieden, die aus einem eigentlich liebenswerten Menschen zum Schluss ein armseliges Arschloch gemacht hat, das alle die ihn geliebt und immer unterstützt haben mit Füßen getreten hat.
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>RIP Klaus & Willi
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Ich kann Deine Verbitterung gegenüber Deinem Onkel verstehen. Allerdings ist es vermutlich nicht ganz so einfach, wie man als Nicht-Süchtiger denkt. Natürlich trifft am Anfang jeder die Entscheidung zu trinken selbst. Allerdings stellen sich die Weichen, ob man irgendwann abrutscht, schon sehr früh, nämlich in dem Moment, wo der Trinkende die angstlösende, beruhigende oder ggf. auch stimulierende Wirkung von Alkohol erstmals verspürt und merkt, dass er sie gezielt einsetzen kann. Es spricht viel dafür, dass es eine Disposition für Sucht gibt, gegen die man mehr oder weniger nichts oder wenig tun kann, außer schon in dieser Phase den Alkohol kategorisch zu meiden (und wer macht Letzteres schon mit 16, 17, 18). Ängstliche, unsichere Menschen sind überproportional häufig süchtig, weil sie sich erst dann in Gesellschaft präsentieren, geschweige denn auf einer Bühne stehen können, wenn sie einen im Tee haben. Das kann eine Erklärung dafür sein, warum so viele geniale Künstler sich mit Drogen vollpumpen und daran am Ende sterben. Natürlich greift nicht jeder mit so einer Vorbelastung zu Alkohol und Drogen. Aber sehr viele Süchtige haben vorher schon eine Angststörung o.ä. gehabt; es ist ziemlich typisch, dass er derjenige war, der sich einen angesoffen hat und dann die Models im Club klargemacht hat - ohne seine Droge hätte er sich das nämlich auch nicht getraut, egal wie gut er ausgesehen haben mag. Dass Dein Onkel sich am Ende nicht mehr hat helfen lassen, kann man ihm nicht mehr vorwerfen, da war er schon zu krank. Das hätte vor 20, 30 Jahren passieren müssen, aber das ist die Tücke der Krankheit. Sie wird meistens erst dann erkannt, geschweige denn behandelt, wenn der Kranke schon mehr oder weniger verloren ist. Alkohol ist ein gefährliches Gift und es gibt wohl kein Medikament, was eine Zulassung bekommen würde, welches ein derartiges Abhängigkeitspotential und derartige Nebenwirkungen hat, auch wenn es so ziemlich das wirksamste Anxiolytikum und Antidepressivum ist, was wir kennen.


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