Thema:
Re:Ich komm' einfach nicht los vom Fußball flat
Autor: Pezking
Datum:13.04.21 12:19
Antwort auf:Ich komm' einfach nicht los vom Fußball von Leviathan

>Es gab Zeiten, in denen habe ich alles stehen und liegen gelassen, um ein BVB-Spiel zu schauen. Ich hab mitgefiebert, gejubelt, geflucht, Fernbedienungen gegen die Wand geworfen. Fußball war mir verdammt wichtig.
>
>In den letzten vier, fünf, sechs, sieben Jahren ist das alles aber peu à peu weniger geworden. Auch wenn ich als BVB-Fan nicht so viel mitmachen musste, wie manch anderer, fühlt es sich so an, als hätte ich bereits alles erlebt. Meisterschaften in den Neunzigern, CL-Sieg, der krasse Absturz, jahrelanges Herumdümpeln im Mittelfeld mit Tendenz zum Tabellenkeller, die supergeilen Kloppjahre und nun einfach nur Tristesse. Irgendwie ist mir alles egal und dann doch nicht.


Der Fluch des Erfolgs. Diese seltsame Gleichgültigkeit konnte ich Eurem Anhang schon 2017 beim Pokalsieg live anmerken. Die Post-Klopp-Depression scheint ziemlich langwierig und hartnäckig zu sein.

>Um ganz ehrlich zu sein: Ich fand das permanente Schalker Failen in dieser Saison unterhaltsamer und interessanter als die BVB-Spiele. Vielleicht bin ich deshalb ein schlechter Mensch, aber ich hatte meinen Spaß damit.

Du bist BVB-Fan, da ist das doch völlig normal.

>Aber so recht befriedigend ist’s dann auch nicht, weil sich gerade in dieser Corona-Saison nichts so richtig echt anfühlt. Ich glaube nicht, dass Schalke mit Fans so kolossal schlecht abgeschnitten hätte und ich glaube auch, dass dem BVB fünf bis zehn Fan-Punkte fehlen.

Nach der Logik fehlen uns dann aber zwölf bis 15 Punkte, insofern würde sich für Euch eh nix ändern.

Gut, vielleicht hätte Wolfsburg mit Fans dafür 20 Punkte weniger auf dem Konto. ;-)

>Aber würden die Punkte das irgendwie besser machen? Was mein Fan-Sein betrifft: Wahrscheinlich nicht. Es gab Zeiten, da hatte der BVB einen saugeilen Kader. Ich mochte so viele der Spieler, weil sie eben mindestens den Eindruck erweckten, keine Arschlöcher zu sein. Wie geil waren Manni, Neven, Pischu, Shinji, Dede, Schmelle, Nuri und all die anderen. Und wie geil war Klopp als Trainer, der auch einfach gar keinen Bock auf kackige Kackspieler („Ich würde nie ein Arschloch verpflichten.“) hatte? Im direkten Vergleich zu heute, ist’s ein Trauerspiel. Wirklich gut finde ich da fast niemanden mehr. Einzig Ansgar Knauff hat mir zuletzt mal Freude bereitet, weil man ihm einfach anmerkt, dass er ein guter, bescheidener Typ ist, der sich einfach riesig freut, überhaupt eine Chance zu bekommen. Bin noch skeptisch, was seine Zukunft betrifft, aber einfach mal einen Jungspund zu sehen, der sich nicht in zwei Jahren in England sieht, sondern über Einsatz und Bock kommt, ist so eine unfassbare Wohltat. Auch wenn er niemals so gut sein wird wie Haaland, Sancho oder Dembele.

Kann ich verstehen. Dortmund und Frankfurt sind sich aktuell ja nicht so wahnsinnig unähnlich, man spielt bereitwillig den Durchlauferhitzer für junge Talente, um so möglichst exorbitante Ablösesummen zu generieren.

Der Unterschied ist "nur" das Niveau: Ihr holt Euch teure Talente, bei denen eh schon klar ist, dass die zwei, drei Jahre später bei einem Stammgast im CL-Viertelfinale auflaufen. Die müssen fast nix mehr beweisen, sondern nur noch ihre Vorschusslorbeeren bestätigen. Ein Knauff gehört nicht dazu und erscheint dadurch natürlich bescheidener und sympathischer.

