Thema:
Ich komm' einfach nicht los vom Fußball flat
Autor: Leviathan
Datum:13.04.21 11:36
Antwort auf:Der hochoffizielle Fußballthread 131 von Pezking

Es gab Zeiten, in denen habe ich alles stehen und liegen gelassen, um ein BVB-Spiel zu schauen. Ich hab mitgefiebert, gejubelt, geflucht, Fernbedienungen gegen die Wand geworfen. Fußball war mir verdammt wichtig.

In den letzten vier, fünf, sechs, sieben Jahren ist das alles aber peu à peu weniger geworden. Auch wenn ich als BVB-Fan nicht so viel mitmachen musste, wie manch anderer, fühlt es sich so an, als hätte ich bereits alles erlebt. Meisterschaften in den Neunzigern, CL-Sieg, der krasse Absturz, jahrelanges Herumdümpeln im Mittelfeld mit Tendenz zum Tabellenkeller, die supergeilen Kloppjahre und nun einfach nur Tristesse. Irgendwie ist mir alles egal und dann doch nicht.

Um ganz ehrlich zu sein: Ich fand das permanente Schalker Failen in dieser Saison unterhaltsamer und interessanter als die BVB-Spiele. Vielleicht bin ich deshalb ein schlechter Mensch, aber ich hatte meinen Spaß damit. Aber so recht befriedigend ist’s dann auch nicht, weil sich gerade in dieser Corona-Saison nichts so richtig echt anfühlt. Ich glaube nicht, dass Schalke mit Fans so kolossal schlecht abgeschnitten hätte und ich glaube auch, dass dem BVB fünf bis zehn Fan-Punkte fehlen.

Aber würden die Punkte das irgendwie besser machen? Was mein Fan-Sein betrifft: Wahrscheinlich nicht. Es gab Zeiten, da hatte der BVB einen saugeilen Kader. Ich mochte so viele der Spieler, weil sie eben mindestens den Eindruck erweckten, keine Arschlöcher zu sein. Wie geil waren Manni, Neven, Pischu, Shinji, Dede, Schmelle, Nuri und all die anderen. Und wie geil war Klopp als Trainer, der auch einfach gar keinen Bock auf kackige Kackspieler („Ich würde nie ein Arschloch verpflichten.“) hatte? Im direkten Vergleich zu heute, ist’s ein Trauerspiel. Wirklich gut finde ich da fast niemanden mehr. Einzig Ansgar Knauff hat mir zuletzt mal Freude bereitet, weil man ihm einfach anmerkt, dass er ein guter, bescheidener Typ ist, der sich einfach riesig freut, überhaupt eine Chance zu bekommen. Bin noch skeptisch, was seine Zukunft betrifft, aber einfach mal einen Jungspund zu sehen, der sich nicht in zwei Jahren in England sieht, sondern über Einsatz und Bock kommt, ist so eine unfassbare Wohltat. Auch wenn er niemals so gut sein wird wie Haaland, Sancho oder Dembele.

Kann man jemandem einen Vorwurf machen? Am ehesten wahrscheinlich mir, weil ich Ansprüche stelle, die fernab jeder Realität sind. Als BVB bekommst du aktuell nur Spieler aus drei Kategorien: a) 17-jährige Supertalente, die in spätestens zwei Jahren wieder weg sind, b) überteuerten Bundesliga-Durchschnitt oder c) Gescheiterte, denen es darum geht, möglichst regelmäßig CL zu spielen und auch immerhin noch ganz okay zu verdienen. Absolute Zwickmühle, was allerdings Transfers wie Schulz, Schürrle, Wolf, Toljan oder Götze nicht entschuldigen kann und darf. Und wenn man ehrlich ist, konnte der BVB selbst die wenigen Top-Spieler, denen man einen Durchbruch zugetraut hätte, aus der Klopp-Ära nicht halten: Lewandowksi, Götze, Shinji, Gündogan, Hummels,Sahin…alle sind gegangen. Da kann man es Pischu nicht hoch genug anrechnen, dass er all die Jahre geblieben ist, obwohl es ganz sicher Angebote gab. Reus wäre ohne seine Verletzungsanfälligkeit wohl auch nicht geblieben. Wenn mir dann Bayern-Fans erklären wollen, dass der BVB ja einfach nur zu doof sei, ihre Spieler zu halten, möchte ich gleich mal ein paar Autos kaufen. Nix verstanden.

Mit Romantik ist da aber auch einfach nix mehr. Wie auch? Ich grase immer noch täglich die halbwegs seriösen Fußballseiten ab, obwohl ich inzwischen das Gefühl habe, dass mir das nicht gut bekommt. Scheiß-Nachrichten, wohin man schaut. FIFA, UEFA, DFB, alle korrupt. Europäische Super League, Conference League, Katar, Russland, Leipzig, Hopp und Hodenheim, Investoren, alles nervt. Und wer da was anderes empfindet, hat in meinen Augen einen Dachschaden. Ich bin, was Fußball angeht, ein völlig intolerantes Arschloch und auch einfach nur müde von der öffentlichen, völlig unkritischen Wahrnehmung. Und auch von manchen Postings hier im Thread. Aber auch wenn ich hier kaum noch poste, komme ich von diesem Thread nicht los und ärgere mich dann doch immer wieder über mich selbst.

Jetzt begebe ich mich auf ganz dünnes Eis: Eines der größten Mysterien war für mich immer, wie man ernsthaft und mit Leidenschaft Bayern-Fan sein kann. Was für ein unsympathischer, selbstgerechter Haufen über viele Jahrzehnte und auch das Hören von 11Leben, dem Podcast über Uli Hoeneß, hat nicht geholfen, sie auch nur einen Deut besser zu finden. Gerade da tut’s mir besonders weh, weil sich mein Lieblingsverein immer mehr wie der FC Bayern anfühlt, ohne auch nur ansatzweise so erfolgreich zu sein. Watzke, der mit Lindner und anderen Deppen rumkumpelt. Rauball, der nun wahrlich auch keine weiße Weste hat. Und Tress und Cramer und wie sie alle heißen. Das fühlt sich alles so sehr nicht nach Fußball an. Bah. Trotzdem drücke ich den Bayern noch die Daumen, wenn es um die Meisterschaft gegen die Dosenpenner geht, auch wenn mir schon mancher Besserverdiener klarmachen wollte, dass es ja total okay sei, wenn sich ein österreichischer (Fast-)Nazi mit Unendlich-Geld-Cheat in die Bundesliga einkauft.

Ich lese immer wieder, gerade auch wieder frisch wegen Hütter, dass niemand über dem Verein stehe. Grundsätzlich sehe ich das ja auch so, aber das funktioniert halt für mich auch nur bis zu einem gewissen Grad. Wenn das Grundgerüst schon morsch ist, weil der Anteil totaler Deppen viel zu hoch ist, was bleibt dann noch vom Verein? Ein Wappen, der Briefkopf, die Spielstätte und die Geschichte. Letztlich repräsentieren da immer noch die elf Spieler auf dem Platz den Verein und wenn’s da nicht mehr Klick macht, ist’s irgendwie doof. Beste Beispiele: Lewandowski oder Aubameyang, über deren Tore ich mich kaum freuen konnte, weil ich sie einfach nicht mochte. Auch bei Haaland und Sancho fällt’s mir recht schwer, so geil ich sie auch als Fußballer finde und mir – Stand jetzt – wünschen würde, dass sie für immer bleiben. Ist halt nur komplett unrealistisch, wenn man nicht der FC Bayern ist.

Es ist alles irgendwie nur noch ermüdend und trotzdem weiß ich, dass ich am Mittwoch wieder einschalten werde und mich mehrere Male während des Spiels fragen werde, warum ich das eigentlich mache. Wenn die Spieler schon keinen Bock auf den BVB haben, warum sollte ich dann mitfiebern? Ich habe zuletzt einen ganz interessanten Beitrag im Schwatzgelb-Forum gelesen und es geht mir irgendwie auch nicht aus dem Kopf:

Mein Sohn ist leidenschaftlicher Fifa-Zocker und, anders als ich, spielt er nicht mit dem BVB und den entsprechenden Spielern, sondern lieber mit seinem „Ultimate Team“, einer zusammengestellten Ansammlung aus Spielern von verschiedenen Vereinen. Genauso folgt und „liked“ er Spieler in den sozialen Medien, die mich nie interessiert hätten, weil sie nicht für meinen BVB spielen.

Ich glaube, da steckt viel Wahrheit hinter und ist ja letztlich auch deutlich sichtbar darin, dass Spieler und Berater schon längst viel mehr Macht haben als die Vereine selbst. Wenn du sie nicht hofierst, sind sie halt weg, die kleinen Racker und der Fußball ist ja irgendwie auch ein ganz merkwürdiges Feld: Du kannst ein Arschloch sein, dumm wie Brot, hässlich wie die Nacht, Frauen schlagen, minderjährige Prostituierte vögeln, Steuern hinterziehen, ohne Führerschein Auto fahren, Buden anzünden – alles völlig egal. Solange du überdurchschnittlich gut einen Ball treten kannst, bist du der King und wirst selbst von Mittvierzigern, die mitten im Leben stehen, völlig kritiklos abgefeiert. Ohne Wenn. Ohne Aber.

So, genug ausgekotzt, aber ich wollte das hier mal loswerden, weil mir dieser Schwebezustand auch auf die Nerven geht. Einerseits kann ich nicht loslassen und andererseits liebe ich diesen Sport immer noch. Ganz vieles liegt sicherlich auch an mir persönlich, weil ich nicht in der Lage bin, strikt zwischen Fußball und dem ganzen Drumherum zu trennen. Aber ich glaube auch gar nicht, dass ich das will.


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