Wir hingegen bedienen uns aus einem Regal darunter: Talente, die woanders partout nicht den Durchbruch schaffen. Oder bei denen ein mögliches Starpotenzial zwar erkennbar erscheint, aber noch nicht so ausgeprägt ist, dass es selbst uns schon von Tag 1 an weiterhelfen könnte. Da kommen dann erst einmal Ausleihen nach Belgien etc. zustande.

Die freuen sich dann wie ein Keks, wenn sie bei uns erst mal den Durchbruch schaffen. Selbst wenn es sie dann doch relativ schnell zu spitzenmäßigeren Spitzenklubs zieht, bleibt da gerne mal eine gewisse aufrichtige Dankbarkeit zurück, wie zum Beispiel bei Jovic. Und auch die Fans nehmen es keinem dieser Spieler krumm, wenn sie für einen Arsch voll Geld nach England oder Spanien weiterziehen.

Hinzu kommt aber auch, dass man bei der Eintracht größten Wert auf den Charakter der Spieler legt. Noch vor dem fußballerischen Talent. Da gibt es weit und breit keine ausufernden Instagram-Allüren zu beobachten. Im Kern verpflichten wir stets Spieler, die Fußball arbeiten - nur jetzt eben auch mit mehr Talent. Kategorie Kamada statt Huggel.

>Kann man jemandem einen Vorwurf machen? Am ehesten wahrscheinlich mir, weil ich Ansprüche stelle, die fernab jeder Realität sind. Als BVB bekommst du aktuell nur Spieler aus drei Kategorien: a) 17-jährige Supertalente, die in spätestens zwei Jahren wieder weg sind, b) überteuerten Bundesliga-Durchschnitt oder c) Gescheiterte, denen es darum geht, möglichst regelmäßig CL zu spielen und auch immerhin noch ganz okay zu verdienen. Absolute Zwickmühle, was allerdings Transfers wie Schulz, Schürrle, Wolf, Toljan oder Götze nicht entschuldigen kann und darf. Und wenn man ehrlich ist, konnte der BVB selbst die wenigen Top-Spieler, denen man einen Durchbruch zugetraut hätte, aus der Klopp-Ära nicht halten: Lewandowksi, Götze, Shinji, Gündogan, Hummels,Sahin…alle sind gegangen. Da kann man es Pischu nicht hoch genug anrechnen, dass er all die Jahre geblieben ist, obwohl es ganz sicher Angebote gab. Reus wäre ohne seine Verletzungsanfälligkeit wohl auch nicht geblieben. Wenn mir dann Bayern-Fans erklären wollen, dass der BVB ja einfach nur zu doof sei, ihre Spieler zu halten, möchte ich gleich mal ein paar Autos kaufen. Nix verstanden.

Ja, das ist es natürlich nicht. Aber der BVB hat auch irgendwie keine...Identität. Es gibt kein "BVB-Gen". Eure größten Stars waren eben nicht austauschbar. Selbst wenn ihre Nachfolger sogar über noch mehr Talent verfügen, hapert es halt am Menschlichen. Und an der Mixtur. IMO ist Eure Kaderzusammenstellung schon seit einigen Jahren alles andere als optimal. Zuviel Fokus auf Hacke-Spitze-1-2-3, so dass Ihr nicht einmal merkt, was ein Seppl Rode zum Beispiel so alles kann. Und wie wichtig auch solche Arbeitsmaschinen für den Erfolg sind. Und für die Bindung zu den Fans.

>Mit Romantik ist da aber auch einfach nix mehr. Wie auch? Ich grase immer noch täglich die halbwegs seriösen Fußballseiten ab, obwohl ich inzwischen das Gefühl habe, dass mir das nicht gut bekommt. Scheiß-Nachrichten, wohin man schaut. FIFA, UEFA, DFB, alle korrupt. Europäische Super League, Conference League, Katar, Russland, Leipzig, Hopp und Hodenheim, Investoren, alles nervt. Und wer da was anderes empfindet, hat in meinen Augen einen Dachschaden. Ich bin, was Fußball angeht, ein völlig intolerantes Arschloch und auch einfach nur müde von der öffentlichen, völlig unkritischen Wahrnehmung. Und auch von manchen Postings hier im Thread. Aber auch wenn ich hier kaum noch poste, komme ich von diesem Thread nicht los und ärgere mich dann doch immer wieder über mich selbst.

Für Romantik kann nur noch der eigene Verein sorgen. Ich betone bewusst den Verein - nicht einzelne Personen!

Und ein Stück weit muss man sich natürlich auch längst davon verabschiedet haben. Leider.

>Jetzt begebe ich mich auf ganz dünnes Eis: Eines der größten Mysterien war für mich immer, wie man ernsthaft und mit Leidenschaft Bayern-Fan sein kann. Was für ein unsympathischer, selbstgerechter Haufen über viele Jahrzehnte und auch das Hören von 11Leben, dem Podcast über Uli Hoeneß, hat nicht geholfen, sie auch nur einen Deut besser zu finden. Gerade da tut’s mir besonders weh, weil sich mein Lieblingsverein immer mehr wie der FC Bayern anfühlt, ohne auch nur ansatzweise so erfolgreich zu sein. Watzke, der mit Lindner und anderen Deppen rumkumpelt. Rauball, der nun wahrlich auch keine weiße Weste hat. Und Tress und Cramer und wie sie alle heißen. Das fühlt sich alles so sehr nicht nach Fußball an. Bah. Trotzdem drücke ich den Bayern noch die Daumen, wenn es um die Meisterschaft gegen die Dosenpenner geht, auch wenn mir schon mancher Besserverdiener klarmachen wollte, dass es ja total okay sei, wenn sich ein österreichischer (Fast-)Nazi mit Unendlich-Geld-Cheat in die Bundesliga einkauft.

Ja, so geht es der ganzen Bundesliga in Bezug auf Euch schon lange. Ihr seid nicht das Bollwerk Nr. 1 gegen die FCB-Übermacht, ihr seid nicht der Stellvertreter der restlichen Liga. Ihr seid in erster Linie Teil des Problems.

Das ist aber auch nicht wirklich zu lösen. Ein identitätsstiftendes Gesundschrumpfen könnt Ihr Euch nicht leisten. Nicht als AG. Und wenn Ihr nur für zwei, drei Jahre in Sachen Erfolg mal locker lasst, findet Ihr den Weg zur klaren Nr. 2 in Deutschland vermutlich nicht wieder zurück. Dann reiht Ihr Euch eher bestenfalls auf dem Niveau von Gladbach und Frankfurt ein: Stabile Traditionsmannschaft, die sich hier und da auch mal in den Europapokal verirrt, während Bayern, Red Bull, VW und Bayer meistens drei der vier CL-Plätze belegen.

Ich kann mich damit arrangieren - wir haben aber auch letztmals vor knapp 30 Jahren ernsthaft um die Meisterschaft mitgespielt. Und nach Jahren als Fahrstuhlmannschaft werde ich auch nie mehr mit dem Status "graue Maus" unzufrieden sein. Hauptsache 1. Liga.

>Ich lese immer wieder, gerade auch wieder frisch wegen Hütter, dass niemand über dem Verein stehe. Grundsätzlich sehe ich das ja auch so, aber das funktioniert halt für mich auch nur bis zu einem gewissen Grad. Wenn das Grundgerüst schon morsch ist, weil der Anteil totaler Deppen viel zu hoch ist, was bleibt dann noch vom Verein? Ein Wappen, der Briefkopf, die Spielstätte und die Geschichte. Letztlich repräsentieren da immer noch die elf Spieler auf dem Platz den Verein und wenn’s da nicht mehr Klick macht, ist’s irgendwie doof. Beste Beispiele: Lewandowski oder Aubameyang, über deren Tore ich mich kaum freuen konnte, weil ich sie einfach nicht mochte. Auch bei Haaland und Sancho fällt’s mir recht schwer, so geil ich sie auch als Fußballer finde und mir – Stand jetzt – wünschen würde, dass sie für immer bleiben. Ist halt nur komplett unrealistisch, wenn man nicht der FC Bayern ist.

Wie gesagt: Es kann schon sehr helfen, wenn der eigene Verein beim Scouting den Charakter der Spieler über alles stellt. Und man darf halt grundsätzlich nicht beleidigt sein, wenn erfolgreiche Spieler zu erfolgreicheren Vereinen wechseln wollen. Netteren Spielern nimmt man sowas auch weniger übel.

In Frankfurt wurde der Kader zwischen dem Pokalsieg gegen die Bayern, dem EL-Halbfinale gegen Chelsea und heute gefühlt zweimal komplett auf links gedreht. Und trotzdem fühlt es sich immer noch wie die gleiche Mannschaft an.


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